Siehe auch: Wikipedia, Deutsche Biographie, Genealogy
Ein Rätselbüchlein
Verlag: | H. Meyer's Buchdruckerei, Halberstadt |
Datum: | 1925 |
Seiten: | 112 |
Das Werk ist in der Deutschen Nationalbibliothek Standort Leipzig verfügbar:
Die Werke von Gustav Kafka sind gemeinfrei, da deren Verfasser vor mehr als 70 Jahren verstorben ist.
Gustav Kafka hat ursprünglich keine Lösungen angegeben (siehe auch das Vorwort zu seinem Buch weiter unten). Später dann ist ein dreiseitiger Lösungsteil erschienen (H. Meyer's Buchdruckerei, Halberstadt, 1928).
# | Erste Zeilen des Rätsels | ∞ |
---|---|---|
13601 | Ein Weib bin ich, — behaltet das! — Drum reizt mich | R-08 |
13612 | Gar mancher schon ist dieses stolz dahin In kindisch auf | H-22 |
13623 | Du kannst es mit dem Bett, desgleichen auf dem Eise, | H-04 |
13634 | Getrennt zu können, wen du willst, Sieh zu, dass du ihn | Hi-10 |
13645 | Wollt beide ihr vereint am Rendezvousplatz stehen, | Hi-05 |
13656 | Die Erste durchschneidet die Luft, Die Zweite durchpflügt | S-03 |
13667 | In ihrem Ersten hält nimmer die Zeit, Das schafft den | S-19 |
13678 | Ein Schmerzensruf, ein Scheltwort, und im Nu vollendet | Si-09 |
13689 | Zum deutschen Gott des Meeres sprach der Gott der | P-25 |
13700 | Eine alte russische Dame legte den größten Wert darauf | F-18 |
# | ist die Nummer des Rätsels hier bei uns |
∞ | ist die Nummer des Rätsels in
Wer, Wie, Was von Gustav Kafka von 1925. Die Rätsel sind
kapitelweise nummeriert:
Format Xnn mit X gleich R=Rätsel, H=Homonyme, Hi = Homoionyme, Scharaden, Si=Scharadoiden, Logogriphe, Füllrätsel, Sr = Schüttelrätsel Achtung: Die Klassifikation von Kafka entspricht meist, aber nicht immer der unsrigen. |
Spiele sind Spiegel — nicht nur der kindlichen Eigenart, sondern auch des Geistes ganzer Völker und Zeiten, und der Kundige müsste imstande sein, aus einer Geschichte des Spieles die wesentlichen Grundzüge der Kulturgeschichte abzulesen
Es ist darum kein Zufall, wenn das geistigste aller Spiele, das Rätsel, in der ungeistigsten Epoche des Abendlandes, der zweiten Hälfte des vergangenen und dem Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts, so gut wie verdrängt war durch reine Berechnungs- und Bewegungsspiele und nur in wenig beachteten Ecken einiger Familienblätter ein kümmerliches Dasein fristete, — noch dazu vorwiegend in seiner ungeistigsten Gestalt, dem Silbenrätsel, in dem nicht der Sinn, sondern bloß die Buchstabenfolge, gewissermaßen das körperliche Gerüst des Wortes, den Ausschlag gibt. Es ist dartun auch kein Zufall, wenn es einer ebenso ungeistigen Rätselart, des Silbenkreuzworträtsels bedurfte, um das allgemeine Interesse am Rätselraten neu zu beleben, und wenn sich hier, an einem scheinbar, aber freilich nur scheinbar lächerlichen Symptom, der übermächtig anwachsende Einfluss amerikanischer Denkart auf das gegenwärtige Geistesleben Deutschlands schlagend bestätigte.
Der Deutsche hat eben wieder einmal vergessen, dass er auch auf diesem Gebiet eine alte Tradition besitzt, die aus dein Volksgeist selber schöpft und von den besten Köpfen gepflegt wurde. An diese Tradition, die in neuerer Zeit keine Geringeren als Schleiermacher, Fechner und Brentano zu ihren Vertretern zählt, will das vorliegende Büchlein anknüpfen und so in spielerischen Symbolen sein bescheidenes Teil dazu beitragen, deutsche Geistigkeit zur Selbstbesinnung zurückzuführen Geist oder Körper, Sinn oder Zahl — darum geht hier im Kleinen wie heute im Großen die Entscheidung!
Die Tradition des deutschen Rätsels — eine im guten Sinne »humanistische« Tradition, wie jede Tradition deutschen Wesens — zeigt sich auch darin, dass die meisten Rätselnamen aus den klassischen Sprachen stammen. Ihre Bedeutung könnte der Rätselfreund zwar im allgemeinen leicht an der Hand des Konversationslexikons oder auf Grund seiner Gymnasialerinnerungen feststellen. Aber da man jenes nicht in der Tasche und diese nicht immer im Kopfe bei sich zu tragen pflegt, sei hier für alle Fälle eine kurze Erklärung angesagt, die zugleich die Lösung erleichtern mag.
Homonymen (»mit gleichen Namen«) verwenden dasselbe Wort in verschiedenen Bedeutungen.
Homoionymen (»mit ähnlichen Namen«) verwenden nicht dasselbe, aber gleich oder wenigstens ähnlich klingende Worte in verschiedenen Bedeutungen. Der Unterschied kann in der Betonung, in der Kürzung oder Längung oder in der Trennung der Silben, gelegentlich auch nur der Buchstaben, liegen.
Palindrome (»Rückläufer«) verwenden Worte, die, von vorne nach hinten und von hinten nach vorne gelesen, einen verschiedenen oder auch den gleichen Sinn ergeben.
Eine härtere philologische Nuss gibt die Scharade zu knacken. Man suchte das Wort, seines französischen Gewandes wegen, zunächst mit allerhand romanischen Stämmen in Verbindung zu bringen, so mit dem provenzalischen charrado, das entweder einen Wagen, im übertragenen Sinn also eine Wagenladung von Späßen bedeuten sollte (wie etwa Satire ursprünglich soviel heißt wie eine Schüssel Naschwerk) oder auf einen Stamm charra, entsprechend dem italienischen ciarlare, schwätzen, zurückgeführt wurde. Auch das spanische charrada, Bauerntanz, Tölpelei, wurde herangezogen Neuerdings nimmt man jedoch an, dass Charade aus dein mittellateinischen caracta herkommt, das seinerseits ans dem griechischen character entstanden ist und einen eingeritzten Zauberspruch bedeutet. Das Wesen der Charade besteht darin, dass ein zusammengesetztes Wort durch eine sinngemäße Silbentrennung in Teile zerlegt wird, deren jeder eine selbständige Bedeutung besitzt.
Demgegenüber erfolgt bei den Scharadoiden (»Scharaden-Ähnliche«) die Trennung
so, dass ein einfaches Wort
in seine Silben zerlegt wird oder dass bei der Zerlegung eines
zusammengesetzten Wortes die entstehenden Silben nicht mit
den Teilwortorten zusammenfallen oder (wie z.B. Präpositionen, Interjektionen, bloße Vor-
und Nachsilben, sogar einzelne
Buchstaben) überhaupt keine selbständige Bedeutung besitzen.
Auch kann die Trennung gegen die grammatikalischen Regeln
der Silbenteilung und der Rechtschreibung verstoßen.
Zwei andere Rätselarten, Wiederholungs- und Schüttelreimrätsel, die zuerst von Brentano (als
»Füllrätsel« und »Schlingfüllrätsel«) in die Literatur eingeführt wurden,
sind zwar dem Namen nach wohl ohne weiteres verständlich, aller der Sache nach
vielleicht doch nicht allen Rätselfreunden vertraut:
Die Wiederholungsrätsel bestehen gewissermaßen
aus einer Aneinanderreihung von Homoionymen; unmittelbar aneinandergefügte Worte oder Wortfolgen ergeben
einen Sinn, der freilich erst in einer besonderen stilistischen
Einkleidung verständlich zu werden pflegt. Die Zahl der
Silben des Homoionyms wird durch die Zahl der Füllsilben (»dal«), die Trennung der Homoionymen voneinander durch einen Gedankenstrich
bezeichnet.
Die Schüttelreimrätsel verwenden in ähnlicher Weise wie die Wiederholungsrätsel unmittelbar aneinandergefügte Worte oder Wortfolgen, die einen Schüttelreim bilden. Die veränderlichen Silben werden mit »dil«, die gleichbleibenden mit »dal« bezeichnet
Wie der Kundige merken wird, lehnt sich das vorliegende Büchlein auch äußerlich an Brentanos Aenigmatias an. Insbesondere hat der Altmeister der deutschen Psychologie seine Kenntnis der menschlichen Seele darin bewährt, dass er seiner Sammlung (mit Ausnahme der Füllrätsel) keine Auflösungen mitgegeben hat. Schon der abgegriffene Vergleich der Weiber mit den Rätseln gibt ihm Recht: das Bewusstsein, den Schlüssel zum innersten Wesen einer Frau zu besitzen, verleitet nur allzu leicht zu einer gewissen Gleichgültigkeit, während die Unberechenbare gerade dadurch immer aufs neue zu fesseln weiß, dass niemand sich ihrer sicher wähnen darf. So will sich auch dieses Büchlein durch das Verschweigen seiner Geheimnisse ein länger dauerndes Interesse wahren. Wem aber trotz alles Kopfzerbrechens die Lösung des einen oder des anderen Rätsels nicht gelingt, der mag beim Verfasser anfragen. Aber wohlgemerkt: nur um die eine oder die andere Lösung; wer sich überhaupt keine Mühe nehmen, sondern sich alle Lösungen als gebratene Tauben in den Mund fliegen lassen will, hat ebenso wenig eine Antwort zu erwarten wie der alle vergessliche oder naive Fragesteller, der kein Rückporto beilegt.
Dresden, im November 1925
Walderseeplatz 2
Gustav Kafka.