Die Dichtkunst und ihre Gattungen
von August Knüttell
Erschienen bei F. E. C. Leuckar, München, 1840
Rechtschreibung: Das Original dieses Buches ist 1869 erschienen und folgt der damals gültigen Rechtschreibung ("daß", "Litteratur", "Räthsel", usw.). Wir haben die Rechtschreibung den heutigen Gepflogenheiten angepasst – mit einigen Ausnahmen: Zum einen die Titel zitierter Werke und zum anderen Zitate, die schon damals nicht der Rechtschreibung entsprochen haben und vom Autor absichtlich in Original belassen wurden.
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(Auszug, Rätselgedichte betreffend)
Als allegorische Gedichte lassen sich auch die Agrionien, d. h. die Rätsel, Scharaden und ihre Abarten bezeichnen, welche jedoch nur dann ins Reich der Poesie gehören, wenn sie Phantasie und Gemüt durch Schönheit und sinnige Behandlung ihres Gegenstandes ansprechen, wie z. B. die von Schiller. Die meisten Rätsel haben aber bloß eine poetische Form, während sie ihrem Inhalte nach dem Verstande angehören, Mittelwesen zwischen Poesie und Prosa, Aufgaben für den Scharfsinn, oder ein sinnreiches Spiel für das Herumschweifen der Gedanken.
Das Rätsel umschreibt einen Gegenstand, sagt überraschende Merkmale von ihm aus und hat es immer mit dem ganzen Worte auf einmal zu tun. Die Scharade macht es ebenso, teilt aber ein Wort in Silben ab und besteht also aus mehreren zusammenhängenden Rätseln (Silben-Rätsel). Eine Schönheit der Scharade liegt darin, dass die einzelnen Teile derselben sich auf einander beziehen.
Die bekanntesten Abarten der Rätsel und Scharaden heißen:
1) Logogriph — wenn das Rätselwort durch Wegnehmung eines Buchstabens ein neues Wort wird, z. B. Strumpf, Trumpf, Rumpf.
2) Anagramm — wenn mit den Buchstaben des Rätselwortes eine Versetzung vorgenommen wird, um ein neues Rätselwort zu geben, wie: Erde, Rede; aus: Tarantel lässt sich z. B. durch Versetzung und Wegnahme einzelner Buchstaben herausbringen: Natter, Tarant, Altan, Tante, Ratte, Aetna, Alter, Altar, Latte, Talar, Aera, Aal. Schön ist's, wenn das durch Versetzung herausgebrachte Wort in Beziehung zu dem Worte steht, von dem es genommen ist, z. B. Napoleon Bonaparte — pone rapta, bona, leno; auch la revolution francaise— un corse la finira.
3) Palindrom — wenn das Rätselwort auch rückwärts eines ist, z. B. Rettig – Gitter; Sie – Eis.
4) Homonyme — wenn dasselbe Wort einen Doppelsinn gibt, z. B. der Kaper, die Kaper; Flügel; Bogen.
Es liegt in dem charakteristischen Wesen des Rätsels, dass es als solches aufhört zu existieren, sobald es erraten ist; besitzt es aber poetischen Wert, so werden seine Gedanken auch nach der Lösung noch Interesse finden, weil sie nicht bloß witzig, von scheinbarer Wahrheit, sondern schön und von tieferer Wahrheit sind: Schillers Rätsel und Goethes Scharade (Liebe-Herz).
Rätsel gibt es von: J. G. M. (Moser); A. Däves: 1] Gedichte, 1838; Viktor Käfer: 2} Gedichte, 1839; Friedrich von Cölln (Loclen); 3] C. D. Aubenfloh: 4} Rätsel, nebst einer kurzen Anleitung zum Verfassen und Lösen der verschiedenen Arten von Rätseln, 1841; Gustav Feuerlein: Taschenbuch für Rätselfreunde, 1846.
Gefesselt an die niedern Räume,
Auf freier Flur im Blumenland,
Im Schatten blätterreicher Bäume,
Verlebt' ich meinen Prüfungsstand.
Ich sehnte rastlos mich von hinnen,
Begann, erfasst von Angst und Graun,
Pein Totenhemd mir selbst zu spinnen.
Am eignen Sarkophag zu bau'n.
Und kaum, dass ich den Bau vollführet,
Da legt' ich freudig mich hinein;
Mit Mumienbanden festgeschnüret,
Erhofft' ich baldiges Befrei'n.
Doch schleichend und mit dürrem Stabe,
Schnee auf dem Haupt, im Barte Eis,
Trat still als Wächter zu dem Grabe
Ein finstrer, mitleidsloser Greis.
Umsonst mocht' ich mich leise regen,
Stets ernst und starr blieb sein Gesicht.
Ach, manchen Mond hab' ich gelegen,
Das Herz des Alten rührt' es nicht.
Doch plötzlich drangen durch die Ritzen
Des Sarges — Licht und sanfte Glut,
Der Sonne Strahlen sah ich blitzen
Und fühlte Lebenskraft und Mut.
In Jugendschöne kam ein Ritter,
Geschmückt mit Blumenkranz und Strauß,
Schnell an des Mausoleums Gitter
Und rief den Greis zum Kampf heraus.
Ich sah' sie kämpfen, sah sie ringen:
Der Jüngling schwang den Blumenschaft,
Den finstern Wächter zu bezwingen;
Der Greis erlag der Heldenkraft.
Und als nun des Erretters Finger
An meines Grabes Pforte schlug,
Zerbrach ich meinen Totenzwinger
Und wand mich aus dem Leichentuch.
Hell schimmernd, gleich dem Morgenrote
Und wie des Himmels Azurzelt,
Schwang ich mich auf, des Jünglings Bote,
Der Herold einer bessren Welt.
Er:
Kennst du das Wort, es stammt aus fremden Landen,
Acht Zeichen bilden seinen schönen Klang;
Es hält das Weltenall mit festen Banden,
Und seine Töne klingen wie Gesang.
Nur vier von seinen ersten Zeichen trüben
Mit ihren Schatten nie dein frohes Herz!
Doch würdest du mich einmal nicht mehr lieben,
So brechen sie nur schnell mein armes Herz!
Sie:
Wohl kenn' ich es, das Wort aus fremden Landen,
Es folgt so gern der Liebe zarter Spur;
Denn seit der Zeit, wo wir
uns liebend fanden,
Umschwebt es mich im Hain, wie auf der Flur.
Doch fragst du mich, ob ich je von dir weichen,
Dich einst nicht mehr wie heute lieben kann,
Dann sagen leise die
vier letzten Zeichen,
Ob meine Liebe endet, wo und wann.
Beide:
Umschwebe uns mit deinen zarten Schwingen,
Du Götterkind, auf düst'rer Erdenbahn!
Dass wir dir unsres Dankes Opfer
bringen,
Wenn wir verklärt uns deiner Schöne nahn.
Dort, wo an Lethes sanften
Wunderwellen
Der Erdennächte helle Morgen graun,
Dort werden wir, bekränzt mit Immorteilen,
Dich, Herrliche, in deiner Heimat schau'n.
(A. P. Däves)
Ich trage dich hoch durch stürmische Lüfte,
Weit über der Erde Täler und Grüfte,
Weit über der Alpen Gipfel empor,
Durch Sonnenschimmer und Nebelflor.
Doch was erblick' ich? Krieger im Streite!
Bebend erzittert das fürchtende Land.
Aber du fassest den Feind in die Seite —
Entzieh' ihm den Lorbeer, entreiß ihm die Beute!
Erkämpft ist der Sieg mit tapferer Hand;
Von allen Lippen erschallet dein Ruhm,
Gerettet sind Bürger und Eigentum.
Aber wenn in stillen Harmonien,
Sanft von schöner Hand berührt,
Süße Töne dir entfliehen,
Wird das Herz von Lust entführt;
Ja, du wandelst um und um
Unser Leben zum Elysium.
(E. A. W. v. Kyaw)
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1] Aus Das gelehrte Teutschland oder Lexikon der jetzt lebenden teutschen Schriftsteller, Band 22, von Georg Christoph Hamberger und Johann Georg Meusel, Meyersche Buchhandlung, 1829: A. Däves lebt in Bremen, war Redakteur des Bürgerfreundes (1822), Gedichte in der Abend-Zeit 1823, 1824.
2] Aus dem Österreichischen Biographischen Lexikon 1815-1950: Kaefer Viktor, Lyriker. * Untersteiermark, 1799; † (?). Kam als Sohn eines Soldaten in ein Militärerziehungsheim, 1820 zum Infanterieregiment 17, 1832 Unterleutnant, 1835 i. R. Dann wandte er sich der Landwirtschaft zu und wurde Bauer auf einem kleinen Besitz in der Untersteiermark. Strebsamkeit und autodidaktischer Bildungseifer waren zwar nicht der militärische Laufbahn förderlich, doch kamen sie seiner ursprünglichen dichter. Begabung stofflich und formal zweifellos zugute. In seiner Lyrik und besonders in der Balladendichtung ist die ihm gültige Vorbildlichkeit Goethes und Schillers erkennbar. Ein Epos über die Hermannsschlacht (in Hexametern) blieb unvollendet. K. soll auch mehrere unveröffentlicht gebliebene Dramen geschrieben haben. Werke: Gedichte, 1839; Vollständige Anweisung zum Schachspiele, 1842.
3] Laut Deutscher Nationalbibliothek ist »Georg Friedrich Willibald Ferdinand von Loclen« eines der Pseudonyme von Cölln. Siehe auch den Eintrag in der Deutschen Biographie.
4] Über C. D. Aubenfloh ist uns nichts bekannt.