Rätsel-Sprüche und -Gedichte
Verlag: | Rose-Verlag, München |
Datum: | 1964 |
Seiten: | 102 |
Wir veröffentlichen die Rätsels Rudolf Treichlers mit freundlicher Genehmigung von
Markus Treichler
D-70794 Filderstadt
dem Verwalter des Nachlasses und Inhaber der Autorenrechte an den Werken von Rudolf Treichler.
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# | ist die Nummer des Rätsels hier bei uns |
∞ | ist die Nummer des Rätsels in 12x12 Rätsel vom 1964: K-nn Rätsel für Kinder; E-nn Rätsel für Erwachsene (was nicht heißt, dass die Kinderrätsel leicht sind) |
Zwölf Dutzend Rätsel-Sprüche und -Gedichte
— fünf Dutzend für Kinder—sieben Dutzend für die Großen — hat Dr. Rudolf Treichler aus einer lebenslangen Erfahrung als Pädagoge uns in diesem Büchlein geschenkt. Sie haben es nun durchgeblättert, vielleicht auch das eine oder andere in Gedanken selbst gelöst — und sind nun dabei, seinen Inhalt fruchtbar zu machen. Sie haben Kinder verschiedenen Alters — oder leiten eine Jugendgruppe, sind Lehrer, Erzieher — oder sind einfach ein fröhlich-geselliger Mensch, der die Stunden des Zusammenseins mit Freunden beleben möchte. Sie suchen nicht nur intellektuellen Zeitvertreib, sondern finden es reizvoll, Ihren kleinen und großen Freunden fragend die Welt zu erschließen.
Seit Urzeiten ist dies der Sinn der Rätsel.
Rätsel-Sprüche in Frage und Antwort finden wir schon in der Edda — jener nordischen Sammlung von Götter- und Helden-Liedern aus vorchristlicher Zeit. Anschaulich und poesievoll ist deren Bilderfülle vor allem in dem »Lied von Wafthrudner« und der »Mär vom Zwerge Allwiß«. Im »Lied von Wafthrudner« erscheint der Weltenvater Odin als Wanderer bei dem sich so klug dünkenden Riesen, der jedem Gast Rätsel aufgibt und, wenn sie diese nicht zu lösen wissen, tötet. Die Fragen kreisen um Natur- und Geistwesen, die den Morgen und Abend regieren, den Grenzstrom zwischen dem Reiten- und Götterreich — die »Walstatt«, wo der Endkampf geschlagen werden wird.
Charakteristisch ist auch das Beispiel aus der Mär von Allwiß, dem klugen Zwerge, der um Thors Tochter wirbt. Allwiß sagt von sich selbst:
Bewandert in allen neuen Welten bin ich, mit dem Treiben vertraut und den Trieben der Menschen.
Thor fragt ihn nach den »Namen« der Wesen und Dinge bei Menschen und Riesen, Alfen und Gnomen, die uns zugleich die Freude an der Kraft der Wortbildungen durch den schaffenden Volksgeist zeigen:
Thor:
Wenn du denn wirklich sämtlicher Wesen Wortschatz kennst, so verkünde mir Allwiß, Wie die Söhne der Zeit je nach den Bezirken Die allen sichtbare Sonne bezeichnen?
Allwiß:
Sonne heißt sie den Menschensöhnen, Tagesgestirn dem Stamme der Götter, Leidige Lähmerin lichtscheuen Zwergen, Ratloses Feuer dem Riesenvolke, Funkelscheibe der Schar der Alfen, Alben den Kindern der Asen Kerze des Alls.
Nachdem Thor den eingebildeten Zwerg mit seinen Fragen die Nacht hindurch hinhielt, bis die aufgehende Sonne den lichtscheuen Alben lähmend trifft, verkündet er ihm seine List: »Ich erkannte noch keinen einzelnen kundig, soviel zu berichten von Vorzeit-Runen, doch nun vernimm, dass du arg genarrt bist und maßlos prahlend dich selbst geprellt hast: Unterweltswicht, ob der Erde ertappt dich betäubend das Licht des Tages .. .«
Auf Götterweisheit und Götter-Taten weist uns diese älteste germanisch-deutsche Rätseldichtung, von Rhythmus und Stabreim klingend auf jene Zeiten, in der noch eine Bilderschau bei den Menschen lebendig ist, aber schon ein neues, mehr in das Verstandesmäßige gehende Bewusstsein herannaht, das die Dinge und Wesen mit ihren »Namen« nennen kann, und damit sie beherrscht. Dies ist beispielsweise auch der wesentliche Inhalt des Märchens vom Rumpelstilzchen. Richard Wagner hat eine charakteristische Szene in »Siegfried« eingefügt.
Die Vielfalt der Erscheinungen in Natur- und Menschenleben, die Welt von Sonne, Mond und Sternen — der ganze Kosmos auf der einen Seite — die »kleine« Menschenseele auf der anderen Seite — stehen sich gegenüber: fragend und mit ihren »Rätseln« bedrängend die eine, dumpf träumend von jenen in mächtigen kosmischen »Bildern« und allmählich erst erwachend, nach »Antworten« suchend die andere! Diese Welt-Situation ist Urquelle des Rätsels und seine erste Gestaltung in Rhythmen und Reimen das »Urrätsel«.
Allmählich erhebt sich die Seele zu klarem Selbstbewusstsein, schaut nicht mehr in Bildern, sondern denkt in Ideen und schafft im eigenen Innern nach, was sich in ihr von außen spiegelt.
Im Laufe der Entwicklung vermag der Mensch selbst zu fragen nach den Rätseln des Daseins, aber die entgöttlichte Welt antwortet nicht mehr im alten kosmischen Sinn und so wendet sich die suchende Menschenseele an Tempel- und Mysterienstätten, wo Priester in Orakelsprüchen oft dunkle und vieldeutige Antworten geben. Da formt sich etwa die Rätselfrage der Sphinx an Ödipus in den Worten:
Welches Wesen geht am Morgen auf vieren, am Mittag auf zweien und am Abend auf dreien?
Antwort: Der Mensch, der am Morgen des Lebens auf allen Vieren kriecht, am Mittag auf zwei Beinen, am Abend, im Alter, auf dreien geht, mit einem Stock sich stützend.
Auch in vielen Bildern und Gleichnissen des alten und neuen Testaments lebt eine ähnliche Bilderwelt. Die alte Schau und Schilderung in „Bildern" ist also bis heute nicht erloschen und wird es auch in Zukunft nicht — wo kämen sonst die Dichter hin?
Mit dem stärkeren Persönlichkeitsbewusstsein im 16. und 17. Jahrhundert wurden auch die Rätsel immer verstandesmäßiger, abstrakter und gelehrter, wie es schon die verschiedenen Bezeichnungen andeuten. Da gab es und gibt es:
Anagramme und Logogriphen = Wortzusammenstellungen aus Silben —
Scharaden = Trennung der Worte in Silben
Homonyme = gleichlautende Worte mit verschiedener Bedeutung
reine Buchstaben- und Silben-, Kreuzwort und Rösselsprung-Rätsel, die meist zu einer mehr spielerischen, oder auch gelehrten Geistesübung anregen, wo Schläue, Findigkeit und die Bildung = Vielwisserei unserer Zeit angesprochen werden.
Solche Rätsel finden sich in diesem Büchlein nicht. Durch die Wahl der zu erratenden Worte, die wenigstens in ihrer ersten Bedeutung immer konkrete Begriffe darstellen, wie Baum und Stein, Fuß und Hand — und keine abstrakten, wie Liebe und Hass, Schmerz und Freude — und sich nur auf Hauptwörter beziehen, wurde der Kreis von vorneherein eng und eindeutig gezogen. Dabei beleben freilich zahlreiche »Homonyme« die Fülle und sorgen für stärkere Spannung — beisp. als Teekessel-Spiel in einfacherer Form bekannt. Auch sind stets nur ganze Worte, nicht bloß Silben zu erraten — mit wenigen Ausnahmen — so dass es beim Rater eigentlich nur auf präzise Vorstellungskraft und eine gewisse Fähigkeit zur inneren Bildgestaltung ankommt, eine musische Begabung, die jedem Menschen eignet. Diese Rätsel sollen zu einem besinnlichen, dem Wortlaut der Frage folgenden lebendigen Vorstellen, zu einem »bildhaften Denken« (Goethe) führen, auch zu nachschaffenden Reimen anregen und damit einen gesunden, vergnügten, dabei schöpferischen Gegenpol bilden zu den vielen uns »fertig gelieferten Vorstellungen« unserer Zivilisation in Kino, Radio, Fernsehen.
Wie erholsam, ja im wahrsten Sinn des Wortes »erquickend« ist es, wenn sich ein Kreis von Menschen um den runden Familientisch setzt und einer beginnt, Rätsel vorzulesen und zu froh-besinnlichem Raten aufzufordern. Herzerfrischend mag es da zugehen — denn in den Rätseln ist auch dem Humor sein Platz eingeräumt.
Schiller spricht davon, dass erst der spielende Mensch ein ganzer Mensch ist — wie herrlich ist es, spielend — ratend sich rätselvollen und geheimnisreichen Fragen gegenüberzustellen.
Warum nun sind diese Rätsel gereimt statt in schlichter Prosa dargeboten? Nun, der musische, künstlerisch interessierte und im wahren Sinn »spielerische Mensch« erfreut sich nicht nur an der Spannung der Frage, sondern auch an der Form des Rätsels, zumal der treffende, manchmal schon die Lösung andeutende Reim viel zur Belebung beiträgt.
Und die Lösungen am Ende? Sie sind auch keine bequemen Eselsbrücken, die einfach aufgeschlagen und abgelesen werden!
Nein, eine letzte kleine Anstrengung und Spannung ist noch zu leisten, weil jeweils in der Gruppe eines Dutzend die Lösungen durcheinandergeschüttelt sind! Aber welche Freude macht es, sich die richtige Lösung herauszupicken — mit der eigenen Antwort zu vergleichen — und tief befriedigt nach dem nächsten Rätsel zu fragen.
Wie oft klagen kleine und große Leute heute über die Langeweile. Sie kommt aus der Seelenöde einer Beschäftigung mit nur toten, abstrakten Dingen. Die Rätsel des Waldorf-Pädagogen Treichler wollen spielend Geist und Seele des Menschen bewegen, um zu jenen Antworten zu führen, die ein Stücklein Welterkennen schenken und dadurch beglücken und zufriedenstellen.
Dass dies Büchlein recht zahlreich seine Früchte schenken darf, das hoffen Autor und Verlag gleichermaßen!