von Oskar Jancke.
Erschienen im Verlag von R. Oldenburg
München und Berlin,
1944
Eine Betrachtung über Sinn und Wert des Rätsels
Inhalt
Rechtschreibung: Das Original dieses Buches ist 1869 erschienen und folgt der damals gültigen Rechtschreibung ("daß", "Litteratur", "Räthsel", usw.). Wir haben die Rechtschreibung den heutigen Gepflogenheiten angepasst – mit einigen Ausnahmen: Zum einen die Titel zitierter Werke und zum anderen Zitate, die schon damals nicht der Rechtschreibung entsprochen haben und vom Autor absichtlich in Original belassen wurden.
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Das Rätsel
Versteckt lieg ich in einem tiefen Grunde
Bekannt Dir, doch jetzt nicht von
Dir erblickt.
Und mich zu finden ist erst dann geglückt,
Du mich erfasst und
günstig Dir die Stunde.
Wenn nicht, dann suchst Du lange in der Runde.
Bald bin ich nah, dann bin
ich ferngerückt
Und mich zu finden ist erst dann geglückt,
Wenn Kopf und Herz
vereinigt sich zum Bunde.
Oft sagt ein Wort, ein kleines, was ich bin.
Dann wieder sind's in sich
verschlungene Kreise,
Die unter sich vertauschen ihre Rollen.
Oft einfach klar, oft doppeldeutig ist mein Sinn.
Schick die Gedanken ruhig
auf weite Reise.
Mich finden, hilft das Glück mehr als das Wollen.
(H. Kurtz)
Von unsern Satzzeichen ist das Fragezeichen zwar nicht das meistgebrauchte, aber das gewichtigste. Denn der Fragegehalt der Welt, ihr Dunkles, Ungelöstes, ihr Geheimnis wird unser Inneres stets mehr beschäftigen als die Antworten, die sie für uns bereit hält. Diese sind uns meist überliefert, wenige andere erwerben wir durch Erfahrung, aber alle zusammen vermögen nicht, uns sehr zu befriedigen. So kommen wir immer wieder auf unser Fragezeichen zurück und setzen es hinter ein Warum, Weshalb, Woher, Wofür, der heitere Tag trübt sich uns, die Schöpfung erscheint uns voller Mängel, die Welt rätselhaft. Und wenn Jahrtausende daran gearbeitet haben, die Rätsel der Welt zu lösen, wenn Lösung auf Lösung ihr Mühen gekrönt hat, so scheint es doch — und wir glauben es nachgerade zu wissen —, dass eigentlich nichts getan worden ist. Trotz unserer Klugheit sind wir nicht klüger geworden, unser ausgebreitetes Wissen hat uns nicht erleuchtet, und die Weisheit der Welt besteht heute wie vor Jahrtausenden in der Einsicht des Sokrates, dass wir nichts wissen.
Ob nun die »letzten« Fragen, die wir an die Welt zu stellen haben, ob der Rätselernst, den die Welt uns abverlangt, das Rätselspiel hervorgerufen haben, entzieht sich unserer genaueren Kenntnis, aber es ist wahrscheinlich. Das Rätselspiel — wir wollen mit diesem Wort alle Arten des Rätsels umfassen — hat im Gegensatz zur Unlösbarkeit der Welt- und Lebensrätsel oder zu ihren Scheinlösungen in Religionen und metaphysischen Denksystemen den Vorteil einer sicheren Lösung. Es ist von Menschen gemacht und beruht daher auf Unbekannten, die dem Ratenden mit Sicherheit bekannt werden können. Das frühe Vorkommen des Rätselspiels bezeugt; ein ursprüngliches Verlangen des Menschen, dem Göttlich-Unlösbaren ein Menschlich-Lösbares entgegenzusetzen, gleichsam um sich mit dem Leichteren für das Schwere schadlos zu halten. Wie sehr aber ist in alten Zeiten das Spiel noch mit dem Ernst verbunden! Wer das Rätsel der Sphinx nicht löst, ist des Todes. »Am Morgen auf vieren, am Mittag auf zweien, am Abend auf dreien. Was ist das?« fragt die Sphinx die Vorübergehenden. Sie sollen raten, dass es der Mensch ist, der als Kind auf Händen und Füssen kriecht, als Mann auf zwei Füssen geht und als Greis den stützenden Stab zu Hilfe nehmen muss. So geht es wahrhaft ihr Leben, sie selber an, und wenn sie dieses Rätsel nicht lösen können, müssen sie sterben. Aber auch die Sphinx gibt sich den Tod, als Oedipus ihr Rätsel löst. Das Rätsel ist ein für allemal gelöst, der es erfand und aufgab, ebenso überflüssig wie jeder, der es nicht lösen konnte. So sterben die Menschen über den Rätseln der Welt, und gelingt es ihnen einmal, eins zu lösen, stirbt das Rätsel an ihnen. — Es ist auch berichtet worden, dass Homer aus Kummer darüber, ein Rätsel nicht lösen zu können, gestorben sei. Das Orakel hatte ihn vor Kinderrätseln gewarnt. Er saß am Meeresstrand, als Fischerknaben vom Fang zurückkehrten. Auf die Frage, was sie gefangen hätten, antworteten sie: »Was wir gefangen, haben wir nicht mehr, was nicht, das tragen wir nachhause.« Homer kam nicht darauf, dass die Knaben ihre Läuse meinten. Auch diese Geschichte weist noch darauf hin, dass das Spiel ursprünglich mit dem Ernst verbunden war. Auf den kindlichen schlechten Scherz hätte Homer nicht einzugehen brauchen, aber es war ja nicht der Gegenstand, sondern das beunruhigend Dunkle um den Gegenstand, das ihn quälte. — Menschentod am Rätsel und Rätseltod am Menschen haben dann mit der Zeit ihr raues und gefährliches Klima verlassen. Aus dem bitteren Ernst, der dem Ratenden Triumph oder Tod bringen konnte, ja der dem Todgeweihten, wenn er erriet, das Leben rettete, hat sich ein Spiel entwickelt, das nur ganz von ferne her noch Züge seines Ursprungs trägt: nur im Verzichtenmüssen auf die Lösung, nur in der Freude über die Lösung walten noch Erinnerungen an frühere Macht des Rätsels. Aber dieses Nachwirkende, nur geistiger Unmut oder geistige Freude, kann im Spiel kaum schwer empfunden werden. Es ist uns unvorstellbar, dass ein Nicht-Erraten als echtes Versagen, ein Erraten als echte geistige Leistung genommen wird. Mit Recht oder mit Unrecht?
Zweierlei Kräfte bestimmen die Form des Rätsels: Anschauung und Denken. In der Abfassung und im Lösen des Rätsels sind beide tätig, entweder voneinander getrennt oder miteinander verbunden. Genau genommen ist natürlich Anschauung immer denkende Anschauung, aber lassen wir es vorerst der Einfachheit halber bei einer Trennung der beiden Kräfte, die das Rätsel in Bewegung setzt. Beide, wie auch immer sie angewandt werden, erregen im Gelingen wie im Versagen Lust- oder Unlustgefühle, so auch dem Rätsel gegenüber. Aber nun ist das Rätselraten ein Spiel, unverbindlich und zwecklos. Die wertvollen Kräfte, die es bindet, sind gewissermaßen umsonst vertan, ob sie Erfolg haben oder nicht. Um keinen Lohn hat man sich den Kopf zerbrochen, um keinen Lohn einen Zeitvertreib für einige müßige Stunden gesucht. Man hätte ebenso gut schlafen oder Spazierengehen oder das Kino besuchen können. Allenfalls hat man sich ausgeruht, sich entspannt, sich abgelenkt, und gewiss lohnte es nicht, sich aufzuregen, wenn entweder Anschauung oder Denkkraft versagte. Sieht man einen Fehler in dieser Rechnung? Vielleicht bei der Gegenprobe. Kommt es denn eigentlich auf den Gegenstand an, an dem sich menschliche Kräfte erproben, oder nicht vielmehr auf die Erprobung selbst? Schon in dieser Frage liegt das Zugeständnis, dass das Rätsel zu den Gegenständen gehört, an denen sich Kräfte bewähren können. Enthält es Form-Elemente, die der anschauenden Phantasie und der Kraft des Denkens Aufgaben stellen, dann kann es nicht gleichgültig sein, ob der Mensch vor ihnen versagt oder nicht. Es bedeutet mindestens eine Prüfung gewisser Anlagen, ob man mit dem Rätsel fertig wird. Der »Verstand der Verständigen« kann hier seine Niederlagen vor dem »kindlichen Gemüt« erleben, Niederlagen, die wirklich niederschmettern. Denn es ist keine Kleinigkeit für den hochmütigen Verstand, vor scheinbar Geringerem verzichten zu müssen, und im Augenblick des Verzichtes muss er obendrein das Unrechtmäßige seines Hochmuts erkennen. Aber auch die unverbildete Anschauung hat nicht immer den Schlüssel zur Rätsellösung, sondern muss dem Verstand das Feld überlassen und sich gedemütigt zurückziehen. Keineswegs ist es ganz gleichgültig, wie einer vor dem Rätsel besteht. Wie hier besteht er auch anders. Aber freilich mag er sich trösten: anderwärts geht es ihm besser, anderwärts braucht er nicht zu versagen. Was ist schließlich ein Rätsel? Kein Ernst, nur ein Spiel!
Aber etwas stimmt nicht an dieser Wertung. Der Mensch ist kein anderer, wenn er arbeitet und wenn er spielt. Mag ihm die eine Tätigkeit nützlich, die andere unnützlich erscheinen, so gilt dies nur im Hinblick auf verschiedenen praktischen Nutzen. Ganz und ungeteilt steht der Mensch vor beiden, vor dem Ernst und vor dem Spiel, und das Spiel als etwas Nutzloses, Zweckfreies fordert im Rätsel von ihm ganze Bereitschaft und erhält sie auch. Das freie Spiel der Kräfte, das der Zustand der Entspannung erlaubt, die freiwillige Hingabe an ein Ziel, das außerhalb des Zweckbereichs liegt, lockert ihn, macht ihn menschlicher. Schillers Wort: »Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt« mag auf den ersten Blick für die Situation des Rätselspielers zu hoch gegriffen sein, darauf anwendbar ist es aber sicherlich in dem Sinne, dass der Mensch sich dem Rätsel frei und unbelastet stellt und vor ihm alle Pflicht und Bindung abgelegt hat. Auf Leisten und Versagen kommt es hier gar nicht an, aber auf menschliche Entfaltung, wodurch das Rätselspiel als ein lebenfördernder Wert erkannt wird. Die Freude am Raten hat den Vorrang vor der Freude am Erraten, auch die vergebliche Bemühung hat ihren Lohn. Man braucht nur an den geselligen Ursprung des Rätsels denken, um das zu verstehen, oder an ein Raten in geselligem Kreise, und selbst wenn man sich allein damit vergnügt und keine Lösung findet, so gewährt doch jener Augenblick, in dem es einem wie Schuppen von den Augen genommen wird, kaum geringeres Behagen, als wenn man die Nuss selbst geknackt hätte. Dies bewirkt eigentlich der labyrinthische Charakter des Rätsels. Man wird in einen Irrgarten geführt und gezwungen, krause Gänge zu gehen, die vom Ziele möglichst weit wegführen. Ob man sich selber von diesem Zwang befreit oder sich zurechtweisen lässt: beides macht Freude.
Wenn das Rätsel etwas Freudiges hat, so muss das seiner Form innewohnen, einer Form, die einen Gegenstand irreführend umschreibt. Das ist zwar nicht allgemein richtig, wie wir bestimmt noch sehen werden, aber für die schönsten Rätsel trifft es zu, dass sie irreführen, und nun ist gerade die Irreführung das, worin sich Schalkheit, Laune und Witz des Rätselmachers ein erheiterndes Stelldichein geben. Von vielen Rätselmachern wissen wir nichts. Ihre Rätsel, zum Teil alt überliefert, gleichen den Volksliedern, mit denen sie auch den Volkston gemeinsam haben. Andere Rätselmacher aber kennen wir mit Namen, es sind Dichter wie Goethe, Schiller, Rückert, Mörike, Johann Peter Hebel, oder Denker wie Schleiermacher, Gustav Theodor Fechner, Franz Brentano. Ihr Name tut jetzt nichts zur Sache und steht nur hier, weil wir doch von den Rätselmachern etwas wissen wollen. Wie kamen sie denn dazu, Rätsel zu machen? Franz Brentano, der Philosoph, der unter dem Titel »Aenigmatias« wohl die umfangreichste Sammlung eigener Rätsel veröffentlichte, schrieb 1878 im Vorwort zur 1. Auflage dieses Buches: »Wiederholt fand ich mich in Kreisen, die sich mit solchen Spielen des Scharfsinns zu unterhalten liebten; und nur dem Wunsche, ihnen gefällig zu sein, verdanken meine Rätsel ihr Entstehen.« Und bei Hebel heißt es in einem Brief vom Dezember 1803: »Ich habe jetzt nicht Zeit, mich mit Vierlerlei zu zerstreuen, denn ich suche der Welt, die sich aber lediglich auf unsere Tischgesellschaft einschränkt, durch Scharaden nützlich zu werden. Was kann man auch in einer Jahreszeit Besseres tun, wo einem der Dezember in jede gute Stunde regnet, und eine Nacht der andern über den schmalen Tag hinüber die Hand reicht.« Die Tischgesellschaft, auf die Hebel anspielt, fand sich in einem Kaffeehaus in Karlsruhe zusammen und wurde von ihm nur »die Scharaden- und Rätselakademie« genannt. Er wie Brentano fanden einen geselligen Kreis vor, in dem man das Rätselspiel pflegte, was beiden den Anlass zu eigener Erfindung bot. Aber nicht mehr als den Anlass. Schon dass sie zu solchen Kreisen hinkamen, konnte kein bloßer Zufall sein. Sie stießen notwendig zu Genossen ihrer Lebeisart, unter denen sich ihre eigene überlegene Fähigkeit geltend machen konnte. Auch die namenlosen Verfasser der im Volke umgehenden, in der Zeit der Begeisterung für deutsches Altertum wieder gesammelten Rätsel mögen auf diese Weise zu ihren Erfindlungen gekommen sein.
Auf ganz andere Art kam indessen Schiller zu seinen Rätseln. In seiner »Turandot«, nach einem italienischen Märchenspiel des Grafen Gozzi, ist den Freiern der Prinzessin die Aufgabe gestellt, drei Rätsel zu lösen. Schiller dichtete für die Uraufführung und für die vier Wiederholungen des Stückes eigene Rätsel, jedes mal andere und! im ganzen vierzehn (eins lieferte ihm Goethe). Wenn auch nicht unmittelbar geselligem Zweck dienend, wurden diese Rätsel doch von ihm beeinflusst. Doch das Theaterpublikum riet ja mit, wenn auf der Bühne das Rätsel gesprochen wurde, was eben die Veranlassung dazu gab, dass Schiller für jede neue Aufführung neue Rätsel machte. Von Schillers »Turandot«-Rätsel rechnet man eine neue Liebe zum Rätsel und das Aufkommen des deutschen Kunsträtsels überhaupt. Merkwürdigerweise aber erscheint gerade Schiller am wenigstens als ein richtiger Rätselmacher, den man sich am liebsten als einen schon etwas großväterlichen, gönnerhaften, klugen und witzigen, in Wein und Gastronomie erfahrenen Herrn vorstellt, normalerweise vielleicht so wie sich Hänschen den »Onkel Doktor« vorstellen muss, wenn's hochkommt, wie den Goethe-Hafis des »Westöstlichen Divans«. Auf diese Vorstellung hat sich natürlich das Bild des Rätsel-Aufgebers übertragen, wie er sich dem Kind gegenüber als der spaßmacherisch Überlegene zeigt. Der Aufgebende erscheint in jedem Fall, auch wenn sein Rätsel nicht von ihm verfasst ist, zugleich als der Rätselmacher und in solcher Personalunion doppelt überlegen. Sagt Schopenhauer, dass der Charakter jedes Menschen einem Lebensalter vorzugweise angemessen zu sein scheint, so denkt man beim Rätselmacher erst recht an einen »Alten«, sicherlich am allerwenigsten an den jugendlich-männlichen, hochgestimmten Typus, den uns Schiller verkörpert. Er konnte auch das und konnte es schön. Wir werden seine Rätsel noch besonders betrachten.
Die Frage »Was ist das?« zeigt noch den Zusammenhang, die ursprüngliche Einheit von Ernst und Spiel. Wie die Menschen sieh unter dem Zwang dieser Frage der Welt bemächtigt haben, können wir noch am kindlichen Fragen dieser Art bemerken, aber auch, wie das Kind, verhältnismäßig früh, dieselbe Frage spielerisch begreifen lernt. Hat es sich nur erst der Dinge einiger maßen durch das Wort bemächtigt, ist es dem Rätsel spiel zugänglich und hat seine Lust sowohl am Rate wie am Aufgeben von Rätseln. Als Rätselmacher begnügt es sich freilich damit, etwas zu sehen, was de Partner nicht sieht, oder etwas zu wissen, was der Partner nicht weiß. Das Spiel entwickelt sich dann so dass der raten sollende Erwachsene dem kleinen Rätselmacher einen Teil seiner Funktionen abnimmt, nämlich den Umweg zum Ziel, die Irreführung, indem er nicht geradeaus sagt, was er weiß. Es gäbe ja für die kindlichen Rätselmacher keine größere Enttäuschung als wenn der erwachsene Partner, was er ja meisten könnte, sogleich mit der Lösung herausplatzte. Umgekehrt: wenn der Erwachsene einem Kinde Rätsel auf gibt, muss er ihm die Lösung erleichtern dadurch, da er es, ohne es merken zu lassen, behutsam zum Ziel lenkt. Das Kind will die Lösung nicht zu leicht haben es will aber auch das Bewusstsein genießen, sie selbst gefunden zu haben.
Aus dem frühen kindlichen Verhältnis zum Rätsel spiel lässt sich Allgemeines ableiten. Der Rätselmache wird die Rätselfrage »Was ist das?« niemals so stelle dürfen, dass sie sich direkt beantworten lässt, weil e damit sowohl sich als auch dem Ratenden des besonderen Vergnügens beraubte, das das Spiel beiden Parteien gewährt, sich selber des Triumphes, das Wisse von der Sache möglichst lange allein zu besitzen, de Ratenden des Suchens nach dem richtigen Wege, der zum Ziele führt. Nur darf es der Rätselmacher auch nicht zu schwer machen, damit das Raten als Spiel nicht gefährdet wird. Auch wer nicht errät, muss angesichts der Lösung das scheinbar Schwere noch mit Lust empfind ?n können, er muss die Irrwege, die er zu gehen genötigt wird, zugleich als goldene Brücken erkennen, die er nur hätte beschreiten sollen, wenn nicht . . . Ja, da liegt denn der Hase im Pfeffer. Man hatte ein Brett vorm Kopf, man folgte nicht dem Führungspfeil, sondern lief in der entgegengesetzten Richtung. Hebel hatte eine herrliche Art, sich darüber lustig zu machen: er führte den findigen Kopf — und solcher gab es unter seinen Rätselbrüdern sicherlich genug —, der nur so auf Anhieb die Nuss zu knacken beliebte, mit Wonne an der Nase herum, indem er ihm, just in dem Augenblick, indem ihm dieser sieghaft mit der Lösung ins Wort fallen wollte, lächelnd versicherte, nein, das sei nicht gemeint. So nämlich, um ein Beispiel zu zeigen:
Dem Schlitten nütz ich nichts, es geht durch mich der Wagen,
Und fehl' ich mancher Uhr, so kann sie nicht mehr sagen,
Was ihr Besitzer sich von ihr verspricht:
Ich hin verwandt dem Hochgericht.
Nun ratet, was ihr wollt. — Ein Rad? Das bin ich nicht.
Das ist schon eine ganz böse Irreführung. Nicht nur, dass man meint, es schon geraten zu haben, und da winkt der Rätselmacher einfach ab; die Vorstellung des Rades geistert nun in einem herum, dass man ganz irre wird. Das muss schon ein ausgetüfteltes Ding sein.
Aber nein, es ist nur der — Sand! Nur in seiner Beziehung zum Hochgericht kann man dem Rätsel Undeutlichkeit vorwerfen. Dass auf das Rad nicht getippt werden darf, geht daraus hervor, dass nicht von »der«, sondern von »mancher« Uhr gesprochen wird. Es ist nur des Ratenden Schuld, wenn er darauf nicht achtet. Derartige Finessen gehören zum Rätsel, und nur, wer sie aushecken kann, ist ein guter Rätselmacher. Die im Rätsel steckende Belustigung ist eigentlich seine Quintessenz. Jedes Rätsel ist mehr oder weniger ein Scherzrätsel, bloß darf es nicht von der primitiven Art sein, die wirklich nur den Scherz will und nur eine Scherzfrage, aber kein Rätsel ist, wie das Dutzend Fragen in dem Rätselgedicht aus »Des Knaben Wunderhorn«: »Ei Jungfer, ich will Ihr/Was auf zu raten geben«, oder wie die in unserer Zeit beliebten, meist recht weit hergeholten Fragen: »Was ist der Unterschied zwischen dem und dem?«, die doch nur auf irgendeinen Kalauer hinzielen. Das Rätsel ist durchaus ernst gemeint, der Scherz ist nur sein Mittel.
Der Rätselscherz ist umso sinnfälliger, je mehr das Rätsel Volksrätsel ist, d. h. je weiter sein Ursprung in die Zeiten zurückreicht. Wie das Märchen, wie das Volkslied ging es ehemals von Mund zu Munde, sein Verfasser blieb anonym, seine Schlagkraft wurde gehoben durch die ausgeprägte Form des Gleichnisses und durch den Reim, beides Mittel, die auch das Kunsträtsel beibehalten hat. Diese formale Gemeinsamkeit entscheidet nicht über das, was ihren Unterschied ausmacht. Auch gibt es Kunsträtsel von volkstümlichem Charakter, die jeder Sammlung von Volksrätseln Ehre machen. Der Unterschied zwischen den beiderseitigen Merkmalen liegt woanders, vor allem in der Verschiedenheit der Kreise, denen die Rätsel jeweils dargeboten wurden. Große Rücksicht auf Verständlichkeit nicht nur des zu ratenden Gegenstandes, sondern auch des Rätselgleichnisses ist beim Volksrätsel selbstverständlich. Beim Kunsträtsel ist das Rätselgleichnis anspruchsvoller, auch die Form gebildeter. Es wird auch der Geist bemüht, während im Volksrätsel das, was man geistreich nennt, hinter dem Anschaulichen zurücksteht. Im Volksrätsel gilt, dass der, der das Bild hat, auch die Lösung hat. Im Kunsträtsel ist auch, um das Bild zu erhaschen, eine größere Anstrengung des Denkens vonnöten. Man lobt hier den Scharfsinn des Rätselmachers, seinen Geist und Witz, und der Ratende hat dieselben Mittel anzuwenden, wenn er erraten will. Viel geringer ist der Unterschied in den Gegenständen des Ratens. Wer Kunsträtsel macht, weiß genau, dass das zu Erratende nicht im Fernsten, sondern im Nächsten liegen soll. Das Wahrnehmbare, das, was das Auge sehen kann, bleibt auch im Kunsträtsel vor allem Rätselgegenstand, aber es zu finden, wird erschwert durch Gleichnisse und Beziehungen, die sich dem einfachen Menschen nicht so leicht erschließen. Man muss Volks- und Kunsträtsel gegeneinanderhalten, um ihre Unterschiede zu verstehen. »Es ist eine kleine Türe, aber die ganze Welt kann da durch gehen«, sagt das Volksrätsel, und es ist eins der einfachsten und besten. Denselben Gegenstand meint ein Rätsel von Schiller:
Kennst du das Bild auf zartem Grunde?
Es gibt sich selber Licht und Glanz.
Ein andres ist's zu jeder Stunde
Und immer ist es frisch und ganz.
Im engsten Raum ist's ausgeführet,
Der kleinste Rahmen fasst es ein;
Doch alle Größe, die dich rühret,
Kennst du durch dieses Bild allein.Und kannst du den Kristall mir nennen?
Ihm gleicht an Wert kein Edelstein;
Er leuchtet, ohne je zu brennen,
Das ganze Weltall saugt er ein.
Der Himmel selbst ist abgemalet
In seinen wundervollen Ring;
Und doch ist, was er von sich strahlet,
Noch schöner, als was er empfing.
Vielleicht hat der Leser schon erraten? Wenn auch nicht, er soll die Lösung erfahren, und in der Form, die ihr Schiller gegeben hat:
Dies zarte Bild, das, in den kleinsten Rahmen
Gefasst, das Unermessliche uns zeigt,
Und der Kristall, in dem dies Bild sich malt,
Und der noch Schönres von sich strahlt —
Es ist das Aug', in das die Welt sich drückt,
Dein Auge ist's, wenn es mit Liebe blickt.«
Aber noch ein drittes Rätsel, das das Auge meint, ebenfalls ein Kunsträtsel, sei hier beigefügt. Es stammt von Justinus Kerner:
Kennst du den seltsamen Kristall,
Er deutet strahlend himmelwärts,
Rund ist er, wie das blaue All.
Und seine Folie ist das Herz;
Es spricht aus ihm ein heilig Licht,
Das ist der werten Folie Glanz;
Wenn Lieb' und Leiden die zerbricht
Zerfliesset er in Strahlen ganz.
Da haben wir denn drei Rätsel, die »das Auge« zu raten aufgeben, ein Volksrätsel und zwei Kunsträtsel. Und jetzt heißt es überlegen, welchem von ihnen der Vorzug gebührt. Dass das Volksrätsel besser sein müsse als das Kunsträtsel, nur weil es ein Volksrätsel ist, das kann man bestreiten. Aber in unserm Fall wiegt es, was das Gleichnis betrifft, die beiden Kunsträtsel reichlich auf. Das Auge als eine kleine Türe, durch welche die ganze Welt hindurchgehen ' kann, dieses Gleichnis wird nur noch durch eins übertroffen, an das es sofort erinnert, durch eins, dessen liebliche Schönheit im Zusammen mit ihm noch heller schimmert Gottfried Kellers »Augen, meine lieben Fenster, lein«. Möge der Leser dieses dichterische Gleichnis in diesem Augenblick als einen der glücklichen Einfälle bewundern, die einem Menschen nur selten werden, aber möge er auch von ihm aus unserm Rätselgleichnis Bewunderung nicht versagen. Der es gefunden hat, muss auch ein Dichter gewesen sein, wenigstens für dieses eine Mal, da er ein solches Gleichnis fand. Niemand soll sagen, dass es doch kein einfacheres Gleichnis gebe. Auch die Augen als Fenster wären dann keine große Erfindung. Wenn aber das Einfache groß erscheint, dann hier. Der Rätselmacher— wir wollen jetzt den Dichter außer Betracht lassen — hat mit seinem Gleichnis weit mehr vom Auge ausgesagt als das Rätsel eigentlich erforderte, er hat in hoher Weise den Sinn des Auges ausgesprochen, nicht bloß seinen organischen Wert oder seine körperliche Funktion, er hat des Auges Weltbeziehung, des Menschen Weltbeziehung durch das Auge ausgesprochen, und zwar so, dass sie volksmäßig verständlich ist. Wenn der Ratende das Gleichnis entwertet, indem er es durch das Rätselwort erkennt, kann er es nicht mehr vergessen. Es haftet ihm als Sinnbestimmung seiner selbst: die Welt geht durch ihn hindurch.
In Schillers viel kunstvollerem Rätsel sind die beiden Rätselgleichnisse — das Auge als Bild, das Auge als Kristall — Ergebnisse erlesener Erfindungsgabe, jedoch beide von unterschiedlichem anschaulichen Wert. Ein Bild ist uns eigentlich als ein festes gegeben, sein Inhalt wechselt nicht, es kann nicht zu jeder Stunde, wie Schiller sagt, ein anderes sein. Gewiss, die Bilder wechseln im Auge beständig. Danach wäre das Auge ein Rahmen, in dem die Bilder sich fortlaufend verändern. Das Auge aber als ein sich von Augenblick zu Augenblick veränderndes Bild, das ist zweifellos eine besondere Art von Bild. Dem Rätselmacher kann es nicht verwehrt sein, sein Gleichnis zum Besonderen hinzulenken. Aber es fragt sich, ob das Gleichnis dabei nicht in eine Definition übergeht, die die gedachte Vorstellung deutlich zu machen sucht. Wäre es ohne weiteres als Bild verständlich, ließen sich vergleichsweise auf das Auge wesentliche und bekannte Merkmale des Bildes übertragen, dann stimmte die Rechnung. Ist es aber gedacht als eine besondere Art von Bild, die es in der Wirklichkeit nicht gibt, dann wird es eben als diese Sonderart beschrieben, wie tatsächlich bei Schiller geschieht, und als Ratende gehen wir nicht so sehr auf ein Gleichnis, das uns den gesuchten Gegenstand erschließt, als unmittelbar auf ihn selbst. Denken wir an unser Volksrätsel zurück oder an Kellers »liebe Fensterlein«!
Aber ein schönes Gleichnis hat Schiller für das Auge als einen Kristall gefunden, ein Gleichnis, an dem wahrlich nichts auszusetzen ist, an dem Zug um 'Zug alles stimmt. Und da ist es wohl der Mühe wert, das Pathos der Gesinnung und der Form zu betrachten, mit der es im einzelnen ausgeführt ist, die helle Flamme der Begeisterung, die es ausstrahlt, zu bewundern. Zeile um Zeile möchte man zerlegen, aber man wagt es kaum, weil nichts als Prosa dabei herauskommt, nüchternste Prosa. Man will sich immer nur wieder daran erfreuen, wie schön und groß alles gesehen ist, wie die Form, die schöne Form noch höher hebt, was so gesehen ist. Und so sieht man hier etwas, was dem Rätsel auch dient, was auch das Volksrätsel nicht anzuwenden verschmäht, die Versform, aber nicht nur als Schmuck und Zier, sondern darüber hinaus als ein notwendiges, das Rätselgleichnis tragendes Element. Der Unterschied zwischen Volksrätsel und Kunsträtsel zeigt sich an nichts so sehr wie an dem der Form und dem Grad ihrer Vollendung, der dann seinen Gipfel erreicht, wenn er, wie hier bei Schiller, von dem Gehalt nicht mehr trennbar ist, d. h. wenn das Rätselgleichnis an die Form gebunden ist und in solcher Bindung als vollkommen empfunden wird.
Das Rätsel von Kerner, das offenbar Schiller nachahmt, ist gleichwohl ein Beispiel dafür, wie der gleiche Rätselgegenstand bei wesensgleichem Rätselgleichnis auch in anderer Weise in vollkommener Form dargestellt werden kann. Eigen ist Kerners Gleichnis die Zutat der Folie, der Fassung des Kristalls. Es ist nur zu bedauern, dass uns »Folie« als Wort stört, weil es in seiner Bedeutung nicht mehr allgemein verständlich ist. Das ganze Gedicht bekommt dadurch zumindest etwas Altfränkisches. Davon abgesehen gebührt jedoch auch ihm der Preis eines vollendeten Kunsträtsels. Wenn uns das Schillers dennoch mehr anspricht, so deshalb, weil es Schiller'sche Individualität vollkommen ausdrückt, die wir zudem besser kennen als die
des schwäbischen Romantikers. Dieses ist es, was uns die im Zusammenhang mit der »Turandot« entstandenen Rätsel von Schiller überhaupt besonders wert macht.
Unnachahmlich ist alles an Schillers Rätseln, weil sich auch in ihnen sein Wesen ausspricht. Wer Schiller auch nur etwas kennt, merkt sogleich, ob ein Rätsel von Schiller ist oder nicht. Hat Schiller nur den zu erratenden Gegenstand gefunden, dann sucht er — wenigstens scheint dies seine Technik zu sein — die verschiedenen Merkmale des ihm vorschwebenden Rätselgleichnisses nicht so sehr aneinanderzureihen als ordnend miteinander zu verknüpfen. Der Rätselgegenstand, den er sieh wählt, ist gewöhnlich leicht durch ein Gleichnis auszusprechen und selten schwer zu erraten. Ihm lag wohl auch nicht an schweren Rätseln, denn wurde eins der Rätsel während einer Aufführung der »Turandot« gesprochen, dann war es doch gewiss ein Hauptvergnügen für die Zuschauer, mitzuraten und die auf der Bühne, denen von der Prinzessin die Rätsel aufgegeben wurden, zu übertrumpfen. Goethe bemerkte einmal, als Schiller ihm zwei Rätsel geschickt hatte, er habe das eine sofort, das andere beim zweiten Lesen erraten, sein Sohn (damals 13 Jahre alt) habe beide schon in der Hälfte des Vorlesens geraten. Es ist dies in demselben Brief (vom 2. Februar 1802) bemerkt, in dem Goethe eine vorzügliche Charakteristik der Schillerschen Rätsel gibt: »Ihre beiden neuen Rätsel haben den schönen Fehler der ersten, besonders des Auges, dass sie entzückte Anschauungen des Gegenstandes enthalten, worauf man fast eine neue Dichtungsart gründen könnte.« Wir haben selber schon, als wir Schillers »Augen«rätsel betrachteten, in diese Richtung gewiesen. Nun nehmen wir gern Goethes Bestimmung an, dass Schillers Rätsel »entzückte Anschauungen des Gegenstandes enthalten« und dass dies »ein schöner Fehler« sei, wobei wir allenfalls bedauern, dass Goethe sich nicht darüber geäußert hat, worin er den »schönen Fehler« sieht. Wäre denn die »entzückte Anschauung des Gegenstandes« für das Rätsel ein Fehler? Ja und nein. Nimmt man, was offenbar Goethe tut, als Norm für das Rätsel, dass es die Merkmale de§ zu erratenden Gegenstands auf einen anderen überträgt und dadurch vom Gegenstand selbst ablenkt, indem es doch zugleich durch die gemeinsamen Merkmale zum Gegenstand hinlenkt, so ist in der Tat Schillers Verfahren fehlerhaft. Denn Schiller lenkt nur zum Rätselgegenstand hin, und zwar nicht dadurch, dass er dessen Merkmale auf einen anderen umschreibt. Der andere Gegenstand aber, als dessen Art der Rätselgegenstand umschrieben wird, ist gleichsam Mittel zum Zweck und für sich selbst nicht da. Das Volksrätsel sagt nicht, das Auge sei eine bestimmte Art von Türe, sondern vergleicht das Auge einer Türe. Aber Schillers Rätsel, auch wenn es das sehr treffende Gleichnis vom Auge als Kristall gebraucht, vergleicht nicht eigentlich, sondern schildert das Auge eben als eine bestimmte Art von Kristall. Nun muss sich aber der Ratende so stark auf den Kristall konzentrieren, dass er schließlich doch vom Rätselgegenstand abgelenkt wird, weil nämlich Schiller nicht umhinkann, den Kristall, den er meint, aufs lebhafteste zu beschreiben. Die »entzückte Anschauung« tritt ein, die sich dem Gegenstand so hingibt, dass er anstatt dem zu Erratenden zu dienen, Selbstzweck wird. Nur scheinbar widerspricht das dem, dass wir vorhin seiner Mittelhaftigkeit gedachten. Er ist in der Tat Erläuterungsmittel, während er doch zugleich als solches zu stark hervorgehoben wird. Der »schöne Fehler« dieses Verfahrens wird uns nun klar: Die Rätselform als solche leidet bei Schiller darunter, dass das Verhältnis des Rätselgegenstandes zum Rätselweg nicht angemessen zum Ausdruck kommt. Zwar führt der Weg geradeaus zum Ziel — ohne die Spannung, die der Umweg oder das Einschlagen der entgegengesetzten Richtung ausmacht —, aber gewisse Gesetze der Rätselform erfüllt er nicht, Gesetze, die nicht geschrieben stehen, aber zur Vollendung der Form dienen.
Dennoch gibt es für Schillers Rätsel keine schöneren Vorzüge als ihre »schönen Fehler«. Goethe meinte ja, man könne darauf fast eine neue Dichtungsart gründen. Schiller hätte dies jedenfalls, wenn er nicht nur die paar Rätsel, die er für die Aufführungen der »Turandot« für nötig hielt, gedichtet hätte, auch vermocht. Ein von ihm verfasstes Rätselbuch hätte eine neue Dichtungsart darstellen können. So bleibt uns immer noch in den wenigen seiner Rätsel eine fast ausnahmslos originelle, der Wesenshoheit des Dichters entsprechende Darstellung des Rätselspiels. Man kann vom Rätsel, will man den Ratenden nicht des besten Vergnügens berauben, nicht zu viele Beispiele derselben Gattung vorführen. Möge der Leser, während wir von den Rätseln Schillers zu Ende sprechen, sich das ihm nun schon länger bekannte vom »Auge« gegenwärtig halten und das vergessen, was wir gegen Schillers Rätselgleichnis einzuwenden hatten. Das zu Erratende ist Schiller ein Hohes und, wie er es zu suchen aufgibt, überträgt er das Hohe, das ihm vorschwebt, auf das, was wir vorhin den Rätselweg genannt haben, d. h. auf alles, was sich als Rätselgleichnis oder als stellvertretender Gegenstand ihm anbietet. Er beginnt sogleich diese Dinge in großem Ernst gleichsam als Erkenntnismittel zu charakterisieren und, mehr als das: zu preisen. Diese Preisung des Eigentlichen im Uneigentlichen kann natürlich umso kräftiger sein, als das Geheimnis dadurch verdeckt und das Uneigentliche hervorgehoben wird. Schön ist vor allem die Art der Steigerung, auf der sich das Schillersche Rätsel aufbaut. Sie bewegt sich nicht im strengen Sinne antithetisch aufwärts, aber sie strebt nach einer höchsten Steigerung hin. Ein »Doch«-Satz stellt die vorhergegangene Gipfelung der Aussage noch in der Schatten, und wo es der nicht tut und die Merkmale einfach aneinandergereiht werden, ist das letzt« von ihnen gewiß das höchste. Unter allen Gedichten Schillers aber fallen seine Rätselgedichte dadurch auf, dass sie uns anreden. Zwar gilt ihre Anrede ja eigentlich denen, die sie als Bewerber um die Hand der Prinzessin Turandot raten sollen, aber daran brauchen wir nicht so sehr zu denken. Wir können uns selber durch sie angeredet fühlen, und der engere Kontakt, in dem wir infolgedessen mit dem Dichter stehen, macht sie uns vertrauter als Schillers andere Gedichte, wie überhaupt das dichterische Ich, wenn es ein Du anspricht, eine heimelige Sphäre um sich schafft. Schillers hohe Gesinnung, so oft sie sich in seinen Rätselgedichten gibt, verbindet sich mit einer Herzenswärme, die uns unmittelbar ergreift, um so mehr als sie sich mit jenem höchsten Grade der Anmut ausdrückt, den Schiller selber einmal das Bezaubernde genannt hat.
Es erübrigt sich, auszurechnen, in wie vielen seiner Rätsel Schiller die Form des echten Gedichts erreicht hat, in wie vielen nicht. Im ganzen betrachtet, hat er sie erreicht, und seine Rätselgebilde ragen eben dadurch hervor, dass sie in besonderer Art von seiner Persönlichkeit zeugen und sein Dichtertum widerspiegeln. Meistens aber sind Rätsel wohl gereimte Strophen, doch keine Gedichte, mögen sie auch von Dichtern stammen. Darin einen Minderwert der Gattung zu erblicken, wäre durchaus verwerflich. Denn bedenken wir nur, dass das Rätsel kein Irrationales ist, sondern die Erläuterung eines Gegenstandes durch einen anderen, und dass das beste Rätsel sicherlich das ist, in dem der Ratende freudig erkennen muss, dass die Merkmale des erratenen Gegenstandes sich Zug um Zug mit denen des seine Stelle vertretenden vergleichen lassen. Ein gutes Rätsel büßt nicht« dadurch ein, dass es nur gereimt und nicht gedichtet ist, aber e» gewinnt sehr, wenn es zugleich auch ein Gedicht ist. Als solches kann es sich durch mancherlei ausweisen. Wir wollen einige Beispiele geben: Zur »Turandot« steuerte Goethe folgendes Rätsel bei:
Ein Bruder ist's von vielen Brüdern,
In allem ihnen völlig gleich,
Ein nötig Glied von vielen Gliedern,
In eines großen Vaters Reich.
Jedoch erblickt man ihn nur selten,
Fast wie ein eingeschobenes Kind:
Die andern lassen ihn nur gelten
Da, wo sie unvermögend sind.
Der Ton dieses Rätsels ist offensichtlich auf den der Schiller'schen abgestimmt, ohne ihn jedoch zu erreichen. Nennt Goethe es selber »kahl«, so pflichten wir diesem Urteil vielleicht bei, wenn wir mit Schillers »blühenden« Rätseln vergleichen. Die biblischen Anklänge in den ersten vier Zeilen erheben es für unsere Empfindung weit über den Grad von Goethes Selbstbeurteilung. Doch zeugt es nicht von Goethe und ist nicht jedem leicht als von ihm herrührend erkenntlich, absolut betrachtet aber weit mehr als bloße Reimerei. Es gehört etwa der Rangstufe von Goethes »Sprüchen« an, deren oft wohltemperierte Weisheit uns auch aus ihm anspricht. Es ist ein gutes Rätselgedicht. Schiller hat es nicht erraten, die beiden letzten Zeilen machten ihn irre. In der Tat ist es keineswegs einfach. Es gründet sich, echt rätselmäßig, auf einen scharfen Kontrast zwischen Rätselgegenstand und Rätselgleichnis, der sich indes dem Kenner der Lösung als ein sehr einfacher und ungesucht sieh darbietender zeigt. Die Schwierigkeit- beruht allein darin, dass der Schalttag, der 29. Februar, nicht gerade im Bereich unserer nächsten Vorstellungen liegt. Das vortreffliche Gleichnis ist nicht etwa deshalb tadelnswert, weil es uns den Rätselweg erst recht mühsam macht — im Gegenteil. Wir hätten ein vollkommenes Rätselgedicht, wenn der Rätselgegenstand nicht etwas »ausgefallen« wäre. Vollkommen möchte man hingegen das folgende Rätsel nennen:
Es ist ein krummes Schwert, das hauet mitten drein
In eine große Schar, doch schneidet nicht ins Bein;
Es teilt sich bloß die Schar, da wo das Schwert hinschlug,
Und steht ein Weilchen still, wofern sie war im Zug;
So stellt es Ordnung her im Raum und in der Zeit,
Sofern der, der es führt, nur selber ist gescheit.
Die Frauen aber, wenn auch sonst der Ordnung Hut,
Gebrauchen allzumeist das Schwert nicht allzugut.
Verfasser ist der Philosoph Gustav Theodor Fechner, der 1850 unter einem Pseudonym ein Rätselbüchlein eigener Rätsel herausgegeben hat. Verlangt man vom Philosophen nicht, dass ein Gedicht seine Persönlichkeit widerspiegele, eher, dass es seiner Philosophie Ausdruck gebe, so bekundet wie hier sein Rätselgedicht den Typ des Denkers, der sich nicht in sein Gehäuse verkapselt hat, sondern dem Leben verbunden geblieben ist. Humor und Phantasie haben Fechner das krumme Schwert als stellvertretenden Rätselgegenstand finden lassen. Der glückliche Fund prägt die vergnügliche, etwas burschikose Form. Das Gleichnis hält Stich Zug um Zug. Der Rätselgegenstand liegt jedem sehr nahe, das Gleichnis, seiner Gestalt entsprungen, führt den Ratenden auf einen geistreich erdachten Umweg stets in Zieles Nähe der Lösung entgegen, die »das Komma« heißt. Der Mangel einer eigentlich dichterischen Substanz kann hier gar nicht ins Gewicht fallen. Dem spielerischen Zweckgebilde gibt die Versform zur Erfüllung seines Zwecks die letzte schmackhafte Zutat, nachdem es alle Bedingungen eines vollkommenen Rätselgedichtes erfüllt hat. Nur gereimt sind die meisten Volksrätsel. Dieses z. B.:
Es ritt ein Männchen über Land,
Gewickelt und gewackelt,
Hat ein Kleid von lauter Tand
Gezickelt und gezackelt.
Wer dieses Rätsel kann erraten,
Dem lass ich eine Henne braten;
Und wer es kann erdenken,
Dem lass ich Wein einschenken.(Der Schmetterling.)
Man merkt sogleich an der bildhaften Tonmalerei der Verse 2 und 4 und an den eigentlich überflüssigen vier letzten Verszeilen, dass dieses Rätsel für Kinder bestimmt ist. Noch ein anderes nur gereimtes Volksrätsel :
Es eilt und läuft, niemand sieht's laufen,
Man kann's nicht halten, kann's nicht kaufen,
Macht weder Schritt' noch Sprünge,
Lehrt viel verborgne Dinge.(Die Zeit)
Reizvoll ist es den Formen nachzugehen, die J. P. Hebel seinen Rätseln zu geben vermochte. Vollendete Rätselgedichte findet man bei ihm nicht, meistens Rätselreime, aber es kann auch einmal eine beschwingte lyrische Strophe unterlaufen:
Oft begleit' ich euch zu Schmerz und Leide
An die stille Gruft;
Öfter schwing' ich mich zu eigner Freude
In die Frühlingsluft.
Da es ein Worträtsel ist, sei es hier ausdrücklich nur der Form wegen mitgeteilt und die Lösung verschwiegen. Hebel gelingen auch treffliche Rätsel-Epigramme:
Mein Körper ist von Holz, sehr leicht zu brechen,
Mein Herz kann ohne Stimme mit euch sprechen.
Dieses kleine Kunstwerk ist nicht leicht zu übertreffen, Gleichnis und Form gleicherweise gediegen. Wer es noch nicht erraten hat, wird mit Vergnügen vernehmen, dass es den Bleistift meint.
Ausgesprochene Zeitsatire aus dem vorigen Jahrhundert ist folgendes Rätsel:
Sie lauft die langen Straßen aus,
Schleicht unverschämt in jedes Haus,
Verratet alles, was sie kann,
Lügt alle, die ihr glauben, an.
Und ziert sich noch mit Fürstenschmuck die Stirne.
Wie heißt die freche Gassendirne?
In dieser Weise kommt die Zeitung nicht gut weg bei Hebel, der mit diesem Rätsel der Verantwortungslosigkeit einen Spiegel vorhalten will.
Der Leser wird bemerkt haben, dass wir uns bisher nur an eine bestimmte Art von Rätsel gehalten haben, nämlich an das, für dessen Lösung wir vorwiegend unsere anschauenden Kräfte anstrengen müssen, und bei dem der Rätselmacher, wenn es ihm gedeihen soll, uns den Rätselgegenstand anschaulich darstellen muss. Der Rätselgegenstand aber ist dinglicher Art, d. h. ein konkretes oder abstraktes Ding, ein in Raum und Zeit Wirkliches. Er ist gleichnishaft oder (wie bei Schiller zuweilen) als Art einer übergeordneten Art darzustellen, aber auch durch direkte Beschreibung, wofür wir noch Beispiele nachholen müssen. Das Volksrätsel bedient sieh sogar oft der direkten Beschreibung der Merkmale:
Es ist bald kurz, bald lang
Und doch immer einen Fuß lang.
Das ist eine gelungene Beschreibung des Schuhs. Zur Irreführung dient nur die jeweils verschiedene Länge. Dadurch, dass die Länge jedoch durch den Fuß auch wieder bestimmt wird, gestaltet sieh die Lösung recht einfach. Etwas schwieriger ist das folgende Rätsel:
Will man vieles von mir haben,
Muss man mich zuerst begraben.
Hier macht die Schwierigkeit, die für die Lösung gleichgültige erste Zeile oder vielmehr ihre bedingungsweise Formulierung, die hier den Trick des Rätselmachers darstellt, mit dem er irreführen will. Streng genommen läge die Bedingung gerade in der zweiten Verszeile : wenn du mich begräbst, kannst du vieles von mir haben. Aber das Rätsel würde: dann leichter sein. Jedes Mittel, es zu erschweren, ist dem Rätselmacher willkommen, und so muss man sich einige Mühe geben, den »Samen« zu erraten. Übrigens auch deshalb, weil das »Begraben« irreführt, somit das Säen gewiss nicht bezeichnet wird.
In derlei Rätseln spielt das anschauliche Moment keine große Rolle mehr. Entfällt es aber ganz, dann wird auch der Rätselgegenstand kein Ding mehr sein, sondern ein Wort, wie folgendes Rätsel zeigt:
Sagt heute, wenn ihr wisst,
Was morgen gestern ist.
»Heute« ist natürlich morgen gestern. Dieses Rätsel ist ganz ohne Phantasie gemacht. Man braucht nur etwas nachzudenken, um das Spiel mit heute, gestern und morgen aufzulösen. Ein hübsches Rätsel von Theodor Körner verlangt nur, dass man das Wort überall einsetze:
Oft bin ich der Menschen einziges Wissen,
Der Große gibt sich mit mir nie ab;
Mich zu erzeugen sind viele beflissen,
Wer mich hat, kommt an den Bettelstab.
Wer an mich denkt, hat vieles verbrochen,
Auch der Stocktaube hörte mich gehn,
Der Stumme selbst hat mich ausgesprochen,
Und der Blinde hat mich ganz deutlich gesehn.
Man erhält mich gratis und ohne Geld,
Ich bin der Urstoff der ganzen Welt.
Wenn man es glücklich erraten hat, dieses »Nichts«, wird man erst Vergnügen daran finden. Anspruchsvoll verwirrend, im Grunde aber einfach ist dieses Rätsel von Franz Brentano:
Widerspruch.
Wenn etwas ist, so ist es;
Wenn nicht, so ist es nicht.
Doch, wisst es,
Klärt auf, wie das geschieht!
Es fiel mir etwas ein,
Obwohl dies nicht ist, ist es,
Und ward, um nicht zu sein.
In der Mache ähnelt es wohl dem von Theodor Körner, setzt aber das schärfere Nachdenken voraus. Das Spiel mit dürren logischen Formeln reizt die Ratenden unwillkürlich zu angespanntester Denktätigkeit, als gälte es da wirklich, ein Problem zu lösen, während die Lösung doch wiederum höchst einfach! in einem Wörtchen liegt, ganz fern von jedem Widerspruch — was nicht hier auch der Titel an Irreführung leistet! — und von jeder Logik, nämlich in dem Wörtchen »nicht«.
Indes sind diese »reinen« Worträtsel recht selten während die verschiedenen Arten des Worträtsel überhaupt, wenn auch nicht im Volksrätsel, so doch Kunsträtsel den weitaus größten Platz einnehmen. Da sie aber den Gegensatz zum Dingrätsel gut veranschaulichen, schien es geboten, sie an einer Stelle zu an der sich am Gegensatz zweier grundverschiedener Rätselarten sowohl die Gegensätze der sie gestaltenden als auch der sie lösenden geistigen Kräfte am fasslichsten belegen ließen. Wir haben das Dingrätsel als die älteste und höchste Form des Rätsels nicht deshalb angesehen, weil es am weitesten in die Vergangenheit zurückreicht und über eine reiche Überlieferung verfügt, sondern weil es aus den Kräften der Phantasie erwachsen ist, und aus dieser unerschöpflichen Quelle seine unerschöpflichen Möglichkeiten ließen. Zu seiner Lösung verlangt es die Kräfte der Phantasie, der die Dinge sehende Blick wird zu ihr aufgerufen. Zwar ist das Denken nicht ausgeschaltet, aber ihm ist eine dienende Rolle zugewiesen, die sich im Kunsträtsel, soweit es Dingrätsel ist, kräftiger durchsetzt. Denn wenn das Volksrätsel vorwiegend naiv geformt ist und in Jahrhunderten den Rätselraum allseitig ausgemessen, selbst die Gleichnismöglichkeiten, die am nächsten liegen, abgetastet und den Rätselweg, das Gesetz der Spannung zwischen Rätselgleichnis und Rätselgegenstand, sowie die äußere Rätselform in Vers und Reim bereits vorgeformt hat, so ist es nur dem Lauf der Dinge und dem allgemeinen Gang der geistigen Entwicklung angemessen, dass das Kunsträtsel mit neuen Mitteln das Vorgefundene fortsetzte. Als da waren differenziertere, geistigere Gleichnisse, ja, wenn man will, im Gleichnis eine schon spitzige Entgegensetzung zum Rätselgegenstand, in der Form die Anwendung mannigfaltiger lyrischer Kunstformen bis zum vielstrophigen Gedicht. Die aufsteigende Übung des! Worträtsels liegt schon in dieser Entwicklung beschlössen. Das Worträtsel gestattete, die verfeinerten Denkmittel an die Seite der Phantasie zu setzen und1 das zwischen Denken und Phantasie bis dahin fest] gegebene Verhältnis schnell aufzulösen und, sofern es überhaupt noch geachtet wurde, umzukehren: die Phantasie diente allenfalls noch der Ausschmückung der Form, d. h. der Erschwerung des Rätselwegs, der Irreführung. Anders als das Dingrätsel aber konnte sieh das Worträtsel in Gattungen aufspalten, wobei die Wortzusammensetzung aus Buchstaben und Silben! die verschiedene Bedeutung eines und desselben! Wortes, auch das gleiche Schriftbild für grundverschiedene Wörter eine Rolle spielten.
Es gibt eine Rätselart, die man eine Spätform des Dingrätsels und eine Vorform des Worträtsels nennen könnte und sich dadurch charakterisiert, dass sie ebensowohl ein Ding in seinem verschiedenen Vorkommen wie ein Wort in seinen verschiedenen Bedeutungen zum Gegenstand hat, so dass man schwankt, ob man sie noch zum Dingrätsel oder schon zum Worträtsel zählen soll.
Ein Rätsel von Friedrich Rückert als Beispiel:
Ein starker Baum, der gibt es,
Ein schwacher Mann, der scheint's,
Das Glück auf Erden ist es.
Mit jedem sich vereint's,
Und es vergeht, o Wunder,
Beim Untergang des Feinds.
Gemeint ist der Schatten. Ist er als Ding oder als Wort gemeint? Das »Ding« Schatten meint eindeutig das Volksrätsel. »Was kann unter freiem Himmel von der Sonne nicht beschienen werden?« Es gibt da keinen Zweifel. Gewiss könnte man auch bei Rückert an das Ding denken, aber ebenso gut an das Wort. Wenn auch der Baum Schatten spendet, wenn der Schatten sich auch mit jedem vereint und beim Untergang der Sonne verschwindet, so ist doch weder ein schwacher Mann ein Schatten noch das Glück, sondern beide sind nur wie ein Schatten, beide können nur ein Schatten genannt werden. Im Rückert'schen Rätsel tritt also der Schatten teils als Ding, teils als Wort auf. Ähnlich verhält es sich bei einem anderen Rätsel von Rückert:
Man lässt ihn sprechen,
Man lässt ihn stechen;
Es ist ein Vogel
Und ein Gebrechen.
Hier muss man freilich schon ein Auge zudrücken, um überhaupt noch für ein Dingrätsel zu plädieren. Man könnte es noch gerade dafür gelten lassen, weil sich tatsächlich ein Ding und ein Name — Star, der Vogel und Star, die Augenkrankheit — gegenüberstehen, aber genau genommen gehört es schon in die Gattung von Worträtseln, die man Homonyme genannt hat. Man sieht an unsern beiden Beispielen aber eins: wie das Dingrätsel leicht in das Worträtsel übergeht, dann aber auch, wie das Rätsel überhaupt in seinem Uebergang vom Ding- zum Worträtsel beeinträchtigt wird. Zwar spielt die Anschauung immer noch eine Rolle, aber nur eine dienende, die Hauptrolle ist dem Denken zugewiesen, das sich vor allem nunmehr auf das Wort oder vielmehr auf die Sprache einzustellen hat.
Gest:
Von Hause fuhr ich,
Von Hause reist' ich,
Sah' Weg auf Wege;
Weg war
unten,
Weg war oben,
Weg allerwegen.
Heidrek, König,
Rat du das Rätsel!
Heidrek:
Gut ist dein Rätsel,
Gest der Blinde!
Erraten ist es:
Vogel flog
oben,
Fisch schwamm unten,
Du gingest auf einer Brücke.
Gest:
Wer ist der Helltönende?
Er geht auf harten Wegen,
Die zuvor er getreten;
Hartes er küsst,
Doppelt
sein Mund ist,
Auf Gold nur er regt sich.
Heidrek, König,
Rat du das Rätsel!
Heidrek:
Gut ist dein Rätsel,
Gest der Blinde!
Erraten ist es:
Des
Goldschmieds Hammer!
Wenn Gold er schmiedet,
Laut er singet
Auf dem harten
Amboss.
Gest:
Zwei weibliche Wesen
Und weiße; sie trugen
Gefüllte Gefäße,
Gemacht
nicht mit Händen.
Draußen am Eiland
War der Geschickte,
Der solches vermochte.
Heidrek, König,
Rate das Rätsel!
Heidrek:
Gut ist dein Rätsel,
Gest der Blinde!
Erraten ist es:
Weiß sind die Schwäne
Bei Eilanden draußen;
Im Meere sie
weilen
Und bauen sich Nester;
Nicht Hände sie haben,
Doch Eier sie legen.
Gest:
Jungfrauen sah ich,
Der Erde ähnlich,
Auf steinigem Bett,
Schwarz und
finster;
Doch schönere Töchter
Entsprossen ihrem Schöße.
Heidrek, König,
Rat
du das Rätsel!
Heidrek:
Gut ist dein Rätsel!
Gest der Blinde!
Erraten ist es:
Verborgen in
Asche
Erblasst auf dem Herde,
Die schwärzlichen Kohlen;
Schön waren die
Flammen,
Die aus ihnen schlugen!
(aus der »Edda«)
*
Großmutter, was ist denn das?
Hinter der Holl rumpelt was;
's ist kein
Fuchs, 's ist kein Has,
Großmutter, was ist denn das?
*
Es hängt ein Mann an der Wand
und baumelt mit dem Fuße.
*
Es geht rot zu Wasser und kommt schwarz heraus.
*
Es rumpelt und pumpelt in der hölzernen Kapelle.
*
Ein Haus voll Essen
Und die Tür vergessen.
*
Es sitzen zweiunddreißig Gesellchen
in einem roten Ställchen.
*
Ein Müller war in seiner Mühle, die vier Ecken hatte. In jeder Ecke standen vier Säcke, auf jedem Sack saßen vier Katzen, jede Katze hatte vier Junge bei sieh. Die Frage ist, wie viel Füße in der Mühle waren.
*
Wo liegt der Hase am wärmsten?
*
Es nistet auf dem Dach,
hat lange rote Beine,
weiße Flügel,
gelben Schnabel
und legt Eier.
*
Der arme Tropf
Hat ein'n Hut und kein'n Kopf
Und hat dazu
Nur ein'n Fuß und kein'n Schuh.
*
Ein Gebäude steht da von uralten Zeiten,
Es ist kein Tempel, es ist kein
Haus;
Ein Reiter kann hundert Tage reiten,
Er umwandert es nicht, er reitet's
nicht aus.
Jahrhunderte sind vorüber geflogen,
Es trotzte der Zeit und der Stürme Heer;
Frei steht es unter dem himmlischen Bogen,
Es reicht in die Wolken, es netzt
sich im Meer.
Nicht eitle Prahlsucht hat es getürmet,
Es dienet zum Heil, es rettet und
schirmet;
Seinesgleichen ist nicht auf Erden bekannt,
Und doch ist's ein Werk
von Menschenhand.
Der Dichter antwortet:
Das alte fest gegründete Gebäude,
Das Stürmen und Jahrhunderten getrotzt,
Das sich unendlich, unabsehlich leitet
Und Tausende beschirmt — die große Mauer ist's,
Die China von der Tartarwüste scheidet.
(Schiller)
*
Wer möchten die kleinen Leutlein wohl sein
Mit dickem Kopf und dickem Bein,
Doch einem Leib ach! fadendünn;
In den größten Köpfen ist nichts drin.
Auch fußlos siehst du einzelne stehn,
Doch wenn sie hintereinander gehn,
Bekömmt
gleich Füße das ganze Heer,
Je rascher sie laufen, desto mehr.
(Gustav Theodor Fechner)
*
Das Kloster
Ein Haus ich, schlendernd am Waldes Rand,
Voll lebender Perlenpüppchen fand.
Sie dienen den Müttern mit treuem Sinn
Und halten so gute Ordnung drin,
Dass jedes Blättchen ohne Säumen,
Jed' Hälmchen aus dem Weg sie räumen.
Kein's hat etwas für sich allein;
Und, da sie so still zusammen wohnen,
Auch ziehen in langen Prozessionen,
Kann's schier im Kloster nicht besser sein.
Nur die Maria im Hause fehlt,
Hier hat die Martha allein gewählt.
Hast du's erraten, sei gebeten,
Nie selber in solch ein Kloster zu treten.
(Franz Brentano)
*
Ich komme mit Scham,
Ich gehe, kommt Gram,
Ich komme mit Freud,
Ich gehe,
kommt Neid.
So lang ich mag stehn,
Lust, Leben, wie schön!
Wenn ich ganz vergeh',
Glück,
Jugend, Ade!
(Gustav Theodor Fechner)
*
Öffnet, morgenrotumschimmert,
Weit der Tag das goldne Tor,
Kommt, erquickt
vom langen Schlafe,
Es aus dem Versteck hervor.
Und es reckt sich und es dehnt sich,
streckt gemächlich seine Glieder,
Und
es labt sich und es lehnt sich,
Wirft sich lang zur Erde nieder. —
Doch wenn weiter dann und weiter
Rasch auf seiner Stundenleiter
Steigt empor
der helle Tag,
Zieht vor seinem Flammenblicke
Es allmählich sich zurücke,
Flieht's die Stelle, wo es lag.
Dann, nach dumpfer Mittagsschwüle,
Lockt allmählich es der kühle
Abend
weiter in das Land,
Bis nach blassen Dämmerstunden
Leise es, dem Blick
entschwunden,
Wieder seine Ruhe fand.
(Friedrich Schaefer)
Die eigentlichen Fragen des Denkens gehören nicht in das Rätselspiel, wie sich von selbst versteht. Was im Rätsel aufgegeben wird, muss bereits gelöst sein, und dabei kommt es auch wieder nicht darauf an, dass genau Errechenbares, etwa ein schwieriges Rechenexempel oder sonst irgendein Problem gelöst wird, sondern dass es einen Bereich gibt, vergleichbar dem des Schachspiels etwa, in dem bei zwar begrenzten Lösungen unbegrenzte Lösungsmöglichkeiten bestehen. Dieser Bereich ist — wir schalten nun den der Phantasie und der Dinge ganz aus — der der Sprache.
Die Sprache besteht aus Wörtern, die Wörter aus Buchstaben. Allein hieraus entstehen Rätselmöglichkeiten. Welche, werden wir noch sehen. Die Wörter bestehen aber auch aus Silben. Hieraus entstehen andere Rätselmöglichkeiten. Es gibt ferner Wörter, die aus mehreren Wörtern bestehen, woraus sich Rätselmöglichkeiten ergeben. Aldann gibt es Wörter, die bei gleichem Klang doch verschiedene Bedeutung haben. Auch hieraus entspringen Rätselmöglichkeiten. Es gibt Wörter, die vorwärts und rückwärts gelesen gleich lauten, andere, die ebenso gelesen verschieden lauten und Verschiedenes bedeuten. Halten wir hier einmal inne, um zunächst einige Beispiele zu geben.
Ob der Leser schon einmal versucht hat, aus irgendeinem Wort — meinetwegen »Laub« — durch Weglassen oder Umstellen der Buchstaben andere Wörter zu bilden? Es ist ein Spielchen, das sich bei längeren Wörtern als Schlafmittel empfiehlt. Aus Laub lassen sich Bau, blau, lau, ab, Alb bilden, und der Rätselmacher kann schon damit etwas anfangen. Die Wörter nämlich, die sich so aus mechanischem Mischen gegebener Buchstaben gewinnen lassen, haben ihr eigenes Leben. Wenn »lau« in »blau« enthalten ist, so sind ja doch nur die Buchstaben von »lau« in »blau« enthalten. Der Rätselmacher erdenkt aber nun ein reales Verhältnis der beiden Wortinhalte zueinander, er gibt vielleicht folgendes zu erraten auf: etwas, das weder kalt noch heiß ist, wird himmelfarben, wenn man ihm einen Buchstaben vorsetzt, wird grün, wenn man ihm denselben Buchstaben nachsetzt. Diesem Sachverhalt gibt er, wenn möglich, eine weniger prosaische Form, beispielsweise diese:
Gib dem, was weder heiß noch kalt,
ganz neu den Kopf, du staunst alsbald,
wie's Farbe kriegt und Leben.
Dann köpfe es — es ist erlaubt —,
an seine Füße lieft' das Haupt,
daraus wird neues Leben.
Der Leser verzeihe diese kleine Improvisation. Er hätte sie gewiss anders gestaltet — im Ernst! denn darauf kommt es an, davon hängt sogar alles ab. Der ganze Reiz des Worträtsels besteht darin, dass der begrenzten Anzahl von Lösungen eine unbegrenzte Anzahl von Lösungswegen entgegensteht.
Was auch immer die Sprache dem Rätsel zu gebet hat, das kommt zu einem Teil aus der Teilbarkeit ihrer Wörter, der einfachen in Buchstaben und Silben,; der zusammengesetzten in Silben und Wörter, zun andern Teil aus gleichen oder gleichlautenden Wörtern mit verschiedener Bedeutung. Unzweifelhaft zieht das Rätsel aus den ihm von der Sprache Gegebenen keinen^ geringen Gewinn, während hingegen die Sprache verhältnismäßig leer ausgeht, worüber man sich nicht täuschen soll. Der gleichen Wörter mit verschiedener Bedeutung, der sogenannten Homonyme, gibt es z. B. nur eine gewisse Zahl. Wer die kennt, wird mit den auf ihnen fußenden Rätseln, mögen sie noch so phantasievoll ausgeschmückt sein, leicht fertig werden, dem er braucht nur allesamt auf das vorliegende Rätsel anzuwenden, solange bis er hat, was er finden muss. Oder: sobald sich jemand die wenigen möglichen Fälle errechnet hat, in denen alle fünf Vokale die Stelle miteinander tauschen können, wird er die wenigen Rätsel, die auf diesem Faktum aufbauen, zu erraten imstande sein. Immerhin bietet die Sprache hinreichend Material, dass die Quelle der aus ihr gespeisten Rätsel nicht so schnell versiegt. Geist und Witz mit Phantasie im Bunde haben auf diesem Gebiete Gebilde erzeugt, die wir fast noch mehr bewundern dürfen als die des Dingrätsels.
Der Hauptarten des Worträtsels sind drei: das Homonym, die Scharade oder das Silbenrätsel und das Buchstabenrätsel. Obgleich wir schon Gesagtes wiederholen müssen, wollen wir nochmals angeben, welche Kennzeichen jede dieser Arten besitzen. Das Homonym entspricht der sprachlichen Tatsache, dass es Wörter gleichen Schriftbildes gibt, die verschiedene Bedeutung haben, z. B. das Schild und der Schild, das Band und der Band, lesen in der Bedeutung von sammeln und von (Bücher) lesen, Rat als Ratsversammlung und als Ratschlag usw. Das Homonym genannte Rätsel verwendet homonyme Wörter als Rätselgegenstand. Die Charade oder das Silbenrätsel, auf mehrsilbigen oder zusammengesetzten Wörtern, an denen die deutsche Sprache so reich ist, beruhend, lässt den Silben oder Wörtern, aus denen sie bestehen, selbständige Bedeutung zuteil werden und so Teile und Ganzes erraten. Verändert man in einem Wort einen Buchstaben, macht man etwa aus Rat rot, oder setzt einen Buchstaben einem Wort hinzu, macht aus Rat Rate oder aus rot Brot, dann kann man dies auch in Rätselform tun und erhält ein Buchstabenrätsel. Die Buchstabenrätsel operieren auch damit, dass sie einem Worte Buchstaben wegnehmen, also aus Brot rot machen, oder damit, dass sie im Worte Umstellungen von Buchstaben vornehmen, also aus rot Tor und Ort machen. Von diesen drei Hauptarten des Worträtsels ist die Charade die bevorzugte wegen ihrer besonders reichen Möglichkeiten, aber alle drei Arten lassen sich geistreich behandeln.
Beispielhaft für das, was man mit dieser Rätselform machen kann, ist ein Homonym von Schleiermacher, das folgendermaßen lautet:
Wir sind's gewiss in vielen Dingen,
Im Tode sind wir's nimmermehr,
Die sind's, die wir zu Grabe bringen,
Und eben diese sind's nicht mehr.
Denn, weil wir leben, sind wir's eben
Von Geist und Angesicht;
Und weil wir leben, sind wir's eben
Zur Zeit noch nicht.
Jetzt sollte eigentlich eine große Pause folgen, die der Leser zum Raten benützte. Aber da wir weder Platz für etliche Seiten Gedankenstriche noch die Leser so am Bändel haben, dass sie nicht doch die leeren Seiten überschlagen und das Lösungswort nachschlagen, sagen wir's lieber gleich: verschieden. Die Lebenden sind verschieden und die Toten sind verschieden. Mit diesen beiden Bedeutungen von »verschieden« treibt Schleiermacher, ohne das Wort zu nennen, ein verwirrendes Wortspiel: wir sind's, wir sind's im Tode nicht, die Toten sind's, die Toten sind's nicht, weil wir leben, sind wir's, weil wir leben, sind wir's noch nicht. Aber die spielerische Form des Rätsels ist doch nicht das, was wir am meisten bewundern an diesem Rätsel. Sie täuscht nur über seinen wesenhaften Gehalt. Ein Sinn des Lebens und des Todes ist gleicherweise eingefangen, das Leben als die Individualität erschaffende, der Tod als sie vernichtende Macht. Der Rätselgegenstand, das zu erratende Wort, schlägt die Brücke von der Form zum Sinn, der zwar keine Forderung des Worträtsels ist, aber in seinem gewichtigen Dasein das Rätsel gewaltig hebt. Die religiöse Persönlichkeit des Verfassers steckt in diesem Rätsel so gut wie Schillers ethische Persönlichkeit in den seinigen. Mit denen ist es auch insofern vergleichbar, als man es unwiederholbar nennen darf, sogar über Schillers Rätsel hinaus, weil ein anderes Rätsel auf »verschieden«, das geistreicher, persönlicher und sinnvoller ist, kaum denkbar wäre.
Zwei gute Variationen desselben Themas bringen wir nun als Beispiele dafür, dass bei gleichem Rätselgegenstand verschiedene Lösungswege auch beim Worträtsel, insbesondere beim Homonym, nebeneinander bestehen können. Das erste stammt von Rückert:
Der vom Himmel fällt,
Der die Fässer hält,
Wenn die Traub' es ist,
Die die Fässer schwellt.
Das andere stammt von Franz Brentano:
Beständig ist's in sich gekehrt;
Es ist frühmorgens schon zerstreut.
Das Werk ist's, das den Meister ehrt;
Ein Spiel ist's, welches Kinder freut.
Zweifellos wird der Leser, diese Rätsel für sich wiederholend, die Lösung gefunden haben, bevor sie ihm eröffnet wird. Er hat ja nicht nur bei Rücke drei verschiedene Bedeutungen des Wortes, sonder! bei Brentano noch eine mehr, außerdem sind die Uni Schreibungen, auch die, die in den beiden Rätsel einander entsprechen, grundverschieden voneinander, so dass aus ihrer sieben doch wohl auch dem weniger geübten Rätselrater das gemeinte Wort plötzlich aufleuchtet. Aber vielleicht ist das so nicht ganz richtig gesagt. Verhält es sich nicht auf die Weise, dass man, um den Sinn zu erblicken, doch das Miteinander der verschiedenen Wortbedeutungen in sich aufnehmen muss? »Der vom Himmel fällt«, das kann ja der Regen, der Schnee, ein Meteor sein. Liest man aber, dass der vom Himmel Fallende auch noch die Fässer halten muss, so weiß man gewiss, dass das Lösungswort anders heißen muss, und da kommt man vielleicht schon auf »Reif« und freut sich, in der dritten Verszeile auch noch »reif« (klein geschrieben), zugleich als Bestätigung der richtigen Lösung, zu finden. Wie groß ist dann das Staunen über das ganz anders und doch wiederum scharf treffend formulierte Brentano'sche Rätsel. Da hält der Reif nicht das Fass, sondern ist geständig in sich gekehrt, und ebenso doppelsinnig ist er schon frühmorgens zerstreut, anstatt einfach vom Himmel zu fallen. In sich gekehrt und zerstreut, so fängt es an. Wie schön, wenn der Rätselmacher nun die Charakteristik dieser sympathischen Persönlichkeit hätte fortsetzen können ! So aber verleugnet sich im folgenden der Bruch nicht, der rote Faden ist mit einem Mal abgeschnitten, so dass Rückerts Rätsel von beiden doch den Vorzug einheitlicher Wirkung hat. Aber Brentano — wenn es dem Leser gefällt, noch ein wenig weiter zu vergleichen — hat den interessanteren Ansatz. Die wortspielerischen ersten beiden Verszeilen machen es zweifelhaft, ob da persönliche oder dingliche Merkmale genannt werden, obgleich das »Es« auf ein Ding hindeutet. Jedenfalls ist die Tarnung des Rätselworts vorzüglich gelungen. Durch dingliche Qualitäten dargestellt, dabei scheinbar personifiziert, stellt das zu findende Wort an Denken und Phantasie nicht geringe Ansprüche. Rückerts Rätsel kann ein Kind erraten. Sobald ich den kenne, der »die Fässer hält«, was ja bei diesem überdeutlichen Bild nicht schwer ist, wird mir die unscharfe Bestimmung »der vom Himmel fällt« klar und dass die Traube »es« auch ist. Bei Brentano finde ich die leichteste Bestimmung in der letzten Zeile, die etwa mitsamt der ersten den Weg zur Lösung bereitet. Denn die erste Zeile ist trotz des »in sich gekehrt« und seines zweideutigen Sinnes doch ein gültiges Bild, während man die Bestimmung der zweiten Zeile nur als scherzhaft und für sich selber unverständlich, allein im Zusammenhang des Ganzen billigen kann, eine der Freizügigkeiten, die das Rätsel zieren und oft so genussreich machen. Auch die Werkreife als die dritte Bestimmung in Brentanos Rätsel ist nur aus dem Ganzen verständlich, obgleich für sich selber zutreffend. Mag man sonst gerade bei den Homonymen die Vielfalt der Bedeutungen des Rätselworts und ihre Umschreibungen im Rätsel selbst als einen Vorzug (gleichsam Einheit in der Vielheit) ansehen, in Brentanos meisterlich begonnenem Homonym, in dem eine Einheit ganz anderer Art angelegt ist — die Vielheit der Bestimmungen als Wesenszüge einer imaginären Persönlichkeit — hätte man lieber eine Bestimmung vermisst, wenn dadurch die Einheit des Rätsels zustande gekommen wäre. Was für Kunststücke Brentano aber fertigbringen kann, zeige folgendes Homonym:
Kind winkt zum Kind und lacht;
viel sagt ein solches nicht,
Doch sieht's dem Jawort gleich.
Hüt' dich es zu verletzen!
Nach ewigen Gesetzen
Stirbt, wer es bricht.
Der Trick ist diesmal der verschleierte Übergang von der einen Bedeutung zur andern, der nur dem kundigen Rätselrater durch den Punkt nach dem ersten Teil verraten wird. Man muss auf solche Kleinigkeiten achten. Wenn nicht, passiert es einem leicht, dass man über das Jawort nachdenkt, das man nicht verletzen soll, widrigenfalls man stürbe, womit man wahrhaftig nicht leicht auf das »Genick« kommt, das des Rätsels Lösung ist. Jawohl das Genick! Das Genick von Nicken, das Genick von Nacken, wobei es dem Rätselmacher außerdem noch Ehre macht, mit dem erstgenannten Genick, das wohl in keinem Wörterbuch steht, die homonyme Eigenschaft des Wortes entdeckt zu haben. Aber Brentano schreckte vor dem Ungewöhnlichen nie zurück, das sich auch Hebel gelegentlich leistete, wenn er aufgab: Ich helfe Kisten laden, Doch mach' ich auch Scharaden. Womit er seinen eigenen Namen zu Hilfe nehmend, den Hebel zum Homonym machte.
Einige Homonyme:
Ich sitze oft in mir, um meiner selbst zu pflegen,
Und bin dann um mich
selbst recht herzlich oft
verlegen. (Friedrich Schleiermacher)
*
Sieh! welch ein Dreister
Und Weitgereister!
Mit Vögeln fliegt er,
Mit
Schiffen kreist er;
Sodann beschreibend
Die Welt dir weist er,
Wenn auf den
Blättern
Ihn lenkt ein Meister.
Den Westen kennt er,
Den Osten preist er,
Mit
Süd umglüht er,
Mit Nord umeist er.
Bald rührt und schmelzt er,
Bald scherzt und beißt er;
Mit Wunden spielt er.
Mit Rätseln speist er.
Er schafft Gestalten
Und wecket Geister;
Wenn eure wach
sind,
So sagt, wie heißt er ?
(Friedrich Rückert)
*
Sie machet feist
Nur solche meist,
Die speisen, bis
Man sie verspeist.
Er
wuchs und stand
Auf Bergen dreist,
Auf Wassern steht
Er jetzt und reist.
Du
magst mir sagen,
Wie er heißt,
Wenn sie dir nicht
Benahm den Geist.
(Friedrich Rückert)
*
Es bleibt es am Grabe der Weise;
Es ist es am Ringe der Stein;
Es wird es, fehlt's am Fleiße,
Am Ohr das Schülerlein.
(Franz Brentano)
*
Scherz-Homonym.
Meine Ersten nennt man heilig
Niemals sündigten die
Letzten!
Wär's drum weise nicht, wenn eilig
Wir die vier zusammensetzten? —
Lasst uns Halleluja singen,
Dass es möge gut gelingen! —
Doch man weiß, die Menschen denken,
Aber Gott wird's anders lenken!
Denn nun zählt, was uns geblieben,
Zu den ärgsten Tagedieben!
Sieh, in seinem Lotterbette
Schläft's, als ging es um die Wette! —
Ach, wir werden ausgepfiffen!
Haben wir uns so vergriffen?
Oder waren wir zu
eilig? —
Denn, gewiss, nicht immer heilig
Sind die Ersten, ja, wir kennen,
Viele, die sie böse nennen! —
Doch wir wollen nicht verzagen
Und das Wort noch einmal fragen:
Sieh, in einem andern Sinne
Wird's uns doch noch zum Gewinne,
Aber nur, wenn es uns segnet
Und uns nicht die Müh' verregnet! —
(Friedrich Schaefer)
In der Geschichte des Rätsels war die Charade etwa ums Jahr 1800 und später Modesache. In den Rätselbüchern nimmt sie den größten Raum ein. Man errät in ihr ein Ganzes aus seinen Teilen oder auch umgekehrt die Teile aus einem Ganzen. Das Ganze ist ein mehrsilbiges Wort, die Teile sind Silben oder Silben-paare, die zumeist selbständige Wörter und als solche Teile eines zusammengesetzten Wortes sind. Mit dem Charademacher Hebel sollte man billig anfangen, wenn es an die Beispiele geht, aber Schleiermacher bietet ein vorzügliches kurzes, dass sich für den Anfang besser macht:
Mein Erstes ist nicht wenig,
Mein Zweites ist nicht schwer,
Mein Ganzes lässt dich hoffen,
Doch hoffe nicht zu sehr.
Da braucht man nicht lange zu raten. Was nicht wenig ist, ist viel, was nicht schwer ist, leicht, das Ganze ist »vielleicht«. Ein Muster an Kürze und Klarheit. Ein Muster überhaupt? Das wäre zu bestreiten. Wenn man das vorstehende Rätsel geraten hat, wird man keineswegs ebenso leicht das folgende, das ebenfalls von Schleiermacher stammt, herausbekommen:
O schönes Nr. Eins, in dir ist wahres Leben,
In dir will ich mich auch auf Nr. Zwei begeben.
O schönes Nr. Zwei, worin das Ganze liegt,
In dir ist Nr. Eins, wenn hier Gestöber fliegt.
Da geht es schon tüchtig hin und her und man muss sich notgedrungen erst einmal in der Verwirrung von Nr. eins und zwei zurechtfinden, bevor man überhaupt ans Raten geht. Aber dann kommt einem vielleicht doch ganz rasch der notwendige erhellende Strahl, man fasst erst einmal Nr. zwei als Land und kommt dann blitzartig schnell auf Mai und Mailand. Diesem etwas skeletthaften, nüchternen Scharaden-Typus folgt Franz Brentano in einer etwas fleischigem Charade:
Mein Erstes beherrscht unendliche Weite,
Es liegt mit dem Zweiten in ewigem Streite,
Zerschlägt ihm den Schild an der mächtigen Seite:
Da wallet die Brust von des Kampfes Begier.Mein Ganzes jedoch ist im Ersten das Zweite;
Und stellst vor die Erste die Zweite du mir,
Erscheint es als Erstes im Zweiten dir
Und in ihm wieder des Zweiten Zier.
Es ist reizvoll, wie Brentano das Thema erschöpft, das ihm als Seeland freilich allerhand Möglichkeiten an Hand gibt. Der Widerstreit von See und Land, in der ersten Strophe breiter ausgeführt, ist recht geeignet, den Ratenden zunächst abzulenken. Die Verwirrungstaktik durch Zahlen in der zweiten Strophe wird dem Ratenden dagegen vermuten lassen, dass die Aufgabe eigentlich nicht gar so schwierig ist. Vielleicht ist es die erste Zeile der zweiten Strophe, die ihn ans Ziel bringt: natürlich die Insel Seeland ist Land in der See, und die folgenden so verwirrenden drei Zeilen ergeben ganz einfach, dass der Landsee ein See im Land und auch des Landes Zier ist. Übrigens wird man bemerkt haben, dass sieh sowohl Schleiermachers wie Brentanos Charade je mit einem Homonym verknüpfen, indem Schleiermacher das Land im staatlichen Sinne, Brentano die See als das Meer und den See als Binnensee verwendet, was allerdings in beiden Fällen die Lösung eher vereinfacht als kompliziert. Denn in mehr als einer Bedeutung angewandt, wird das Silbenwort der Charade leichter in uns eindringen, der Tatsache des Homonyms selbst kommt jedoch in diesem Fall kein besonderer Wert zu.
Wir möchten nun gern glauben, gerüsteter für alle Scharaden zu sein. Aber dass man sich nicht täusche! Haben uns Schleiermacher und Brentano soeben mit Zahlen verwirrt, so tut es nun Fechner mit einem Wort:
Die ersten sind ein Untertan,
Die Dritte ist ein Untertan;
Das Ganze ist ein Untertan,
Der von dem andern Untertan
Wird unter den ersten Untertan
Ganz untertänig getan.
Wenn wir eins gelernt hätten, müssten wir die Sache höchst nüchtern betrachten und uns einfach überlegen, welche Wörter uns für »Untertan« zur Verfügung stehen. Die dritte Silbe bringt uns dann gleichsam von selbst auf »Knecht«, worauf wir die beiden ersten leicht als »Stiefel« erkennen und das Ganze als »Stiefelknecht«. Gut und schön! Offen gestanden, mich wundert's, dass man sich so leicht zufrieden gibt, nämlich mit dem Stiefel als Untertan, dass der Rätselmacher auf unsere Zustimmung zu dieser Definition, die uns außerhalb des Rätsels gar nicht einfallen würde, augenscheinlich baut und dazu, wie man sieht, mit Recht. Ist es nicht rätselhaft, dass dies geschehen kann, rätselhaft im Sinne des Worts? In der Tal: derlei Freiheiten gehören der Rätselsphäre eigentümlich an und zeigen, dass die Phantasie im Rätselland zwar nicht allgemein gültige, aber von Fall zu Fall verbindliche Prägungen zu schaffen imstande ist, auf die sich der Ratende bereitwillig einzustellen pflegt. Dies geht bis zum bewussten Scherz, wie ihn sich Hebel zuweilen überlegen gestattete:
Das Ding, von dem die erste spricht,
Freund, dem man's macht, der sieht es nicht,
Die zweite schneidet euch zu Ellen oder Stab,
Nachdem ihr lange her und hin geboten,
Der Kaufmann in dem Laden ab;
Das Ganze hat der Färber schwarz gesotten!
Es deckt — was meint ihr? Etwa Sarg und Bahre?
Gott bewahre!
Hebel spekuliert ganz richtig darauf, dass man »Bahrtuch« rät, was auch richtig sein müsste. Aber er meint es nun einmal hier anders und hat dafür gesorgt, dass man auch »Zopfband« raten kann, was sehr viel schwerer fällt, nachdem man als gewandter Rätselrater, wenn man das Sprüchlein hört, schon den Bahrtuchs sicher gewesen ist und sich nun umstellen muss. Das Glanzstück, das Hebel in dieser Art gemacht hat, lautet folgendermaßen:
Ihr schlaft oft kaum,
Und es besucht euch auf dem weichen Flaum
Mein Erstes bald.
Umgaukelt euch in lieblicher Gestalt;
Ein leis Geräusch, und ihr erwacht,
Verschwunden ist es, einsam ist die Nacht.
Das zweite kommt im Druck ans Licht;
Es wird verlegt von Jahr zu Jahr ;
Vom Ganzen gibt's manch Exemplar.
Ihr meint, ihr habt's? Ein Traumbuch ist es nicht.
Wenn nicht ein Sprichwort lügt,
So soll es in des Krämers Nischen
Sich öfters mit dem Pfeffer mischen.
Wie in der vorigen Scharade nimmt Hebel auch in dieser dem Ratenden die Lösung, zu der er — man kann ruhig sagen »notwendig« — hinführt, aus der Hand. Die Charade als solche ist eigentlich damit parodiert, dass Hebel auf der freilich auch möglichen Lösung »Mausdreck« besteht. Ob es viele gibt, die sie finden?
Schließlich eine Charade von Brentano, die mit Überflüssigem irreführt:
Die Müllerin am Bach,
Die hat ein Kind wie Gold;
Dem blickt der Jäger nach,
Sie ist dem Burschen hold.Wo dicht vorbei am Wald
Das Mühlenbächlein geht,
Gar oft die Büchse knallt,
Wenn sie die Spindel dreht.Doch jetzt ertönt ein Schuss
Im Walde fern und nah,
Das Rad steht mit Verdruss
In öder Kammer da.An Waldes erstem schleicht
Ein Liebe flüsternd Paar;
Man kennt sie wohl nicht leicht,
Doch rat ich, wer es war.Die letzten sind die zwei,
Schilt auch zur Abendstund
Der Förster ihn die drei,
Und sie der Mutter Mund.
Überflüssig sind gewiss die drei ersten Strophen. Allein der Rätselmacher rechnet darauf, dass der Ratende sich aus ihnen irrigerweise Rat sucht und Anhaltspunkte zur Lösung, während doch erst mit den beiden letzten Strophen, ganz unabhängig von den ersten, das Rätsel anhebt. Überprüfen wir's ganz genau, so reichen die beiden letzten Strophen nicht nur für das Rätsel, sondern auch für sich selbst. Es bedarf der lyrisch-balladesken Vorgeschichte der drei ersten Strophen nicht. Doch freuen wir uns der augenzwinkernden Naivität des Ganzen, der schelmischen Nichtsnutzigkeit des dreistrophigen Leerlaufs, der seinen nichtsnutzigen Zweck sicherlich erreicht und dem Ratenden das Rätselwort »saumselig« zu einer harten Nuss macht.
Einige Scharaden:
Es muss das ganze Wort, hat man's mit List gefangen,
Durch seiner Dritten
Kraft hoch an den Ersten hangen.
(Theodor Körner)
*
Die erste Silbe
Ich stamme von rauem Geschlecht, ich bin
So alt als die nährende Erde,
Ich bin's, die am Haupte der Kaiserin
Wie im Staube gefunden werde.
Oft bin ich groß, oft bin ich auch klein,
Groß bin ich von kleinerem Werte,
Klein löst man oft mit vielem Golde mich ein,
Nachdem mich die Kunst verklärte.
Aus mir entsprosste das Menschengeschlecht,
Nachdem sich die Gottheit versöhnte,
Mit mir hat David die Kühnheit gerächt,
Mit welcher ihn Goliath höhnte.
Und ohne mich würde wohl niemals der Ruf
Von Phidias' Ruhme erschallen;
Mich schlägt das Roß mit eisernem Huf,
Auch bin ich schon einmal vom Himmel gefallen.
Die zweite Silbe.
Euch ist doch ein ehmalig Bistum bekannt,
das meinen Namen
getragen,
Ich ward von eines Königes Hand
zum fränkischen Reiche geschlagen,
das mich bis jetzt noch behauptet hat:
Ihr kennt doch das Bistum?
Ihr kennt
doch die Stadt?
Das Ganze
Ich nenn' einen Mann, den mein Erstes ernährt
Und der es auch bildet, so wie
ihr's begehrt;
Es weichet das erste des Eisens Gewalt,
Und formet sich zu der
verlangten Gestalt.
(August Graf von Platen)
*
Wer aus den ersten Beiden
Sehr oft die Dritte tut,
Den könnt ihr
unterscheiden
An seiner Nase Glut.
Sonst geht stets aus den Höhen
Herab des Steines Lauf;
Das Ganze lässt ihn
gehen
Hoch in die Luft hinaus.
*
Es ist eine Festung gewesen,
Drin Peter stritt, der Soldat;
Den hat eine
Kugel erlesen
Zum Ziele nach Gottes Rat.
Doch ehe er sagte sein Amen,
So
schrieb er, zu zeigen sich treu,
Der fernsten Liebsten den Namen
Der Festung, geteilet in drei.
(G. Th. Fechner)
*
Zwei Teile, von zwei und von einer Silbe
Als Nacht gebreitet lag auf stiller Flur,
Eilt ich hinaus. Der Sterne frommes Licht
Wacht betend bei dem Schlummer der Natur.
Auch fehlt der Mond an meiner Seite nicht
Und blicket friedlich mir ins Angesicht.
Still schreit ich fort im Nebelglanz der Auen.
Da seh — kaum will ich meinen Augen trauen —
Die ersten ich, wie's Ganze blendend weiß,
Wie Maienglöckchen fein und hold zu schauen,
Auf zarter dritten springen froh im Kreis.
(Franz Brentano)
*
Am Ersten wird wohl auch geschwommen,
Das Zweite schwimmt und hilft dazu.
Und mögen die Schwimmer vom Ersten sich wahren
Vor Hai und Polyp und andern Gefahren,
Vor einem haben sie sicher Ruh:
Es wird das Ganze von hinten nicht kommen.
(B. Arnold)
*
Die Erste ist nicht der und das
Die Zweite ist nicht das und die,
Die Dritte ist gewiss nicht du,
Sie ist nicht er, nicht es, nicht sie, —
Das Ganze ward im deutschen Land
Schon mancher brave Mann genannt.
(Friedrich Schaefer)
Die dritte Hauptart des Worträtsels, das Buchstabenrätsel, ist für den Rätselmacher vielleicht die - schwierigste, hingegen für den Rätsellöser wohl die leichteste. Denn die deutsche Sprache gestattet hier nicht allzu große Freiheiten, wenigstens nicht, wenn der Rätselmacher wirklich etwas bieten will. Macht er es gut, hat er sich selber den Kopf redlich zerbrochen, und was gelungen ist, sieht oft doch sehr gezwungen aus. Es kommt beim Buchstabenrätsel, wie wir schon sagten, darauf an, entweder durch Veränderung von Buchstaben, oder, besser gesagt, Lauten an irgendeiner Stelle des Worts, aber doch an derselben Stelle, neues Wort und neuen Sinn erraten zu lassen, oder durch Versetzen von Buchstaben oder Lauten an andere Wortstelle dasselbe zu bewirken. Im ganzen haben die älteren Rätselmacher, die noch mit Entdeckerfreude in neues Land eindringen konnten, die besten Möglichkeiten abgeschöpft. Zur Einführung ein sehr leichtes Beispiel von Hebel:
In kühler Luft,
Durch Morgenduft,
Ging in das Feld der M
Mit seiner lieben S.Er sprach: Wie steht die Saat so schön!
Sie sprach: Das wird nicht lang so stehn!
Nun, lieben Freunde, ratet es,
Wer ist der M? Wie heißt die S?
Es ist sicher nicht schwer, herauszufinden, wenn man das Ganze gelesen und sich eingeprägt hat, dass die beiden zu erratenden Namen sich reimen müssen. Und dann haben wir es ganz leicht, sobald wir dessen sicher geworden sind. M's und der S Worte geben es uns ein. Scheinen uns M's Worte noch zu allgemein zu sein, was die S sagt, erleuchtet uns sogleich. Zwar spricht die Sichel gewöhnlich nicht, aber im Rätsel ist wie im Märchen alles möglich, und wir nehmen's hin und freuen uns, mit der Sichel auch den Michel gefunden zu haben. Denn wenn man im Buchstabenrätsel erst einmal ein Wort gefunden hat, dann hat man sogleich auch alle übrigen, zumal dann, wenn es sich um die Veränderung von Konsonanten am Anfang des Wortes handelt, weil sich die zu erratenden Wörter reimen müssen. Etwas schwieriger wird es, wenn es sich um Vokale am Wortanfang handelt. Nicht jedes Rätsel ist dann so leicht wie das folgende von Brentano :
Mit O bring ich dir Veilchen;
Viel bunten Flor mit A; doch wart ein Weilchen,
Bis mit verschämten Wangen
Die Rosen erst gekommen und gegangen.
Vor dem Beiwerk muss sich der Ratende stets in acht nehmen, d. h. er muss, was er verhältnismäßig leicht lernt, zu erspüren suchen, ob und was in einem' Rätsel überflüssig gesagt wird. Hält er sich nur an den Kern unseres Rätsels, an die ersten anderthalb Zeilen, die die Aufgabe stellen, ist er am besten beraten. Denn der größere letzte Teil, obgleich er einen Hinweis zur Lösung gibt, führt doch den Ratenden eher in die Irre als zum Ziel. Denn muss man nicht meinen, er beziehe sich auf beide, auf A und auf O, während er nur ein langer Schnörkel von A ist? Gewiss kommen die meisten Rätselrater auch ohne ihn auf Ostern und Astern, und die Sinnhaftigkeit des A-Schnörkels bleibt ihnen auch nach der Lösung ziemlich gleichgültig, es sei denn, dass sie Grund haben, ihn zu verwünschen, weil er sie eine Weile irre gemacht hat.
Buchstabenveränderungen mitten im Wort betreffen meist Vokale. Sie gestatten immerhin so lange recht hübsche Formen, als sie nicht gerade sämtliche Vokale beanspruchen wollen, wofür uns Brentano wieder ein Beispiel geben möge:
Schmeicheln und Streicheln
Lieblicher Kinder —
Nenn das Gelindeste! —
Ich bin gelinder.Tausche den Mittellaut!
Über den Steg
Geh ich zur Seite dir,
Sichre den Weg.
Dieses Rätsel gehört zu den sehr guten, die schwer sind, weil sie einfach sind. Wie wichtig ist es oft, das Ganze zu überschauen, um einen Fingerzeig zur Lösung zu erhalten! Es sei vorausgesetzt, dass man mit der ersten Strophe allein nicht zurechtkommt. Die zweite Strophe gibt in ihren drei letzten Zeilen ziemlich unverblümt das eine, vielmehr das zweite Lösungswort Geländer. Wie erstaunt ist man dann, in den Worten der ersten Strophe »ich bin gelinder« das andere, bzw. das erste Rätselwort »gelinder«, gleichsam auf offener Straße, vor unseren Augen dahinwandelnd anzutreffen. Es ist einer der reizendsten Tricks der Rätselmacher, uns in solcher Weise zu düpieren.
Brentano hatte aber auch den Ehrgeiz, Wörter zu »verrätseln«, in denen nacheinander alle fünf Vokale auftreten können. Auch für den geistreichsten Rätselmacher — und Brentano gehört mit Sehleiermacher und Fechner dazu — eine mehr peinvölle Sache als ein Vergnügen. Der Zwang, Zufälliges miteinander zu verknüpfen, vor allem in leichter und beschwingter Weise, führte da doch ein bisschen in die Klemme mühsam zusammengeflickter Reimerei. Der Ratende ist ebenfalls übel daran. Entweder nimmt er sich die Zeit, die hier möglichen wenigen Kombinationen in ein paar Stunden oder Tagen zusammenzustellen und jeweils mit dem betreffenden Rätseln zu verpassen, oder er hat eben seine Qual von Fall zu Fall. Das Aufsuchen der möglichen Kombinationen ist dabei nicht einmal leicht. »Warte, Werte, Wirte, Worte« —- schon glaubt man, eine Reihe zusammenzuhaben, da versagt sieh das »U«. Und so geht es mit den meisten derartigen Versuchen. Man würge sich nur durch, bis man auf die vierzehn Wortreihen kommt, die Brentano behandelt hat. Wer die erraten kann, ist in der Lage, jegliche andere Formulierung des Themas zu meistern. Hier ist eine von Brentano:
Kam es mit A dem Kinde nah,
Ruft es mit E nach der Mama,
Mit I es Mensch und Tier gesellt,
Mit O zu Gleichem Gleiches stellt.
Doch wem — etwas geschwächt die Mitte —
Nach altererbter Väter Sitte
Mit U es einer tanzend bot,
den überkommt ein brennend Rot.
Brentano kommt in diesem Rätsel selber mit der Reihe nicht ganz durch und nimmt dem letzten Wort mit dem U-Vokal den einen der Doppelkonsonanten, womit er sieh nicht nur dieses eine Mal aus der Verlegenheit hilft. Wir raten »Rute« nicht allzu schwer und haben dann weiterhin »Ratte, rette, Ritte, Rotte«.
Die »Logogriph« genannten Buchstabenrätsel sind keine Gattung für sich, sondern umfassen alle die Buchstabenrätsel, die durch Weglassen oder Hinzutun von Buchstaben oder auch durch Umstellen von Buchstaben im selben Wort charakterisiert sind. Für sie gibt es wieder viele Möglichkeiten, und mancher gute Einfall hat Gutes und Bestes entstehen lassen. Voran Hebel:
Nehmt immer mir den Kopf und setzt ihn an den Schwanz;
Ich bleib, wie der Polyp, dasselbe Ding und ganz;
Ihr kennt mich wohl; in stiller Nacht,
Wenn nur der treue Wächter wacht,
Umstrahlt mich milder Glanz.
Man nimmt den ersten Buchstaben des Wortes weg und setzt ihn ans Ende, das neue Wort aber meint dasselbe wie das alte. Lampe ist zwar nicht ganz sinngleich mit Ampel, aber wir drücken gern ein Auge zu zugunsten der »guten alten Zeit«, in der das Rätsel entstanden ist.
Zwischen Silben- und Buchstabenrätsel steht das berühmte von Schleiermacher, das in zwei kurzen Zeilen mehr als nur einen geistreichen Einfall darstellt :
Nimm mir ein Nu,
So bleib ich ein Nu.
Nimmt man aus dem Worte »Monument« die Silbe, bzw. die zwei Buchstaben »nu«, so bleibt »Moment«, und »Moment« ist wiederum ein »Nu«. Man muss schon ein besonderes Verhältnis zum Wort haben, um dergleichen zu ersinnen, um überhaupt das Wort zu entdecken, das einen solchen Sinn ermöglicht. Das Einzige, was bei dieser Subtraktion vom Rätsel aus anfechtbar erscheint, ist die Bezeichnung des Monuments als ein Nu, weil es immerhin möglich ist, dieses Wort und seinen Inhalt auch anders, sogar unter dem gleichen Blickpunkt der Ewigkeit, zu betrachten. Diesem weglassendem Rätsel stellen wir noch ein hinzufügendes zur Seite:
In das Herz des größten Weltbezwingers Setze Du hinein,
Und es wird der größte Leidensüberwinder Bezeichnet sein.
Auch dieses gehaltvolle Rätsel stammt von Schleiermacher. Wer es löst, darf sich rühmen, ein Könner zu sein. Die Schwierigkeit beruht am meisten darin, dass man sieh genötigt fühlt, von Alexander bis Napoleon und von Homer bis Goethe sämtliche weltbezwingenden Persönlichkeiten durchzugehen. Schleiermacher meint aber das Geld, aus dem Geduld wird, wenn man die verlangte Addition vollzieht.
Ein mehrstrophiges, schwungvolles Logogriph von Theodor Körner beschließe die Reihe unserer Beispiele:
Was die Natur erzeugt in ihrem Reiche,
Es wird mein Raub.
Die Särge lös' ich, löse selbst die Leiche
Zum trüben Staub.Du raubst mein letztes Zeichen, — ich entschwebe
Im flücht'gen Schwung.
Du bist mein Ziel, du bist's wonach ich strebe,
Veränderung.Nimmst du mein erstes Zeichen auch, — ich singe
Im holden Ton
Der Heldenkraft, der ich begeistert klinge,
den schönsten Lohn.Und gibst du mir mein letztes Zeichen wieder,
Mein silbern Blut
Stürzt sich, ein breiter Strom, zur Ostsee wieder
In tiefe Flut.
So kann man denn auch in jugendlicher Emphase um etwas herumdichten, das sich dann wohlgefällig als Moder, Mode, Ode, Oder entpuppt.
Einige Buchstabenrätsel:
Mein Ganzes nennt dir fabelhalte Wesen
Von zwergichter und häßlicher
Gestalt;
In jenem Ort, in welchem wir verwesen,
Ist ihr beständiger
Aufenthalt.
In alter Sprache stehn, willst du den Kopf mir stehlen,
Zwei Silben vor dir
da, die keinem Menschen fehlen;
Nimmst du auch diesen Kopf, erscheint
Dir eine
Vorbedeutung, Freund!
(August Graf von Platen)
*
Kennst du das Wort, das Herzen mächtig bindet?
Kennst du der Liebe
trauliches Symbol?
Das feste Band, das sich um Freunde windet,
Des Fürsten
Heil, des Vaterlandes Wohl?
An Stärke muss ihm Stahl und Eisen weichen;
Doch hat es einen mächt'gen,
stillen Feind;
Streichst du des hohen Wortes erstes Zeichen,
Hast du die
finstre Macht, die ich gemeint.
Solang die Welt steht, liegen diese beiden
Im Kampf um höchstes Leid und
höchste Lust;
Halt fest am Ganzen, lass sie nimmer streiten
In deiner stillen
und zufriednen Brust.
(Wilhelm Hauff)
*
A, E, I, O, U sind da,
Hab nur acht, wie es gescheh.
Froh hält sich's im
Bett mit A,
Traurig in dem Glas mit E.
Doch mit I lass ich es messen,
Hilft
doch weder Kunst noch Leder,
Gut zu machen solch Vergessen.
Schreib's mit O!
ein starker Fresser
Hat dem Fleische ganz entsagt,
Während anderseits nicht
besser
Ihm die Pflanzenkost behagt.
Doch zum Schluss füg ich hinzu:
Dehnst du
dich So sehnst du dich,
Dass du's bald gedehnt mit U.
(Franz Brentano)
*
Mit A hat's die Lösung gefunden,
Mit E hat's den Knoten gewunden;
Mit I
ist's schelmisch, froh gelaunt,
Mit O betroffen und erstaunt.
Mit U, ein
Sonderling, dich's flieht,
Doch jeder treib es, wie er's sieht!
(Franz Brentano)
*
Mit A verlangsamt's unsern Lauf.
Mit E will's, dass wir an die Schrift uns halten.
Lockt es mit I, heißt's: Augen auf!
Mit O gibt es uns preis des Zufalls Walten.
Verlocket es mit U, Dann heißt es : Augen zu!
(Franz Brentano)
*
Herrlich nenn ich's mit e: den unvergessenen Sänger,
Herrlich nenn ich's mit
i: kostbar Geschenk der Natur,
Herrlich nenn ich's mit o: nie wagte
menschliches Denken
Kühneren, höheren Flug über das Wirrsal der Welt.
(R. Arnold)
*
Wodurch sein Weltreich schuf der Brite,
Nimm diesem Wort eins aus der Mitte.
Kein Weltreich zwar, doch reinstes Glück
Verschafft uns das, was bleibt
zurück.
(R. Arnold)
Als, um zu rächen der Erschlagnen Blut,
Dicht hinter ihm schnob des
Verfolgers Wut
Und nur an einem Faden hing sein Leben,
Was hätte W um Vaters F
gegeben!
(R. Arnold)
Rat, wenn du kannst!
Es nennen einen Wanst
Fünf Zeichen dir,
Und auch die
letzten vier.
(Franz Brentano)
Wir kommen zu einigen Erschwerungen uns schon bekannter Formen des Worträtsels, die sich in neuerer Zeit erst ausgebildet haben, besonders seit und durch Brentano. Homoionyme kamen auch früher gelegentlich vor. Wieder ist es Schleiermacher, der ein gutes und weitbekanntes Beispiel gegeben hat:
Getrennt, mir heilig;
Vereint abscheulich.
Das heißt, es soll ein Wort geraten werden, das, wenn es in zwei oder mehr Wörter zerlegt wird, gleichviel ob silbenmäßig oder nicht, einen neuen Sinn ergibt. Der Erfindung sind hier natürlich Grenzen gesetzt, und das Erfundene ist kaum geeignet, wiederholt oder besser wiederholt zu werden. Die unvergleichlich präzise und sinnvolle Formulierung des beispielhaften Homoionyms von Schleiermacher kann man sich schwer für die gleiche Lösung übertroffen denken. »Mein Eid mir heilig / Meineid abscheulich« — mit der Lösung geben wir zugleich die typische Form einer Rätselart, die »getrennt-vereint« oder »vereintgetrennt« in nicht gerade anspruchsloser Weise zu ihrem Prinzip gemacht hat. Dennoch macht uns gerade dies Lust zum Raten. Da steht man wohl oft wie der Ochse vorm Berg und möchte sich für sehr dumm halten. Das Vermögen der Phantasie versagt und muss versagen, denn kein Bild wirft der Rätselmacher in uns hinein, das uns eine Beziehung zum Wort gäbe. Kenntnisse sind es, Erfahrungen, Menschenkunde, auf die er sich stützt und die er von uns verlangt. Die Ehre des gut Erdachten will die des guten Nachdenkens. Die gesellige Belustigung des Rätselspiels tritt zurück hinter die einsame Beschäftigung mit einem Zeitvertreib, der den Kopf für die Entlastung des Herzens einspannt, auch für die schwerere Problematik des Lebens und Denkens. Man wird sich immer streiten über den Wert und die Rangordnung derjenigen Mittel, die dem Menschen notwendig sind, damit er frei werde von dem, was ihn in jagender Zeit bedrängt. Zu den unedlen gehören die Spiele des Geistes nicht, die die Denkkraft auf Abseitiges und Zweckloses wenden, die sie hochtreiben, um sie am Ende doch nur auf ein Wort, ein harmloses und heiter spielerisches Wortspielen fallen zu lassen. Wie viel Zeit mag man mit der Lösung eines Brentano'schen Homoionyms verbringen, des folgenden vielleicht:
Getrennt der Mann zwar mächtig überwiegt,
Allein vereint besitzt's das Weib und siegt.
An ethischem Gehalt reicht es nicht an des von Schleiermacher, aber es ist klug und heiter ersonnen, und niemand braucht sich zu schämen, ihm nachgegangen zu sein. Der arme zerbrochene Kopf heilt sich schnell wieder aus, wenn er es geschafft hat, und empfindet Freude an dem treffenden Sinn, der aus »Anmut« und »an Mut« einen Mann und Weib charakterisierenden Rätselreim hat entspringen lassen. Dann aber wird man auch eine kleine witzig formulierte Spielerei, einen artigen Spaß nicht verschmähen:
Vereint ein Reich des Ostens nennest du,
Und stimmst getrennt dem Hirtengotte zu.
Das ist Lockspeise für den Rätselrater. Wir wissen schon, dass Brentano und mit ihm die meisten guten Rätselmacher auf solche Erfindungen geeicht sind. Kann es der, der »Japan — Ja, Pan« mit stillem Vergnügen leicht erraten hat, wohl nachempfinden, wie lustig die Jagd auf Rätseltiere dieser Art sein muss, und dann die Erwägung, wie man die Beute möglichst appetitlich serviert? Manchmal kommt jeder auf Wortzerlegungen, die der Wortklang nahelegt, beispielsweise kann er sich nicht freimachen davon, das Sonett in »so nett« zu zerlegen und, mag er wollen oder nicht, das ganze und das geteilte Wort zusammenzudenken. Der Rätselmacher hat es dann wohl leichter dadurch, dass er sich von dem Phantom befreien kann, wenn er es wie Brentano in Rätselform bringt:
Kunstvoll der Reim sich schlinget,
Wenn mich vereint der Italiener singet;
Wie mich der Brite kennet,
Erklinge ich dem Ohr nicht halb getrennet.
Das ist nicht so schwer zu erraten, wie der folgende, gleichfalls von Brentano stammende orakelhafte Rätselspruch:
Säumt die Gefallenen nicht vereint,
Eh es am Himmel getrennt erscheint.
Ja, da heißt es wieder Mühe und Arbeit. Und doch wird es am Ende gelingen, aus den möglichen Bezeichnungsmitteln für die in der ersten Zeile ohne Zweifel gemeinte Bestattung das Wort »einzugraben« herauszufinden. Dieses Wort aber lässt sich — o Wunder! — zerlegen in »Ein Zug Raben«. Da hat sich der Philosoph wirklich Mühe gegeben, nicht wahr? Soll man es glauben? Oder gibt es der Herr denen im Schlafe, die sich einmal auf so etwas eingestellt haben? Möge der Leser darüber entscheiden, wenn er kann.
Noch ein Homoionym:
Man schnürt, versiegelt, nagelt, streicht
Bei mir mit Papp und Leim.
Doch ändre mir den Ton nur leicht,
So schmücket mich der Reim.(Franz Brentano)
Wie das Homoionym dem Homonym, so ist das Charadoid der Charade zugeordnet. Die Zerlegung des Wortes geschieht nicht nach Silben, sondern beliebig. Beispielsweise kann man das Wort »Verstand«, das in der Scharade nur grammatisch richtig »Ver-stand« getrennt werden darf, für die Scharade also nicht sehr tauglich ist, auch »Vers-tand« trennen, wodurch es für ein Scharadoid verwendungsfähig wird. Auch diese Rätselart ist von Brentano vor allem ausgebildet worden, wenn sie auch früher gelegentlich als Charade mitging. Sie ist nicht leicht, aber lohnend, und kann sehr geistreich gehandhabt werden, wie folgendes Beispiel von Brentano zeigt:
Zwei Teile, von einer und von zwei Silben.
(Orthographie unserer klassischen Periode)
Das Erste ein Getränk, ein sonderbar Gemisch;
Ob ihr's auch geistig nennt, es macht den Geist nicht frisch.
Geistvoll mit größerm Recht das Zweite wird genannt,
Wenn Pindars Schwan sich wiegt entrückt dem niedern Land.
Des Ganzen geistger Pfad führt in verborgne Tiefen
Und spürest Schätze auf, die sonst wohl ewig schliefen.
Eine notwendige Erleichterung für den Ratenden ist die Angabe der Wortteilung nach der Folge der Silbenzahl, auch, wie in unserm Fall, wenn nötig, die der Schreibweise. Damit beginnt aber die Schwierigkeit erst, die sonst fast unüberwindlich wäre. Immerhin sind für unser Rätsel die Chancen nicht zu ungünstig. Denn hat man einen der Teile, hat man gewiß das Ganze, und vielleicht kommt man auch vom Ganzen zu den Teilen. Also hat man »Meth« gefunden, wird man vielleicht »Methode« schon vor »Ode« haben. Mancher wird auch »Ode« zuerst erraten, zumal da die zweite Strophe um ihrer reizvollen Form willen zu längerer Betrachtung reizt. Aber leicht ist das Raten nicht, und wenn es vollbracht ist, hat man doch keinen Schlüssel gewonnen, um sich anderes leichter zu machen. Vor allen Dingen bleibt es schwierig, sich die grammatische Trennung in Silben wegzudenken. Auch ist es möglich, dass der Rätselmacher sein Wort nicht von links nach rechts aufteilt, sondern ein Stück aus der Mitte nimmt und es gegen die beiden Randstücke stellt, wie es Brentano z. B. im folgenden getan hat:
Kleinste Zeit in kleinster Zeit.
Genügt das zur Unsterblichkeit?
Hier ist das »Monument« anders angewandt als bei Schleiermacher, und wir haben einen der seltenen Fälle, wo das Wagnis einer anderen Deutung des gleichen Rätselwortes vollauf geglückt ist. Auch erscheint dieses Rätsel beinahe als eine Korrektur des von Sehleiermacher. Es ist ohne Zweifel im logischen Sinn vollkommener, so sehr auch Schleiermacher der Ruhm des thematischen Fundes bleibt.
Ein in der Art ähnliches Scharadoid hat Fechner zum Verfasser. Es mag vielen die Lösung leichter fallen, weil Fechners Darstellungsform volkstümlicher ist als die Brentanos:
(Zwei Teile).
Wer sollte wohl von einer Hennen
Was sonst als dies erwarten können:
Im runden Nest ein rundes Ei,
Das reinlich liegt auf reiner Streu ?Mein Rätsel, sonst der Henne gleichend,
Jedoch an Reinlichkeit ihr weichend,
Legt, ach zu sagen schon ist's arg,
Sein Ei grad mitten in den Quark.Und Wunder! wenn es ist geschehen,
Wollt ihr es etwa auch besehen,
Dreht's rechts und links und rings herum,
Ihr findet nichts dran rund und krumm.
Fechner macht es ausführlich. Man wird bald dahinter kommen, dass die erste Strophe mit ihrer Betonung des Runden und Reinen nicht etwa bloß scherzhafte Einleitung ist. Das Rätsel-Ei ist nicht rund und liegt nicht im Reinen, sondern im Quark, im Dreck. Leg' es getrost hinein, ganz wörtlich, verehrter Leser und Rätselrater, damit dir das Rätselwort zufalle: Dr(Ei)eck, d. i. Dreieck. Man muss eben gerade bei den schwierigeren Rätselformen auf alles gefasst sein.
Einige Scharadoiden:
Vers bin ich zur Hälfte,
Zur Hälfte nur Tand,
Errätst du mein Ganzes,
So
hast du Verstand.
*
Zwei Teile, von einer und von zwei Silben:
Gar manches stolze Schiff, das sich ins Meer gewagt,
Ist, was der Dichter liebt, und was in Sümpfen klagt.
(Franz Brentano)
*
Drei Teile, von je einer Silbe:
Ein Schmerz, ein Ausruf und ein ewig Nein
Wird stets der Grund von aller
Freundschaft sein.
(Franz Brentano)
*
Eins kriegt der schale Witzling oft zu hören
Und darf sich nicht darob
empören;
Der Völkerpsycholog (ich bitte Wundt zu lesen!)
Macht von dem
Zweiten großes Wesen.
Könnt' ich im Ganzen froh die Welt durchgleiten,
Wie
schnell wollt' ich das Dritte überschreiten
Und seliger Wochen Serien Als
Ferien
Verlebt' ich in Hesperien.
(R. Arnold)
*
Mit Eins beginnt die schönste Stufenleiter
Und endigt auch mit Eins; das
geht so weiter.
Hätt' ich Kredit wie Zwei, so wär ich heiter,
Man sah' als
Autofahrer mich und Reiter,
Doch soweit bringt's ja nie ein Schwerarbeiter,
Nein, bleibt beim Fest des Lebens Außenseiter,
Im Heer der Menschheit
bestenfalls Gefreiter.
Das Ganze Drei ein frommem Werk Geweihter,
Den Herrn
der Welten dröhnend benedeit er.
(Franz Brentano)
Nun gelangen wir wieder in die Nähe des Buchstabenrätsels. Zwar handelt es sich beim Palindrom nicht darum, aus der Vertauschung von Buchstaben neue sinnvolle Wörter zu gewinnen, sondern es sollen Wörter erraten werden, die vorwärts und rückwärts gelesen entweder wie »Otto« gleich lauten oder wie »Leben-Nebel« vorwärts und rückwärts gelesen einen Sinn haben. Mit dieser Art Worträtsel wird der keine große Mühe haben, welcher sich klar wird über eine Reihe derartiger Wörter. Wenn er gar diese Vorarbeit gründlich leistet und sieh ein Wortverzeichnis anlegt, wird er trotzdem noch manche Überraschung erleben. Vielleicht wird er dem »Reliefpfeiler« nicht im Rätsel begegnen, aber hat er an das folgende gedacht?
Ich bin ein mächtiger Gott nach alter Erfindung der Griechen,
Aber ein schmales Land Afrikas, kehrst du mich um.
Dieses Distichon von Platen belehrt uns, dass sich »Zeus« in »Suez« umkehren lässt, eine etwas verblüffende Tatsache. Werden nicht die meisten den Vater der Götter und Menschen, dessen Name so gar nicht zur Umkehr verlockt, einfach schneiden, wenn sie die Reihe der Götternamen durchgehen ?
Mancher wird noch mehr lernen durch das Palindron-Rätsel, z. B. dass es Sätze gibt, die vorwärts und rückwärts gelesen einen Sinn haben, wenn es auch manchmal ein Unsinn ist. Hier ist ein Palindrom von Brentano, das uns zeigt, wie sich ein einziges kleines Wort in einen Satz verkehrt, und zwar so, dass sich ein ganz annehmbares Rätsel darbietet:
Vorwärts am Menschenfuß, am Pferdehuf;
Rückwärts, dem Schützen, Fährmann gilt der Ruf.
Es ergibt sich, dass das Wort »Nagel« rückwärts gelesen zum Sätzchen »Leg' an!« werden kann. Wer so etwas ausdenkt, hat sozusagen auch ein Patent darauf. Nachahmungen wären nur statthaft, wenn sie formal wesentlich anderes bringen könnten. Aber mit der Umkehrung des Wortes ist der Rätselmacher in diesem Fall zu sehr festgelegt, woraus man verallgemeinern darf, dass dies jedes mal zutrifft, wenn ein Wort, rückwärts gelesen, einen ausgefallenen Sinn ergibt, oder auch dann, wenn, wie in folgendem Palindrom, das rückwärts gelesene Wort nur dürftig zu einer sinnhaltigen Bildung kommt:
Vorwärts Trauer über Trauer;
Rückwärts Glück, doch ohne Dauer.
Wenn an diesem Rätsel etwas schwer ist, dann das »Trauer über Trauer«. Sobald man aber dahintergekommen ist, dass es sich da nicht um eine Kette von Trauerfällen oder um ein Unmaß von Trauer handelt, sondern wortwörtlich um die Trauer über Trauer, um das Beileid also, wird man dem scharfsinnigen Brentano gern die nicht ganz eindeutige Definition nachsehen und Beifall zollen ob der Entdeckung, dass sich »Beileid« rückwärts »Die Lieb'« lesen lässt.
Auf was ich vorwärts ihm mein gutes Geld gegeben,
Ward rückwärts mir der Freund, da ich es wollt erheben.(Franz Brentano)
Durch Umstellen von Buchstaben entstehen aus einem Wort andere Wörter, z. B. aus Tafel Falte, aus Basel Salbe. Oder auch: ein Wort enthält andere Wörter. Hebel gibt folgendes Anagra,m auf:
Gar wunderschöne Lieder sang er,
Den ich mir denk! Doch aufwärts schwang er
Längst zu den Sternen sein Gefieder,
Und schaut auf Rom und Tibur nieder.
Acht Lettern bilden seinen Namen,
Sucht aus vier Wörtern sie zusammen!
Das erste wünscht zum Höllenfluss
Die
Bratwurst und Laurentius.
Die Langeweil und die Begier,
O zweites, schauen oft nach dir.
Das dritte, leichter Vöglein Wiege,
Hat oft mit Säg' und Hobel Kriege.
Das vierte hat bald die Agenden
Bald hat es die Schalmei in Händen.
Wer den Namen des Dichters nicht zuerst errät — was ja nicht schwer hält, da er auf Rom und Tibur hinabsieht, und die Auswahl an römischen Dichtern nicht gerade groß ist — kann also aus den Buchstaben von vier leicht zu erratenden Wörtern den Namen zusammenstellen. Diese Wörter sind Rost, Uhr, Ast und Hirt. Streicht man von den 14 Buchstaben dieser Wörter die mehrfach vorkommenden, so bleiben r, o, s, t, m, h, a, i, das sind die acht Buchstaben, aus denen nach Angabe des Rätselmachers der Name bestehen soll. Ohne allzu große Mühe finden wir aus ihnen den gedachten Horatius.
Das Wesen des Anagramms drückt vielleicht das folgende Rätsel von Haug noch klarer und besser aus:
Kein Mensch lebt ohne mich. Ist das nicht klar genug,
So wisst: in mir steckt Erbgut und Betrug.
Der Rätselmacher hat es uns leicht gemacht, auf das Wort »Geburt« zu kommen.
Einige Anagramme:
Die — selber ließ ihn auch im Stich,
Auf Gott allein vertraut' er nur und
sich,
Und, die den Menschen —, Geist und Mut,
Sie führten ihn zum — durch die
Flut.
Zu — schien's. Und Klio stand bereit
Und gab dem Augenblick
Unsterblichkeit.
(R. Arnold)
*
Es kennt das heutige — Weib
Nur Sport und Spiel und Tanz als Zeitvertreib.
Als wäre vom — sie besessen,
Sind Putz und Flirt und Klatsch der Inhalt ihres Lebens,
Wenn sie nicht wildern geht in männlichen Bezirken.
Die Pflicht der Häuslichkeit ist ganz vergessen,
In Küch' und Kinderstube
suchst du sie vergebens,
Vormaligen Haupt — für ihr segensreiches Wirken.
(R. Arnold)
Es gebührt sich, das Füllrätsel mit dem Namen dessen zu bezeichnen, der es zwar nicht erfunden, aber als Kunsträtsel zu Ehren gebracht hat. Wie Franz Brentano überhaupt das meiste für das Rätsel in neuerer Zeit getan hat, so hat er mancher Rätselart zu neuem kräftigen Leben verholten. Das Füllrätsel aber hat er erst bei uns eingeführt. Er behauptet, es in seiner Jugend an Rhein und Main volkstümlich gefunden zu haben, und manche seiner Beispiele seien sozusagen dem Volksmund entnommen. Das Füllrätsel ist, nach seinen Worten, nichts anderes als eine unvollendete Erzählung oder eine Art von Rede, die durch eine Anzahl zwei oder mehrmals in derselben Ordnung wiederkehrenden Silben zu Ende geführt werden soll. Die sich wiederholenden Worte sollen wesentlich verschieden, aber dem Laute nach einander gleich sein. Buchstäbliche Übereinstimmung ist dagegen nicht gefordert; auch die Quantität und der Akzent dürfen wechseln, und gewöhnlich erlaubt man auch kleine Unreinheiten, ähnlich wie Dichter sie sich oft in den Reimen gestatten. Die Zahl der zu wiederholenden Silben und die Zahl der Wiederholungen wird angegeben. Ein richtiges Füllrätsel wäre hiernach folgendes:
»O dieser niederträchtige Mensch!« rief der verratene Freund. »Ihr Götter! ich kann es euch nicht verzeihen, dass ihr einen solchen dal — dal.«
Die ergänzende Lösung ist »Schuft schuft«.
Soweit Brentano. Wir haben — viele von uns vielleicht zum ersten Mal — den aufreizenden Sinn des »Dal-dal« vernommen, mit dem der Rätselmacher die zu ergänzenden Silben und Wörter zu bezeichnen pflegt. In der Tat ist es fast empörend, dass solches Nichts uns noch gerade vorm Ende das Wort vom Munde bzw. von den Augen raubt. Welche Rätselart bietet dergleichen! Und weil nun manches Füllrätsel auch noch sehr reizvoll erzählt ist, kann man sich nicht genug tun, das alberne »Dal-dal« aus dem Wege zu räumen. Beispielsweise hier, wo es doch wirklich sehr stört:
Eine eigentümliche Majestätsbeleidigung wurde gegen Friedrich den Großen, als nach Abschluss des siebenjährigen Krieges eine neue Münze geprägt wurde, begangen. Die neuen Talerstücke trugen auf der einen Seite den Kopf des Königs, auf der anderen aber las man statt dal dal dal dal — dal dal dal dal.
Wie ärgerlich, so um die Pointe betrogen zu werden. Aber wie sie finden? Kann das überhaupt mit natürlichen Mitteln geschehen? Reicht mein Kopf dafür aus? Das freilich ist sehr fraglich. Aber er müsste es, wenn auch etliche Denkakte nötig sein werden, die »Dal«-Lücken auszufüllen. Wie bei jedem anderen Rätsel muss man also auf die Data sehen. Es ist nicht' nur der Wortlaut einer Majestätsbeleidigung zu finden, sondern auch der eigentliche Wortlaut der Münzinschrift, aus der die Beleidigung gemacht wurde. Vielleicht lässt man sich zunächst dadurch irreführen, dass die betreffenden Münzen nach Abschluss des Siebenjährigen Krieges geprägt wurden, und rät auf eine Inschrift, die auf diesen siegreichen Abschluss Bezug nimmt und irgendeine Belobigung des Königs enthält. Aber bald merkt man, dass man auf falscher Fährte war. Unser Text sagt indessen deutlich, dass es sich nicht um eine beliebige Münze, sondern um Talerstücke handelte. Wir kommen wohl besser zurecht, wenn wir uns an die Tatsache halten, dass damals wie heute auf der einen Seite der Münze der Münzwert angegeben war. Welcher Münzwert stand auf der Münze? Ein Taler kann es nicht gewesen sein, denn es sind vier Silben, nicht drei, auszufüllen. Also — so verlangt es unser Rätsel »ein Reichstaler«. D. h. so hätte es da stehen sollen, es stand da aber »Ein Reich stahl er«.
Viel leichter sind solche Füllrätsel, in denen sich am Schluss das Versuchte aus dem Sinn des Satzes ohne weiteres ergibt:
Das sind dir schlechte Freunde, die dich nur ausnützen wollen, und nach errungenen dal dal dal - dal dal dal.
Da kommt es einem wie von selber auf die Zunge »Vorteilen forteilen«. Oder ein anderes, in dem das dem Satze notwendige Zeitwort die Lösung sofort preisgibt:
Dieser Gutsbesitzer scheint ganz besonders vom Himmel gesegnet. Sieh nur, wie sich seine Scheuern mit Korn, und seine Ställe mit dal dal — dal dal.
Beim Schling-Füllrätsel, einer komplizierenden Abart des Füllrätsels, soll ein abgebrochener Satz durch einen Schüttelreim ergänzt werden. Wir dürfen auf Beispiele verzichten, da im Prinzip das Füllrätsel durch die Erschwerung nicht verändert wird.
Einige Füllrätsel:
Ein Mann aus Bombay war erkrankt. Sein Arzt, gerade damit beschäftigt, ihm etwas zu verordnen, wurde plötzlich in dringender Weise abgerufen. So schnell er konnte, schrieb er sein Rezept zu Ende und folgte dahin, wo man seiner Hilfe wartete. Bald darauf wurde ihm gemeldet, der Asiate sei, nachdem er kaum von der für ihn bestimmten Arznei gekostet, unter Konvulsionen verschieden. »Unseliger«, sprach er da erschrocken zu sich selbst, »was hast du getan? Hast du dich vielleicht gar, indem du den Trank dem dal dal dal dal dal dal — dal dal dal dal dal dal.
(Franz Brentano)
*
Ein Rätsel, das jemand aufgegeben, beschrieb den Gegenstand ganz so, als solle er der Teebereitung dienen. Nur ein Punkt ließ sich nicht wohl damit vereinigen. Mit Recht sagte darum einer aus der Gesellschaft: »Wäre das eine nicht, das dal dal dal dal — dal dal dal dal.«
(Franz Brentano)
*
Mein Freund hat mich verlassen; aber ich hoffe, es wird bald wieder sein dal dal — dal dal.
(Franz Brentano)
Nur um seiner Verbreitung und Beliebtheit willen nehmen wir auch das Kreuzworträtsel noch in unsere Betrachtung auf. Zwar gehört es zur Gattung der Worträtsel, unterscheidet sich aber von deren verschiedenen Arten sehr wesentlich dadurch, dass es des eigentlich Rätselhaften entbehrt. Es ist ein Produkt unserer nüchternen Zeit, das im Grunde nur ein wenig Wissen verlangt und nicht einmal das, weil man jede der für das Rätsel gestellten Fragen auch mit Hilfe des Konversationslexikons beantworten kann. Außerdem stehen die zu suchenden Wörter derart miteinander in Zusammenhang, dass sich eine Anzahl von ihnen mit anderen in gemeinsame Buchstaben teilt. Steht z. B. »Rose« in der ersten waagerechten Reihe, so geht vielleicht vom »o« dieses Wortes senkrecht nach unten das Wort »Orange« aus, das in der zweiten
Zeile das waagrechte Wort »Meer« in dessen »r« kreuzt in der vierten das waagrechte »Renate« mit dessen »n«, in der fünften »Glas« mit dessen »G«, in der sechsten »Erde« mit dessen Anfangs-E. Das sieht dann so aus:
ROSE MEER A RENATE GLAS ERDE
Diese Kreuzungen der waagrechten und senkrechten Wörter erleichtern natürlich die Frage-Beantwortung ungemein. Man kommt mit Hilfe der gemeinsamen Buchstaben schnell voran. Hat man »Rose« und »Orange«, ist »Gewässer«, ist »Mädchenname«, ist »Planet« schnell gefunden. Wer einmal öfters Kreuzworträtsel geraten hat, wird ihren Reiz bald in der Schnelligkeit des Erratens finden. Die Sache selbst wird nämlich eintönig, weil der Vorrat an Wörtern, die sich für diese Rätselart eignen, im Deutschen nicht sehr groß ist. Damit die Rechnung glatt aufgehe, sind vor allem Wörter erforderlich, die wie »Rose, Renate, Sage, Eger, Note, Pilot usw.« einen regelmäßigen Wechsel zwischen Vokalen und Konsonanten haben. Zwar hilft man sich damit, dass man zählreiche Felder des Kreuzworträtsel- Quadrates sperrt, um Abwechslung zu bringen, aber Wiederholungen werden dadurch doch nicht verhindert, und im großen und ganzen hält sich der große Fragebogen nach 60, 80 oder 100 und mehr Wörtern gezwungenermaßen teilweise an eine Art von eisernen Bestand.
Nie wird man finden, dass sich ein Kreuzworträtsel bei größerem Umfang kompliziert. Man hat nur etwas länger damit zu tun. Der Prozess des Lösens vollzieht sich gewöhnlich in der Weise, dass man irgendwo beliebig ansetzt — sei es links oben, rechts unten oder in der Mitte —, irgendwo, wo man sicher weiß, dass der gefragte Fluss in Italien, für den fünf Buchstaben zur Verfügung stehen, kein anderer als der Tiber sein kann, und wo die Tageszeit, die ihn von oben nach unten kreuzt, der Abend sein muss. Füllen wir also die Felder an der angegebenen Stelle mit den Buchstaben dieser Wörter:
A B TIBER E O NOTE D
Ein diplomatisches Schriftstück, das vier Buchstaben hat, geht vom N in Abend nach rechts: Note. Das R von Tiber und das T von Note gehören zu den vier Buchstaben eines Nahrungsmittels, das natürlich Brot heißen muss. Da ist nicht viel zu raten. So füllt man allmählich die Felder des umfangreichen Quadrats, halb wissend, halb kombinierend, kaum ratend. Dass man es weiß und hat und schnell weiß und hat, ist eigentlich der Reiz des leichten und anspruchslosen Zeitvertreibs, dem der Name »Rätsel« kaum gebührt. Kein Irreführen, kein Geheimnis waltet hier. Ein wenig
Schulwissen ist hinreichend, eine bescheidene Wissensprüfung zu bestehen. Das leicht errungene Hochgefühl, bestanden zu haben, macht die Beliebtheit dieser Halb-Rätsel-Art und zerstört leider die Freude am echten Rätsel, an der Tätigkeit des anschauenden und denkenden Geistes, die es in Bewegung setzt.
In den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm findet man ein Rätselmärchen, das so lautet:
Drei Frauen waren verwandelt in Blumen, die auf dem Felde standen, doch deren eine durfte des Nachts in ihrem Hause sein. Da sprach sie auf eine Zeit zu ihrem Mann, als sich der Tag nahte und sie wiederum zu ihren Gespielen auf das Feld gehen und eine Blume werden musste: »So du heute Vormittag kommst und mich abbrichst, werde ich erlöst und fürder bei dir bleiben«; als dann auch geschah. Nun ist die Frage, wie sie ihr Mann erkannt habe, so die Blumen ganz gleich und ohne Unterschied waren? Antwort: »Dieweil sie die Nacht in ihrem Hause und nicht auf dem Feld war, fiel der Tau nicht auf sie, als auf die andren zwei; dabei sie der Mann erkannte.«
Gibt es eine sinnreichere Deutung des Rätselwesens? Die verwandelte Frau, die des Nachts zuhause sein darf, bedeutet das im Rätsel verzauberte Ding oder Wort, das dennoch zugleich mit uns in unserer wirklichen Welt lebt, das erlöst sein will, um uns wieder ganz anzugehören. Aber woran soll man es in jener anderen Welt erkennen? Eben an einer Kleinigkeit, die unverwandelt geblieben ist. Scharfblick und Scharfsinn gehört dazu. Auch der Mann, der die Blume brach, die vom Tau nicht benetzt war, hat das Zeichen erst gesucht, das ihn zur Erkenntnis brachte, und obgleich er es zur rechten Stunde fand, mag er zuvor in die Irre gegangen und mancherlei Verlockungen gefolgt sein. Er hatte aber die Geduld und den unverstellten Sinn, der den Dümmlingen und jüngsten Söhnen des Märchens angeboren ist, die die Prinzessin finden und das Königreich erben. Weil sie nach nichts trachten, fällt ihnen alles zu, weil sie von ihrem Ich absehen können, kommen sie zur Erfüllung ihres Selbst.
Das verzauberte Ding oder Wort, das der Ratende wieder in seine natürliche Ordnung zurückholen soll, verheißt uns zwar nicht den hohen Lohn wie die verwunschene Prinzessin im Märchenland, aber es fordert von uns, wenn wir es erlösen wollen, eine Haltung, die dem spielerischen Geist des Rätsels eine ethische Grundlage gibt und demzufolge einen Lohn in sich selbst trägt, der über den sachlichen Ertrag des Lösung hinausgeht. Ob sich nämlich der Rätselrater dessen bewusst ist oder nicht, der Erfolg wird ihn darüber belehren, dass er am meisten erreicht, wenn er am wenigsten tut. Er darf bereit sein, aber nicht mehr, vor allem nicht wollen, vor allem nicht von sieh aus erzwingen wollen. Seine Entspannung muss echt sein, damit die Kräfte, die das Rätsel verlangt, sich entfalten können. Vorgefasste Meinungen, Methoden oder Praktiken muss der Ratende beiseite lassen, vergessen, was er ist und hat. Denn das Rätsel leitet ihn. Und wenn es versucht, ihn irrezuleiten, wie es ein gutes Rätsel soll und muss, er wird der Versuchung nur erliegen, wenn er seinem Ich folgen zu müssen glaubt. Sonst aber geschieht ihm das Schicksal des Entdeckers oder Erfinders. Im Rahmen des Spiels erahnt er etwas von den Zufälligkeiten und Glücksumständen, die das Genie zu seinen Taten führen, lernt warten und geduldig sein, dem guten Stern vertrauen und das Wesen der Weisheit verstehen, der das Streben und Trachten der Welt Torheit bedeutet.
Wie der jüngste Sohn des Märchens zieht er hinaus in den Zauberwald des Rätsels, nur auf die Zeichen merkend, die ihm gegeben werden und die der unverstellte Sinn leicht erfasst, bis er unversehens vor dem Gesuchten steht, das seiner Erlösung harrt. Der Rätselspuk versinkt, das Dunkel weicht heiterer Helle, und die Geister des Scherzes umschweben in klingendem Reigen die glückliche Heimkehr in die entzauberte Welt.
Feuer im Ofen — Uhr — Kohle — Butterfass — Ei — Zähne — Zwei Füße, denn die Katze hat Pfoten — In der Pfanne — Die Störchin — Der Pilz — Die Noten — Der Ameisenhaufen — Das Rot der Wangen — Der Schatten.
Rat — Kiel — Mast — Gefasst — Siebenschläfer.
Galgenstrick — Steinmetz — Flaschenzug — Peterwardein — Elfenbein — Lido — Kork — Krokodil — Diederich.
Gnomen, Nomen, Omen — Treue, Reue — Rast, Rest, Rist, Rost, Ruhst — Aha, Ehe, Ihi, Oho, Uhu — hast, hes't, hist, hos't, hust — Platen, Platin, Platon — Schifffahrt, Schifahrt — Wittich, Fittich — Bauch.
Versendung
Verstand — Versunken — Harmonie — Autotempo — Domorganist.
Borg—grob.
Nadel, adeln, lande, Ledan — Mondäne, Dämone, Domäne.
1. Inder hast verschrieben—in der Hast verschrieben
2. Thema schiene—Teemaschine —
3. Herz ihn— herziehn.
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1) griech. homos = gleich, homoios = ähnlich, onoma = Name, Wort. — Homonym — Homoionym.
2) Scharade: vom keltischen chwar = ,Spiel' (?) oder vom französ. char = Leiterwagen (der aus einzelnen Sprossen zusammengesetzte).
3) griech. palin = wieder, zurück; dromos = Lauf. — Palindrom
4) griech. ana = auf, an, um; gramma = Buchstabe. — Anagramm