Franz Clemens Brentano
(* 16. Jan. 1838 in Boppard am Rhein; † 17. März 1917
in Zürich) war ein deutscher Philosoph, Psychologe und Begründer der
Aktpsychologie – und Rätselautor, der die »Wiener Schule« begründete.
Brentano hat das Büchlein mit dem Titel Neue Räthsel unter
dem Pseudonym Aenigmatias veröffentlicht; die Ausgabe von 1962 hat den
Titel Aenigmatias und die Autorenangabe Franz Brentano.
Das Pseudonym Brentanos ist vom griechischen Wort αἴνιγμα (Ænigma, Enigma,
Ainigma) = Rätsel abgeleitet. Aenigmatias bedeutet in etwa Rätselfreund.
Neue Räthsel
1. Auflage
Verlag:
Gerolds Sohn, Wien
Datum:
1879
Seiten:
192
Das Buch enthält ~200 erstklassige und meist schwierige Rätselgedichte aus der
Feder von Franz Brentano ohne Lösungen.
Aenigmatias
5. Auflage
Verlag:
Francke Verlag, Bern und München
Datum:
1962
Seiten:
190
Das Buch enthält ~400 erstklassige und meist schwierige Rätselgedichte aus
der Feder von Franz Brentano ohne Lösungen.
Quellen und Copyright
Die 1. Auflage ist frei im Internet als PDF verfügbar (für alle, die Fraktur
lesen können):
Die Werke von Franz Brentano sind gemeinfrei, da deren Verfasser vor mehr als 70 Jahren
verstorben ist.
Rätsel in den verschiedenen Auflagen
Die einzelnen Auflagen unterscheiden sich teilweise drastisch, was die
Anzahl der Rätsel betrifft; es handelt sich eher um »erweiterte Ausgaben« denn
Auflagen.
1.
1879
2.
1909
3.
1919
4./5.
1933
1962
Rätsel
20
33
46
46
Homonyme
24
28
41
41
Homoinyme
17
26
27
27
Scharaden
50
68
72
69
Scharadoiden
22
39
44
44
Verdopplungs
Scharaden
3
5
11
11
Verdopplungs
Scharadoiden
6
28
23
23
Palindrome
12
25
28
28
Palindrome
von und nach
der Mitte
4
4
4
4
Buchstabenrätsel
13
21
31
31
Füllrätsel
30
56
64
62
Schlingfüllrätsel
0
16
16
16
Summe
201
339
407
402
Die gleiche Anzahl bedeutet nicht, dass die Rätsel identisch sind; einige
wenige wurden gelöscht und durch andere ersetzt.
Die Klassifikation entspricht der von Brentano, die größtenteils, von
wenigen Ausnahmen abgesehen, mit der unsrigen übereinstimmt.
Lösungen
Brentano hat keine Lösungen angegeben. Alle bei uns angegebenen Lösungen
stammen aus Rätsel-Sammelwerken bzw. haben wir bzw. unsere Besucher gefunden.
Die Lösungen müssen daher nicht notwendigerweise mit denen von Brentano
beabsichtigten Lösungen übereinstimmen.
Falls Sie Javascript aktiviert haben, können Sie die Tabelle sortieren,
indem Sie auf eine Spaltenüberschrift klicken.
Vorwort zur ersten Auflage
[Anmerkungen von uns – den Website-Betreibern – in eckigen Klammern. Die
Fußnoten sind von uns.]
Das Staunen, sagt Aristoteles,
ist und war von Anfang, was die Menschen zum
Philosophieren führte; sie fühlten einen Drang zur Lösung der Rätsel. Wo nun
dieser lebendig ist, da wird er, wie im Großen, auch im Kleinen sich
offenbaren. Und darum darf niemand sich wundern, wenn der, dem er wiederholt
auf den Wegen der Philosophie begegnete, in diesem Büchlein als Freund von
Rätsel spielen ihm nahet. Männer wie Schleiermacher und
Fechner sind hier mit
dem Beispiel vorangegangen.
Die einzelnen Aufgaben stammen aus sehr verschiedenen Zeiten.
Was eine lange, weite Strecke
Im Leben auseinander stand,
Das kommt nun unter einer Decke
Dem guten Leser in die Hand.
Sie sind recht eigentlich Erzeugnisse der Gelegenheit. Wiederholt fand ich
mich in Kreisen, die sich mit solchen Spielen des Scharfsinnes zu unterhalten
liebten; und nur dem Wunsche, ihnen gefällig zu sein, verdanken meine Rätsel
ihr Entstehen. Begegnet man bei ihrer Lösung oft großer Schwierigkeit, so
trägt die Geschicklichkeit derjenigen die Schuld, für die sie zunächst
bestimmt waren. Die feinsten und wunderlichsten Aufgaben waren ihnen die
liebsten, und keine blieb ungelöst.
Im übrigen ist, wie der erste Blick erkennen lässt, was ich biete, von sehr
verschiedener Gestalt und Farbe. Hier findet man einfache Rätsel, die nicht
selten an die Allegorie anstreifen, dort Homonymen, dort
Scharaden, dort
Palindrome und gemeine Buchstabenrätsel. Manche Abschnitte tragen auch ganz
neue Namen, die zu einer kurzen Erklärung nötigen.
Die Homoionymen sind, wie dem Namen, auch der Art nach den Homonymen
verwandt. Liegen diesen Worte zugrunde, die bei verschiedener Bedeutung
gleichlautend sind, so gilt ähnliches von den Homoionymen. Doch besteht hier
ein kleiner Unterschied des Ausdruckes, wie z. B. zwischen »Meineid« und »Mein
Eid«, wo das Verbundene getrennt wird; oder zwischen »Erlangen« und
»erlangen«, wo der Akzent wechselt 2); oder zwischen »Nacht-Raben« (Ziegenmelker)
und »nachtraben«, wo sich die Silben anders abgrenzen 4).
Endlich gehören auch solche Worte hierher, von denen das eine wie das
Femininum des andern erscheint, z. B. »der Herd« und »die Herde« 3).
Ähnlich wie den Homonymen die Homoionymen, stehen die Scharadoiden den Scharaden nahe. Ihre Besonderheit ist nur die, dass sie die Worte nicht nach
Silben, sondern willkürlich in Teile zerlegen, wie etwa das Wort »Eidotter«
nicht in »Ei« und »Dotter«, sondern in »Eid« und »Otter« 5). Es ist leicht
ersichtlich, dass dies die Lösung etwas erschwert.
Scharadoiden wurden wohl bereits viele gedichtet, und nur irrtümlich der
Gattung der Scharaden untergeordnet. Dagegen weiß ich nicht, ob die Verdoppelungsscharade schon früher bekannt war. Sie ist eine Abart der Charade, die
das Besondere hat, dass jeder der geschiedenen Teile erst verdoppelt seine
Bedeutung gewinnt, wie solches bei dem Worte ,Besuche' einseitig bei der
ersten Silbe der Fall ist (bebel).
Die Verdoppelungsscharadoide verhält sich zur Scharadoide, wie die
Verdoppelungsscharade zur Charade sich verhält.
Auch den Palindromen ist eine neue Abart beigefügt, die Palindrome von und
nach der Mitte. Vielleicht ist der Name an und für sich verständlich. Doch
wird auch hier ein verdeutlichendes Beispiel nicht schaden. »Here« gibt von
der Mitte aus gelesen »Ehref«, nach der Mitte gelesen »Heer«, und könnte so der
Gegenstand eines auswärts und einwärts zu lesenden Palindroms werden.
Sehr abweichend von allen diesen Arten sind die Füllrätsel. In den
Maingegenden sind sie eine beliebte Unterhaltung. Hier zu Lande waren sie bis
in die jüngste Zeit unbekannt, und auch in der Rätselliteratur dürfte man
ihnen nirgends begegnen. Dies ist vielleicht die Folge eines besonderen
Vorzuges. Es ist nämlich bei einiger Übung leicht, solche Rätsel aus dem
Stegreif zu erfinden, und gerade dies macht die Beschäftigung mit ihnen
doppelt anziehend. Aber wozu das Alte sammeln und bewahren, wenn immer Neues
mit Leichtigkeit gebildet werden kann? – Eben darum gehe auch ich nicht sowohl
darauf aus, eine Sammlung schöner Füllrätsel zu geben, als vielmehr, durch
eine genügende Zahl von Beispielen mit ihrer Eigentümlichkeit vertraut zu
machen. Und, dies Ziel im Auge, werde ich, während ich bei anderen Aufgaben
die Lösung vorenthalte, sie hier dem Ende des Abschnittes beifügen.
Doch was hat man sich denn unter einem Füllrätsel zu denken? – Es ist nichts
anderes, als eine unvollendete Erzählung oder andere Art von Rede, die durch
eine Anzahl zwei oder mehrmals in derselben Ordnung wiederkehrender Silben zu
Ende geführt werden soll. Die sich wiederholenden Worte sollen wesentlich
verschieden, aber dem Laute nach einander gleich sein. Buchstäbliche
Übereinstimmung ist dagegen nicht gefordert; auch die Quantität und der Akzent
dürfen wechseln, und gewöhnlich erlaubt man auch kleine Unreinheiten, ähnlich
wie Dichter sie sich oft in den Reimen gestatten. Die Zahl der zu
wiederholenden Silben und die Zahl der Wiederholungen wird angegeben.
Ein richtiges Füllrätsel wäre hiernach folgendes:
»O dieser niederträchtige Mensch!« rief der verratene Freund; »Ihr Götter!
ich kann es euch nicht verzeihen, dass ihr einen solchen dal – dal.« Die
ergänzende Lösung ist »Schuft schuft«.
Aber auch die folgenden mögen gelten:
Der Schäfer ruft: »Hör' auf zu werfen!
du wirfst mir sonst mein dal – dal.« Lösung: Lamm lahm.
Als der reiche Kaufmann sein Vermögen einbüßte, blieben ihm von den
Hunderten, die sich seine Freunde genannt hatten, nur dal – dal. Lösung: drei
treu.
Verfehlt wären dagegen folgende Versuche:
Ein armer Mann kam zerlumpt an meine Türe. Da schickte ich nach dem
Schneider, damit er ihn mit einem neuen dal dal – dal dal (Kleide kleide).
Der Herr, mit dem ich zu gehen hatte, eilte so sehr, dass er mich ganz außer
Atem setzte. Da erklärte ich ihm, es würde mir unmöglich sein, ihn weiter zu
begleiten, wenn er nicht mit minder raschem dal dal – dal dal (Schritte
schritte).
Ein Pflanzer stand vor einem großen Unternehmen. Die Sache war schwierig.
Auf einem Spaziergange, der ihn weit von seinem Besitztum wegführte, tat er
nichts als überlegen. Plötzlich rief er: »Jetzt geht mir ein Licht auf!« Er
nahte aber, als er in dieser Weise kund gab, dass ihm dal dal dal dal – dal
dal dal dal (der Plan tage, der Plantage).
Die beiden ersten Beispiele sind wegen der wesentlichen Gleichheit des
Wortes, das letzte wegen der Verschiedenheit der Aussprache fehlerhaft.
Die Beispiele, die ich in dem betreffenden Abschnitte gebe, werden dazu
dienen, den eigentümlichen Charakter des Füllrätsels vollends klar zu machen.
Und hiermit sei mein Büchlein allen Rätselfreunden aufs beste empfohlen!
Wien, am 4. November 1878.
Franz Brentano.
Vorwort zur zweiten Auflage
[Anmerkungen von uns – den Website-Betreibern – in eckigen Klammern. Die
Fußnoten sind von uns.]
Die Freunde meines Rätselbüchleins drängen mich schon seit einigen Jahren zu
neuer Herausgabe. Wie sie dabei auf Bereicherung hoffen, so erscheint es
wirklich jetzt um gut die Hälfte gewachsen. Und so wird es denn getrost
wenigstens an altbekannter Schwelle als willkommener Gast eintreten dürfen.
Auch auf seiner ersten Reise in die Welt hatte es nicht eben schlechtes
Glück. Allerdings ist es, soviel ich weiß, nie in irgend welchem Blatte zur
Besprechung gelangt. Aber in Wien, wo es sich zum ersten mal in einen
Buchladen wagte, machte in persönlicher Berührung einer den andern darauf
aufmerksam, und so verbreitete es sich in der ganzen Stadt. Es kam sogar vor,
dass ein und dasselbe Haus es in fünf Exemplaren besaß. Zugleich verschleppte
es sich von der Hauptstadt mehr und mehr auch in die Provinz, so zwar, dass
selbst im äußersten Süden, in dem halbitalienischen Triest, eine eigens dazu
gebildete Gesellschaft sich die Lösung der Rätsel zur Aufgabe machte.
Horace de la Roche, der feinsinnige Sohn des Malers
Paul de la Roche, hatte
es, da ich ihn besuchte, gerade in Händen. Er lag erkrankt zu Bett, und die
Unterhaltung mit den Rätseln erheiterte und kürzte ihm trübe Stunden. Er sagte
mir, dass er sich besonders auch darum dafür interessiere, weil sie ihn auf
das Lebendigste an die Zeiten der Enzyklopädisten, wo [Jean-Baptiste le Rond]
d'Alembert und seine
berühmten Freunde sich fortwährend solche Rätselaufgaben zugeschickt,
erinnerten. Dies gab mir Licht für den Ursprung meines Büchleins selbst.
Offenbar hängt es mit jenen Liebhabereien der Enzyklopädisten genetisch
zusammen. Denn von ihrem geistigen Einfluss wurde auch das deutsche Rheinland,
und insbesondere der Hof des Primas von Mainz, der damals auch Aschaffenburg
beherrschte, ergriffen. Und in diesem Aschaffenburg war es, wo der
unvergessliche Freund meiner Kindheit, der aus Mainz stammende Professor
Joseph Merkel [Bibliothekar in Aschaffenburg], den Knaben in die Rätselspiele einführte. Wer weiß, ob nicht
bei dem Kontakt, in welchem
Friedrich der Große mit der französischen
Aufklärung gestanden, auch Schleiermacher ähnlich von Frankreich her die
Anregung zu seinen als klassisch anerkannten Rätseln gekommen ist?
Die Füllrätsel, welche einen der eigentümlichsten Teile des Büchleins
bilden, waren zur Zeit meiner Kindheit – ich habe es schon in meiner ersten
Vorrede berührt – am Rhein in Schwang; ja, manche der in der ersten Auflage
gebotenen Beispiele waren von mir nicht neu erfunden, vielmehr sozusagen dem
Volksmund selbst entnommen. In dieser Abart des Rätsels haben wir aber wohl
nichts Fremdländisches, sondern etwas uns Deutschen ursprünglich
Eigentümliches zu erblicken. Es wäre schade, wenn es nicht auch unsern
Nachkommen als Erbteil erhalten bliebe.
Obwohl es, wie ich in der ersten Auflage sagte, nicht sowohl meine Absicht
war, eine Sammlung von Füllrätseln mitzuteilen, als in weiteren Kreisen damit
bekannt zu machen und zu eigener Erfindung anzuregen, so willfahre ich doch
einem mir ausgesprochenen Wunsche, indem ich auch diesen Teil der Sammlung
durch einige weitere Beispiele vermehre. Man findet unter diesen Zusätzen auch
Versuche in einer neuen Abart, welche die Erzählung statt durch einfach sich
wiederholende Worte durch Schlingreime ergänzen lässt.
Florenz, Ostern 1909.
F. B.
Vorwort zur fünften Auflage
(noch nicht gemeinfrei)
Der Philosoph als Rätselschmied
von Rudolf Steiner
Erstveröffentlichung in:
Das Goetheanum,
II. Jahrgang, Nr. 48, 8. Juli 1923
(GA 36, S. 162-165)
– – –
Unter den Menschen, die für das geistige Leben zu Ende des neunzehnten Jahrhunderts
besonders charakteristisch sind, wird man den im Frühling 1917 verstorbenen Philosophen
Franz Brentano nennen müssen. (Ich habe in dieser Wochenschrift von ihm anlässlich
des Erscheinens seines Christusbuches gesprochen und in einem Nachruf, der den
3 . Abschnitt meines Buches »Von Seelenrätseln« bildet.)
Franz Brentano wollte eine Philosophie von der Seelenkunde aus gewinnen. Er
hat von seiner groß beabsichtigten Psychologie nur den ersten Band erscheinen
lassen. Er wollte die Seelenwissenschaft nach einer Methode aufbauen, die nach
dem Ideal der Naturwissenschaft orientiert sein sollte. Alles, was er an Feinem,
Scharfsinnigem über die Seelenerscheinungen ersonnen hat, geht in der Richtung,
die hier in dieser Wochenschrift als «Anthroposophie» gekennzeichnet wird. Allein
die Naturwissenschaft, in der Brentano aufgewachsen ist, und an der er methodisch
festhalten wollte, betrachtet ein Eindringen in die wirkliche geistige Welt als
Phantastik. Und zu einer »Geisteswissenschaft«, die auf Anschauung des Geistes
geht und dabei doch so streng verfährt wie die moderne Naturwissenschaft, konnte
sich Brentano nicht verstehen. Er konnte sich mit vollem Bewusstsein nicht zu
dem aufschwingen, wozu alle seine Ideenwege hinweisen. So blieb sein Werk unvollendet.
Aber gerade durch ihr Ringen wird die Seele dieses «Seelenforschers» zu einer
Erscheinung, die den geisteswissenschaftlichen Seelenbetrachter immer wieder
aufs neue mächtig anzieht. Die kleinste Gabe seiner schriftstellerischen Leistungen
bietet ein unbegrenztes Interesse.
Es gibt nun ein kleines Büchelchen »Aenigmatias« (Neue Rätsel von Franz Brentano,
2. Auflage, München 1909) von diesem Philosophen. Er sagt selbst in der Vorrede,
dass die zahlreichen Rätsel, die er geschaffen und in diesem Büchlein mitgeteilt
hat, »recht eigentlich Erzeugnisse der Gelegenheit« sind. »Wiederholt fand ich
mich in Kreisen, die sich mit solchen Spielen des Scharfsinnes zu unterhalten
liebten; und nur dem Wunsche, ihnen gefällig zu sein, verdanken meine Rätsel
ihr Entstehen.«
Und dennoch; geht man liebevoll auf diese Rätsel ein, so findet man in ihnen
die besondere Eigenart dieses Denkers wieder. – Brentano wurde durch seine strenge
scholastische Schulung zu einer scharfen Behandlung des Denkens geführt. Das Stellen
von Fragen an das Leben und die Welt wurde ihm zur feinsten Seelenkunst. Das Gestalten
klarer, lichtvoller Begriffe war ihm in unbegrenztem Felde eigen. Aber durch
sein Eingehen auf die Naturwissenschaft seiner Zeit kam er in ein seelisches Erleben,
das nicht an die Wesenheit der Dinge heran will; die »Grenzen des Erkennens« trafen
bei ihm mit einem nach Unbegrenztheit treibenden Scharfsinne zusammen. Und so
konnte er sich mit diesem Scharfsinn den Dingen und Vorgängen der Welt gegenüber
nur fühlen wie jemand, der irgend etwas in einer leichten Umhüllung in Händen
hat und der sich nun zu raten bemüht, was diese Umhüllung in sich schließt.
Wer Sinn hat für die Untertöne, die aus den Gedanken eines Menschen herausklingen,
der kann aus Brentanos tiefgründigen Büchern und Abhandlungen überall den »Rätselsucher« auf besondere Art herausfühlen. Es entstehen bei ihm die Rätsel der Natur und
des Geistes dadurch auf besondere Art, dass er in seinen Fragestellungen etwas
wie ein Tasten hat, das an die Dinge nicht heran will, weil es glaubt, durch zu
unvorsichtiges Zugreifen die Wirklichkeit zu grob wahrzunehmen. Das wird schließlich
die Grundstimmung des ganzen Brentanoschen Denkens.
Und ein solches Denken darf sich, ohne sich untreu zu werden, zur Erholung
in die spielerischen Regionen zurückziehen, wo das Fragestellen zum geistreichen
Umhüllen des Gemeinten wird. So empfindet man gegenüber den Brentanoschen Rätseln.
Denn es ist bei ihm dieselbe Seelenverfassung auf leichtspielerische Art wirksam,
wenn er den Leuten Rätsel aufgibt, die sich zum äußersten Ernst erhebt, wenn er
den »Rätselfragen« des Daseins nachsinnt.
Man merkt die Gedankenfeinheit, wenn Brentano raten lässt:
Süß bin ich und dem Kindeshunger Wonne,
Da schwind' ich rasch wie Schnee im Strahl der Sonne.
Doch, schwingt die junge Phantasie die Flügel,
So schwell ich, wachse über alle Hügel
Und sperr' ihr Paradies als breiter Riegel.
Und man empfindet ernst dieselbe Feinheit, wenn Brentano die Äußerungen des
Seelenlebens in Klassen einteilt.
Wenn dieser Philosoph die Leute witzig unterhalten will, so tut er es, indem
er in den Scherz den Geist von seinem Philosophen-Impuls gießt. Und wenn der Philosoph
empfindet, wie das Denken ein solch merkwürdiger Alchimist ist, der aus dem kleinsten
Vorgang ein tiefernstes Welträtsel macht, so bringt es Brentano durch eine ähnliche
Umwandlung zustande, einen Spaß so auszudrücken, dass ihn eine »Tragödie in Worten«
umhüllt:
Wen warf man in Wasser zum Sieden erhitzt?
Wem hat man den Bauch mit dem Messer geschlitzt?
(Vorhingen die innern Geweide ihm itzt;)
Wem riss man die Seel' aus dem Leibe?
Wem stutzte den Schweif man zum traurigen Stumpf?
Wen stieß man hinab in den pfuhligen Sumpf?
Wen schleifte man fort mit verstümmeltem Rumpf? —
Mich, der ich es alles beschreibe.
(Brentano sagt von manchem seiner Rätsel: »Begegnet man bei ihrer Lösung oft
großer Schwierigkeit, so trägt die Geschicklichkeit derjenigen die Schuld, für
die sie zunächst bestimmt waren. Die feinsten und wunderlichsten Aufgaben waren
ihnen die liebsten, und keine blieb ungelöst.« Da ich aber bei den Lesern dieser
Wochenschrift keine geringere Geschicklichkeit voraussetzen darf, so lasse ich
die Lösung bei den Beispielen weg. Brentano gibt ja auch in dem Buche keine.)
Zuweilen ist es reizvoll, wie der Philosoph in das Rätsel etwas hineinträgt,
was fast die Weltenschwere einer philosophischen Frage hat, zum Beispiel:
Ich bin ein Meer, ein Ozean,
Der schier die halbe Erde decket,
Ein Grab, das Tausende umfahn
In gleichem Frieden hingestrecket.
Bin eine Hexe, die den Sinn
Mit Trugesfäden dir umwebet,
Ich bin die ernste Lehrerin,
Die euch der Schöpfung Schleier hebet.
Dass eine Winzigkeit mit geradezu dialektischem Wortschwall sinnvoll umhüllt
werden kann, zeigt das Rätsel:
Weil ein klein, unscheinbar Ding,
Achtet man es oft gering,
Was Verwirrung schuf
Wenn es in den Lüften schwebt,
Schweigt das Zischen, und es hebt
Sich des Staunens Ruf.
Ja ein Weiser hochgelahrt (Hegel)
Hat den Atem nicht gespart,
Sprach das große Wort,
In dem wohlgefügten Staat
Sei der Fürst, was in der Tat
Dies an seinem Ort.
Brentano wurde Rätselschmied, weil er im Grunde seines Denkquells viel mehr
Kraft hatte, als er in seiner Philosophie ausleben konnte; aber er war in so hohem
Grade Philosoph, dass er dies auch blieb, wenn er Witze machte. Seine Rätsel sind
von der verschiedensten Art: Scharadoiden, Verdoppelungsscharaden, Füllrätsel und
so weiter sind darunter; aber alle sind so, dass man fühlt: es ist da der Geist
selbst, der zum Spaßmacher wird.
Anmerkungen und Fußnoten
Klicken sie auf das Fußnotenzeichen, um zum Text zurückzukehren. Oder
verwenden Sie einfach die Zurück-Funktion Ihres Browsers.
1)
Dieses Rätsel stammt von Wilhelm Bertha; siehe Anmerkungen beim Rätsel
2) Wo der Akzent wechselt: Von
anderen Verfassern Akzenträtsel genannt; bei uns sprachwissenschaftlich
Homographe.
3) Von anderen Verfassern (und auch
von uns) Er- und Sie-Rätsel genannt, wobei nicht nur der/die, sondern
manchmal auch der/das oder die/das vorkommen.
5)
Hier ist Brenatano inkonsequent bzw. unvollständig. »Nacht-Raben« und »Nach-traben«
sind Hoimonyme, aber »Ei-Dotter« und »Eid-Otter« sind Scharadoide? Was ist der
Unterschied? Der liegt im Rätseltext verborgen, d.h. wie das Rätsel formuliert
ist. Bei Scharadoiden wird das Lösungswort in Teile zerlegt; bei Homoionymen
nicht.