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Artikel: | Das Rätsel |
Autor: | Arthur Bonus |
Quelle: | Der Kunstwart |
Halbmonatsschau über Dichtung, Theater, Musik, bildende und angewandte Künste | |
Herausgeber: | Ferdinand Avenarius |
Ausgabe: | Achtzehnter Jahrgang, zweite Hälfte April bis September |
Datum: | 1905 |
Das Werk ist gemeinfrei, da der Verfasser vor mehr als 70 Jahren verstorben ist.
Rechtschreibung: Das Original dieses Buches ist 1905 erschienen und folgt der damals gültigen Rechtschreibung ("daß", "Litteratur", "Räthsel", usw.). Wir haben die Rechtschreibung den heutigen Gepflogenheiten angepasst – miinigen Ausnahmen: Zum einen die Titel zitierter Werke und zum anderen Zitate, die schon damals nicht der Rechtschreibung entsprochen haben und vom Autor absichtlich in Original belassen wurden.
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Man pflegt das Rätsel als Scharfsinnsübung und Verstandesspiel aufzufassen. Wäre das richtig, so hätten mir keine Veranlassung, uns im Kunstwart mit. ihm zu beschäftigen. Seine eigentliche Bedeutung ist aber eins: ganz andere und, wie mir glauben, für die Ausbildung der Kunstsprache und -Empfindung sehr wichtige.
Freilich, wenn man von den modernen Kunsträtseln oder etwa ihren spätgriechischen und mittelalterlichen-lateinischen und besonders humanistischen Vorbildern ausgeht, so wird die Bestimmung; als Verstandesübung recht behalten.
Wir sehen eines der besten von diesem Typus an, ein Schiller- sches - es ist bekannt genug:
Ein Vogel ist es, und an Schnelle
Zahlt es mit eines Adlers Flug;
Ein Fisch ist's und zerteilt die Welle,
Die noch kein größres Untier trug;
Ein Elefant ist's, welcher Türme
Auf seinem schweren Rücken trägt;
Der Spinnen kriechenden Gewürme
Gleicht es, wem! es die Füße regt;
Und hat es feil sich eingebissen
Mit seinem spitzen Eisenzahn,
So steht's gleichwie auf festen Füßen,
Und trotzt dem wütendes: Orkan.
Um dieses Rätsel zu raten, bedarf es in der Tat einer logischen Operation umfangreicher und schwieriger Art. Man muss fünf verschiedene Bilder zerlegen und die Merkmale vergleichen, um festzustellen, welche zusammengehen. Hat man schließlich das Bild des Schiffes zusammen, so ist die poetische Freude längst dahin. Und dass – was man den Schillerschen Rätseln als Gipfelungen ihrer Gattung zugeben muss – die Bilder schließlich zusammengehen, erregt nur noch kalte Bewunderung. Bei den meisten Stücken dieser Gattung kommt aber auch nachträglich keine einheitliche Vorstellung zustande, sondern es bleibt ein Wort mit verschiedenen Bedeutungen in der Hand: der Bauer als Dorfbewohner und als Vogelkäfig und was derartige Scherze mehr sind. Das sind freilich Verstandes- und kaum noch Verstandesspiele, ausgerechnet statt gesehen und auszurechnen statt zu schauen. Und die Schlussempfindung ist eine sozusagen wissenschaftliche Befriedigung darüber, das; alles stimmt, ästhetisch meistens eine starke Ernüchterung.
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Qluf dieses Moment schon der meisten alexandrikiischexx unt! fast aller unsrer Zeitungsrälsel hat sich Schiller nie eingelassen. Für seine Rätsel ist vielmehr gerade das charnkteriskisch, nie-Jst, daß er sroch in de: begrifflicheti Zusamineuscyuiig stecken geblieben ist. sondern, wie stark und —- fcheikrr es - bekoußt er auf die einheitliche Anschauuiig hin- gedräiigt hat:
Unter allen Schlangen ist eine Ruf Erden nicht gezeugt,
Mit der an Schnelle keine
Un Wut sich keine oergleicht
Sie liebt die lzöijkfieit Spitzeiq Nicht Schloß, nichk Riegel kam! Vor ilkcem Zlsifall seinigen; Dei« Harnisch - lockt sie an.
Sie stürzt mit furchtbare: Stinnne Auf ihren Rauh sich los,
Vertilgt in einen: Grimme
Den Reiter und de; Roß.
Sie bricht, wie dünne Heime-n, Den stiirksten Baum entzwei:
Sie kam: da; Erz Hexen-eignen, Wie dicht iend fesf c; fei-
Jnd dieses Ungeheuer·
Ha« zweimal nie gedreht—
E; stirbt im eignen Feuer;
IDieZ tötet, ist e; tot!
Das ist eine gescljloffene und gemcklfige Anschauung, und auch wenn men- gccnteii hat, das; das furchtbare Ungetüm nichts andres» ist,
« als» der oft· geseheue Blitz, so verliert nicht die Anschauung an Wert,
sonder» unsre Vorstellung; non: Blitz geruiniit daran.
Und dennorh muß« ich gestehen, das; das Wcsecitliche dieser An- schauung file« mich kräftige: und fchlagender in dein einfachen kurzen Nein! hercsuskorntiitt
Hschsiisiitz ich, Hochauf schweb ich; Iconmi ich herab, so fees; ich sechs Ochsein
Das kiinstlerisch Schlagendere dieser; Ver-fes liegt zum Teil einfach in der Blitze. Die fünf Slrophcn Siijillers geben innnerhin eine Menge Merkmale, die man einzeln zu. raten untcrnitnrnt Schnelle, Wut, surchtx bar-e Stimme, auf einmal Reiter und Roß, höchste Spitzery fein Schutz gewöhnlicher Art, Harnisch lockt sie, Drei-header Baum, zerxncilnites Erz, Sterben in sich selbst. Es nutzt kiichtsz man muß einzeln ucatetsiicheik und oerglnichcir Die Anscycxiiuiig des Vnlksrätsels ist selbst wie DELI- artig da. Und rnenn auch die Phantasie weit umher schweifen kenn, fo kann sie immer nur Gescxmtbild mit Gesamtbild vergleichen. Jhr Flug is! ein künstlerischer. Und hier nun liegt, wie ich glaube, das Wesentliche für die Bedeutung; des Volksriitfelsc
Für die Eisthetische. Kulrurhistorisch mag das Eintreten des begriff- lichen Moments, durch welches uns den »uneigentlichen« Rätseln der Weisheirserprobung die eigentlichen Rätsel Its-neben, noch michriger fein« Aber sobald dieses begriffliche Element sich zur Hauptsache macht, hör: das Rätsel auf. Sofern es Bildkätsel ist, wie das Traumbild, aus dessen Auffassung als Offenbarung; aus der zweiten Welt her das Rätsel
H« Vgl. in. Llirffatz über das Rätsel in der »Den-Neben MonatsschxifW im Mciiheft d. J.
einst entstanden sein mag, geht es, roenn das begciffliche Element überstark mird, in das Lehrgleichiiis Tiber, das in der Allegocie erkrankt: hebräische Entwicklung. Sofern es Vorstellungen-Mel ist, wird es einerseits zur ernsten Problexnmijsecischitfh zUT Phkksfvphih anderseits zur spielerigen Kijustelei der sogenannten Rätsel —— griechische Entivicklunxx It: allen diesen Fälleu hoc: es auf, Rätsel zu sein. Von daher kann also keinesfalls sein Wesen erkannt werden.
Für das. Rätsel, sofern es ernstzutiehmende Bedeutung für die Kitnst hat, koinmt das begcifsliche Element zwar anch roesentlkch, aber imkuek m» dienend iu Betrachh Die Hauptsache, die eigentliche Ten- denz dieses Zjiätsels ist die, eine Llixschauaiig so wesentlich, so charakteri- stisch als um; irgend moglickj ·hinzustelleu. Die Tendenz dieses Rätfels ist so sehr eine rein künstlerische, das; sie mehr« als zur Hälfte geradezu darin besteht, ein Ding oder Ereignis durch seine stattliche Erscheinung ohne: »ZulJil.fl-nahrue der Benennung uijllig zu chciraktecisierem Dies ist, wenn mir so sagen dürfen, die kiuisttechnische Bedeutung des RätselÃ¥j
Jch glaube, daß das» Rätsel eines» de: michtigsteii Elltittel gewesen ist, durch welches das: Volk sich gcivöhiit hat, mit der Benennung; eines Dinges- odex Ereignisse-Z nichk zufrieden zu sein, sondern die sinnliche Erscheinung sitt) charakteristisch zu uergegenroärtigeip Deshalb bringt auch die Llisflösuiig Eines» solchen Rätsels durchaus nicht zugleich die Auslösung der Bilder mit sich, vielmehr die Bcstätigixiig und neue Freude. So beim Rätsel vom Blitz, das mit· aufiiljrteih Wenn die Phantasie ooni Bilde des Geists an durch die Lüfte fährt, so wird sie sich beglückt fühlen, wenn sie den Blitz cis-tät, in einem so grosser( Bilde ausruheii zu dürfen.
Ein Rätsel aus der Eifel lautet:
Es fonunen dkei Tauben
Un! einen Kirchiukm seh-fanden:
Die eine miiuschh e; wäre Nacht,
Die andre wünscht, es wäre Tag,
Ver dritten ist’5 gleich, ob Liacht oder Tag.
Gemeint sind Sonne; Mond und Wind — eine groicsbgrandiose Natuxanschaunng und Beseelt-W! zumal in des; älteren Form des Strafj- burger Stiatselbuches non s506, wo die Belebung nnd Beseelunxj noch Plastik-her, die eiufiihreiide Vorstellung freilich farbloser ist (Lose BL l1I, U. Ebenso fraftnoll und ohne daß die Lösung irgend eine Spur von Ex- niichterarig bringt, wird der Tauwind aufgegeben:
Es sckpnnubt und heult die Stroß heraus· Und hat doch keine Einige,
Es leckt den Schnee zoie Butter auf Und lzai doch keine Zunge.
Ein gutes Rezept sagt, man solle nich! mit Negationeii schilderu Wenn Sturm über seine graue Stadt am Meer sagt:
E- rcntscht kein Wald, es schlägt im Mai Kein: Vogel akzik Unterlaß,
so ruft er auf jeden Fall zicnächst Wald-naschen und Vogelsang herbei, und die Negation verdrießt und hemmt die Phantasie. Was sich er- gibt, da die Phantasie stärker ist — znnial Ircilten im Aufbau! — als die Logik, ist eine Unsicherheit, etwas mie ein Nebelbild ein Wald, der da ist und doch wieder nirht da ist, ein Vogel, den man hört und doch wieder nicht hört. Es gibt aber Fälle, in denen gerade diese Unsicher- heit erwünscht ist. Zu ihnen gehört unser Tauroindrätsel Es gehört zur Gewalt und Wildheit der Vorstellung, daß dieser Wind etwas wie eine Lange hat und mit etwas wie einer Zunge die Straße leckt Sowie Luther einmal die Vorstellung forimiliert von einem Statuen-lud, der mit »gut«-n Lenden« dahersihreitetz Die eigenttimlich fchlageiide roeil anf das Alles-wesentlichste verein- fachte Schilderung stattlicher Vorgänge ist überhaupt das chacaktetiliischfte und mertoollste Eletnetit dcr Voltsdirhtungzk Jtn Rätsel sieht man fast wie in die Werkstatt dieser Poesie hinein, sozusagen in die Schleifstelle Ein altes Rätsel, das schon söoe vorkommt, schildert den Schnee so: Es: flog ein Vogel federlos Unf einen Baum Gattin-s, Da kam die Frau nnutdlos Und aß den Vogel federlos.
Der Stadt-ein: sprichl für« das Alter des Rtilselsh das uns in der Tat
begegnet. Die in ihm gegebene Vorstellung trat mir einmal noch oiel gesrhlisfetier mündlich so entgegen: »Wenn die weisse Gans nnt Weih- nachten bildet, so kommt die Saat gut«. Der Bauer, den: dies, sagte, tvollte damit nicht ein Rätsel ausgehen; er setzte Voraus, daß die An- fchauikng bekannt sei. Jin Spätwinter, etwa Miit-z, kann inan in jeden: Bauernhakis die Gans aus der Höhle unter« dem Herd, iuo sonst das Holz liegt, heroorzischen hören. Da brntet sie. Die Monate vor- her brütete oder sollte gebriitet haben auch die große. weisse Gans, der Schnee, Was sie a1isbrtitct, das ist die junge Saat, die, Inenn der Schnee toeg ist, die Erdkkxtste durchbricht, wie der junge Vogel die Schale. Und der« Bauer weiss, was schneeloser Fcostrointer fiir die Saat bedeutet. Nichr Allegoriey sondern ein mit Leben ganz und gar gesät- tigtes Anschaunrigsbild Es, könnte gar· wohl in Rätsel« aufgegeben werden, ioie der Vogel federlos. In der Tat wird ein Eliätselmärcheii mit ähnlicher· wenn auch minder plastischer Vorstellung in Meckletidurg erzählt, roo der blaue Ljiinniel in! Bilde siner blauen Gast-s fllr das; Jahr steht. Es handelt sich eben in diesen Bildern unt etwas, das nicht die spezielle und als lebende Dichtforin bedeutungslos gewordene Ncitselpoesie angeht, sondern die Voltskanfl iibechnriph die sich hier in der dichterischen Charakterisierung übt.
Außer der Veieel1nig. durch die an! einfachsteii die äußere Fort« on die innere Notwendigkeit geknüpft wird, die innere Stonoendigkeit sich in die iitisjere Form hincindriitkh gehör! dazu auch dies, daß alles, selbst der einzelne Gegenstand, koo es irgend angeht, nicht als ruheniz sondern in irgend einer rhnrakteriftisthen Bewegung; dargestellt mild«
Die Puppe! Joird nach dem siegen gesehen noch tropfend (IV, IT)-
laleinifrh fchon in einer Reichenanee Hnridschtist des so. Jahrhunderts «
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Dei: Feldmeg muß sich aufs-Echten, um feine Länge zu zeigen (IV«, 69). Dei: Meerrettig schildert am besten die Wirkung eines Bisses in ihn (IV- Hi)- Der Regen: S« giid eins Haus, Hackt Löchla aus.
Fa: jeden, der das Leben irr: låndlichen Hause kennt, mit erstaunlicher Sicherheit das ganze Anschauungsdilix
Ein bÃ¥uerliches Gehöfte Man geht durch die Hoftür gewöhnlich an der Haus-main) entlang. Was rnan auf dem Hof schou von weiten! sieht, sind die Hühner und die Gänse. Aber auf sie zu achten, fällt niemandem ein. Dei: Blick sucht die Hundchüttim Wird die Beftie fich begangen zu hellen? wird sie einen ans-dringen? Einen aber gibt es, des: zum Gehöft einmaadert nnd es umgekehrt macht: er fürchtet nich! den Hand, sondern Hühner und Gänse:
’Si iS ju dar Lange,
Kein-it heiitoe tai Zunge;
U: sägt: Joet mit« d’ Hiinr and d Gäns Fern Houndo fiircht ich niich nii.
Das ist der Wurm. Oft malt schon der Name. »Von-it Strum- muinine« heißt der Wiesenbach mit seinen vielen Windungm »Warte Verschoriiw die Wiese UT, ?6). Die über den Acker siolpernde Eggc heiß: Hantcrlantanh der gedrchte Eiszapfeii Perlapafh Hürnmelkeii Trüm- melkeii heißt das Ei. Hackelgcsackcl der Regen, Hntzbritz die EicheL und die Hühner sind die Herren Von Hickenhackeke
Ju Nummer· s der »Pädagogischen Reform« Setzt ,,Stiemann« Hanibarxy erzählt Franz Vreesh toie er Zeichenunterricht gibt. Es: geht davon aus, daß das Kind das lebcndigske Interesse und Verständnis für den bewegten menschlichen Körper hat. Er gibt eine ganze Reihe von Zeiphnungen zeljni bis vierzehnjähriger Kinde: als Probe. Diese Bilder sind non einer geradezu nerdutzeiideit straft der Charakterisierung — itatftrlich nur iinmer der sinnlichen Erscheinung.
Gang; ein ähnliches Gefühl habe ich den Volksrütselti gegenüber. Jsh glaube, es liegt auch beiden das gleichc zugrunde. Die auf das Priuiitive der sich bewegenden sinnlithen Erscheinung konzenirierte An- schauung fafzt das Charakteristisrhe mit nie! größerer Kraft auf. Das »Volk«, soelchem die Volksdichtuiig gehdrh lebt zwar nie. mehr im Natur- Zustand, aber die Kultur berührt es nur von der Seite, wo sie mit der Natur zafammenhängt and fast schon Natur ist. Nicht treibend und so häufig entrourzelnix mie den Kulturmcnfchetn Wenigstens war es so zu der Zeit, toelche die Volkskraft hervorgebracht hat. Und es ist meiner Atieinuiig naih die eigentlimliche Gefahr des ietzigeit Volksschulbetriebg daß er die letzte Verbindung mit der Natur durchschneideh und das, mas eine. Kultur« solange erträgt — wenn auch mit Mlihe — als es sich auf einzelne defchrankh dem Volksganzen zufügt. Dem sei nun so oder anders, jedenfalls dies ist das dem Kinde und dein dichtenden ,Volk« Gemeinsame, das; beide von der Kultur zwar schon umfaßt, aber«
noch nicht getrieben, noch nicht aus der Natur gerissen, noch »in Ruhe
gelassen« sind. Es fehlt ihnen noch das Moment des Unsiehergemor- denen, suchenden, vielfach Willtürlicheih überhaupt des Geistige«
Es ist das die Stärke und zugleich aurh die Schwäche der: Volks- dichtuna Es ist das, um deswillen uns das Geschrvätz oon der »Wer: gründlichen Volksmeisheik so phrasenhaft und oerlogen vorkommt, während mir doch andrerfeits fühlen, daß Ioir es hier allerdings: mit etwas» Ewigen-c zu tun haben, mit etwas, das bleiben wird, während ganze Aefte der Kultur« nieder-brechen, - eben der Boden. Sollen roir nun und inttssen mir immer wieder· von der Volkskunst lernen, uns mit ihr berühren, so ist gut, das; man sich Tiber das, was man da lernen kann, in Ruhe und ohne Phrasen Rechenschaft gibt. Wer hier über- treibh der schadet.
Man kann sicherlich auch eine ganze Menge Lebensmeisheit uom Volke, von seinem Spriichrvöcteroorrnt. lernen; aber was an dieser Weisheit charakteristisch ist, das ist niemals psychologische Tiefe oder sittliche Hohe, sondern lediglich die Sicherheit der Auffassung der« Grimdoerhkiltiiifse »Ist-Les Brot ich eß, des Lied ich singt« Der Spruch ist so empiisrend das; wir ihn nur noch satirisch verdauen können, Ja: Voltsncirnd hat er nichts SatirifcheÃ¥ Vielmehr das ist roahlgeineixite Volks-Moral: Wenn di: gut varmärtskoniineii willst, so sollst du dessen Lied singen, dessen Brot du issest Wer genauer ziifiehh iuird auch ent- decken, oan welche: Seite ans das Volk diese Moral als wirklich sittlich empfindet: nom Treuegefiihl aus. Aber ethische Htihe kommt dabei nicht heraus; das Frappkcreiide ist die Sikherhcit der Beobachtung, die ganz auf den äußerlichen Weltlaiif gerichtet bleibt.
Soweit wir das Rätsel bis jetzt betrachteten, lag sein Wert darin, das; es zur Llusfeilung eines Auschnuuugsbildes bis zur ituszersteii Präguanz einleitete. Fiiljigkeit und Verständnis» dafür ist sein Erfolg im ganzen, das sihlieszliih herausgekoinaieiie Bild sein Wert im einzelnen, die Rätselfartn um: historisch roiishtig. Ja dieser· Linie geht die Ent- ivicklctiig so weiter, das; das Fttitfel sit-h immer kleinerer Gegenstitiide bemtichtigh immer« mehr iu die liiiiderstube hineinkriecht, in dieser aber Trich: zu verachten und wohl fähig ist, die Wirkung, die ioir ihm im Großen und auf das Volks-ganze zusprechen, im kleinen und einzeln-III zu wiederholen.
r:
Es lag aber in der Rätfelforin noch eine andere Etlttsglichkeih Die
« Rätsel, deren Wert in dein Ansihauuiigsliild liegt, gciiießt man am
besten unter Abstreifuiig der Rciticlfokny sodaß man erst die Aufltäsuiig gibt und dann das RiitfeL oder doch die Qlitfltisiiiig gleich hinter« dem Bild. Die Entwicklung konnte aber unch dcu Ton gerade. auf das eigentiimlich Spanneude der Rätselform legen und dies Moment ästhetisch aus-kaufen. Natürlich nicht im Sinne der Scharffinnsiibuug Die Uebung des Srharffiiiiis hat in keinen: Falle mit irgend einer Kunst etwas: zu tun. Sie ist ein viillig anssekästhetischer Zweck. Das Rätsel als Scharfsinris- und Wifsecisprobe oder Xiibuug beschäftigt fich mit: der Stlitfltisuug von Trngsthlitsseii und mit der Zusammenstelltcng non So11derbarkeiten. Es erreicht seinen Gipfelpiisikt uom Hellus der Sophisten aus im Alexandrk
tiisinuz spielt in den oersrhiedeiien Renaissaiicw und Hirrnasiismusfornieti Es Mittelalters eine große Rolle und ist; längst in seiner ernstereti
Entwicklung zum wissenschaftliche« Problem ausgereift, in feine: böseren zur Exarnensk nnd Schul-technik, in seiner spielerigen zum Gesellschafts- spie! und zum Begrifssrätsel am Schlaf; unsrer Zeitungen geworden, in welcher Form es jenes Urteil verdient, das auf die Rätsel insgemein bezogen völlig verfehlt wäre: »Vergleichen, Betten, RÃ¥tselraten — Kleiner Geister Schweinebratenk Alle dieseDinge haben mit Kunst nichts zu tun und gehen uns hier nichts an.
Aber auch die echte Kunst des guten Phantasierütsels kann das Moment des Spannenden und Ucberraschenden aufnehmen und aus: bilden nnd hat es getan. Schon das alte AnschauungsrätseL das aus dem plastischen beseelien Bilde den Gegenstand erraten läßt, betont mit- unter die Elemente des BildeÃ¥ welche geeignet find, die Phantasie des Ratenden alizulenkeii Wenn das Talglirhh ursprünglich wohl Oellichh mit unühertrefflicher Plastik sehr deastisch so aufgegeben wird:
Tät: Johann Oliäken Satt up sie» Stöizltesy Je länger« lge satt,
Je Iiitiek ike vom-d, plumps, föllt lse den,
so ist das, zixnäihst nur die direkte beseelte Anschauung, aber es macht doch stark, den Eindruck, als hätte« nicht allein die Lust zur Beseelung und Plastik das Bild gcseiih sondern ein wenig auch dic Einst, die Phantasie ans falsche Wege zu leiten. Und dies? Moment kann sich nun zum beherrjcheiiden machen. Je inehr da?- geschiehh desto weniger« ist das Rätsel ckraibak —— an: wenigsten durch Scharssiiint Desto mehr gehört also die Lltcflösutig zmn Rätsel hinzu und doch desto mehr gehört es zur Wiekuiig und gerade auch zur« iisthckischeii Wirkung dieser Art Rätsel, die Lösung; nicht zu sihinll folgen z« lassen. Die Phantasie musj Zeit haben, sich zu verirren. Je stärker sie sich in das Bild hineingebcnit hat, zu dem sie verleitet morden ist, desto starkes: die Ueberraschung.
Dieses Moinerit kann statt durch die Länge des; Zioiichearaiiixis zwischen Aiiitsel nnd Lösung; kulch durch die Schärfe des Ssexzensalzeö aus: gedruckt toerden So entsteht das Sxhciszk oder Witzrätseh wobei mir nicht an die Riiisel denken, toelihe mit. zierschicdetieti Bcdcutungeii eines» Wortes oder Veziehungeii eine; Vegiisss spielen, also geringen oder« am: keinen ästhetischen Wert Heiden. Wenn ira Atätselbiich oon 1506 gesagt wird: ,Wölchs Wassers erschrickt der genieine Man am hiirtstenW so holt die Phantasie das Bild grosser« Uebetsrhctieiiiinungea titsche-i, und wenn die Antwort kommt: »Das; ihn! in die Schuh geht, oerniahui ihn
dieselbigeti zu bessern oder. neue zu kaufen«, so ist ein cntgegengesetzleT »
drastisches Bild eingeführt, man koird lachen ntüsscch aber die Bilder find nicht ausgelöst, sondern bleiben. Es ist weder der· Begriff Wasser, noch das Wort. sondern die wirkliche Qlnschatiung oon Wassersnot-n, nur das; die Phantasie ins Große geführt ist, während die Lösung sie ins Kleine urd schon ohne den Gegensatz Koinische zurückzieht Nein, in diesen iliätselm deren es unzählige gibt, wird nicht der Srharfsiiin geübt, sondern die Phantasie, freilich nicht im direkten Plafiischfeheii wie beim Qlnschauungstätseh aber im liontrastseheip im Sehen auch der
s —s
Fj · " » · » — mancherlei »Don-eures— es wird die Beweglichkeit und Gelenkigkeit der
Phantasie geübt.
Vielleicht ist es diesem oder— jenem schon ausgesallety das; die Siihilg derer unseres Bauernlebeiis zuweist versuchen, eine knapp-e, konkrete pla- stische Und zugleich undeutuk1gsnelle, zu raten gehende Sprache sprechen zu lassen. Dem liegt eine ganz richtige Beobachtung zu gxunde Der ganze Witz des Bauer» liegt not-h hold im Rätsel. Eine kluge Rede ist für ihr: durchaus— eine Rede, die etwas zu roten gibt. Besonders out-h, mo er streitet. Das» einfache Schiinpfen gilt als; get-nein. Aber das Llndeutetsg das »zu verstehen geben«, das ,,Riechen lassen« sieht hoch in Arcsehetr Nach der einen Seite liegt etwas Nirhtsmiirdiges in dieser Art, etwas Hinterlistiges und Vergiftetesc Daher aus einem einzige« Wortwechsel Todfeitidsshosten wachsen. Noth der andern til-er ouch etwas« KortHeiItrierteZJ JnhaltceicheÃ¥ Die Beleidigung durch ein Wort könnte gar nicht so stark sein, xoeun die Worte schen so abge- schlissen späten, wie in der Sprache der Gebildeten. Dei« Bauer weis; noch tiichl — aber die Schule inicd das sehnt! überwinden - das; das Wort ein Fällsel ist, Und das; es so klein und odgesrhcibl ist, daß erst viele Worte eine Suche ausdrücken kiirinem siir ihn ist noch das Wort ein Exirekt aus vielen Sachen. Er weis; noch nicht, das; man spricht, damit man nicht schweige. Das Sprechen ist ihm noch nicht der Hinr- malziistand des Menschen, der erst abgesteckt werden muß, damit es zum Schweigen komme. Es ist ihm tioch eine Tätigkeit nnd geradezu eine Art Kunst, wozu es einen Entschluß und eine Arbeit nötig hat. Er spricht mit l11nsiändlichkeit, dem! er isi iiugeinundh aber er siccht mit dem, was er sieh schliesslich abgewinnt, viel ouszudrückerr Die einzige Volks- klinsL die noch lebendig ist, skheitit mir die des Sprechens, soniohl der gefeilteri Wechselrede als der Erzählung zu sein. Und diese Kunst, wie gesagt, liegt noch ganz stark im Jiätsclurtigc1i.
Aus einer Synnde verbarg ein Redner, der« über das Konsirs Maticsnsgelübde sprach, seine völlige Ohnmacht gegenüber den Probleme-i hinter vielen Sielehrsamkeitsslnskeln und Fretndkuörterii Ein Bauer sagte nokhher daritbert So eine Rede ist doch, als wenn man ein Stück - Zucker in ein Glas« Wasser wirft: und drin riihrt Zuerst ist es iinch ganz du, denn; wird es immer kleiner, auf einmal ist es weg. Er löste das Rätsel des Nähcrn so: Wenn das erste Fremd-dort kommt, ver- steht Mut! es uoch aus dem Zusarcurienhang, beim zweiter! geht: einem schon der« halbe Satz verloren, beim dritte» der ganze und beim vierte» versieht met! filierhnuxit nichts sieht. - Eiti Hänslexz der schori lange unter· den: Hochmut eines» der uoriiehmsteir Bauern gelitten hatte, be: schloß, ihm klar« zu via-then, daß er nichts toeirer als ein Bauer sei. Des tat ei: so: A» einem viel besuchten Llbcnd irr! Wirtshaus ver: beugte, er sich sehr tief vor« ihm, zog die Nititze und sagte: Guten Abend, Herr Baron. Der Bauer« sagte wütend: Jch bin kein Boten. Das hotie der Fgäusler getoollh er richtete sieh aus und. sagte voll Verrenkt- deruiigx Ah, da bist du wohl a ganz gewöhnlicher Mistbaiirs — Sehr kurz, aber seht: eindrucksvoll« Die Vexbeugtitig war ein Bilderrätsel
Jch halte für mohrscheinlich das; der Witz und die geistreiche Rede aus dem Koiitrasträtsel slaknmt oder doch in ihm geseilt und geübt innr-
den ist.
Eine unerschöpsliche Quelle sto- Rätselroitze geben besonders drei Kotitraste ab: Der leide: beliebteste ist der des Harmlosen nnd Zweit-einigen, wobei das Rätsel scheinbar Unanständiges bezeichnen will, ivlihteiid die Anflösuiig die harinlosesten Dinge non der« Welt nennt. Z. B: Es riittelt sich Und schtlttelt sich Und macht ein Häuschcii unter sich. - Das« Sieb. Simrock sagt til-ex solche Rätsel: Mit diesee Aus- lösung skhikkkxc sich de: Fcagesteller und werse den Vorwurf unanständige: Gcdalikcti auf den unbedachtsameii Aogreiser zurück. »Ja! Grunde be- steht aber gerade hierin der Witz dieser eigenttinilicheit Rätselgattuiigt das; die its-ereilte Anklage absichtlich hecooxgelockt wird, um sie mit der Auslösung zurück-reisen und durch den Spruch: Dem Reinen is: alles rein. beschämen zu können, Es ist eine dem sittlichen Eiferer gelegte Falle, welches: et« nicht leicht entgehen wird( Das nnÃ¥re also ei11 ähn- licher Erfolg, als ihn heute die Majesttitsbeleidigiciigdstaatsaiimtilte so tippig gezeitigt haben in jenen non Mund zu Mund erzählten schein- baren Majestätsbeleidiguiigerh hinter denen irgend etwas ganz Harm- loses steckt, und ihrer triumphierenden Srhluszsragex »An was dachten Sie denn, Herr StaatsantoaltW
Zwei andere Kontrasie sind noch stärker sremdgebürtig der zwischen Gelehrsamkeit nnd Duinniljeit und de: zwischen Heiligem nnd Alltäglichem Das; Gelehrsamkeit und Vielroissen an sich keinen Wert haben, daß es« mehr« aus die Fähigkeit ankon1nit, mit seinem vielleicht wenigen Wissen etwas auznsctiigety als auf die Menge des GÃ¥enutßteih das; deshalb der Ungelehrte mehr wirkliche Akeislseit besitzen kam: als der Gelehrte, das ist ein unzählig oft nerhondettes Thema des Volkstoitzesi Zum eesien sllial iu größeren« llnifcng wohl in der inittelalterlittjen vita .-Xe!:api, deren älteste Handschrift aus dem Kleinasiexi des» W. christlichen Jahr- hunderts stainmt und jedenfalls: ältere Scigeci und Voltsotieclieseruiigen znsiinuriensaßL seien diese nun urspciinglich griechischen oder indischen Ursprungs« Dies Buch ist aurh in die deutschen Volks-Bücher liber- gexzatigett (bei Sirt-irae? im U)- Bund) nnd ein Teil von ihm sogar in l00l Nacht (in die Geschichte des roeiscn Hehkarj Hier bewegt sich sast der ganze Witj in Rätseln vorwärts. Einst lädt der« Hei-e des Ilesosz der Philosoph Xanthiiä eine Gesellschaft non Weisen und gebietet dein Diesen, keinen llrnoeiseii einzulassen. Aesop Verschließt den Torweg nnd setz: sieh hinter die Tür. schüttelt, tust er. hinaus: »Was schlittelt der· Hund«. Jeder glaubt natiirlicljp er werde ,.lj)nnd« geschimitst und geh: nater Fluchen nnd Schelten ad. III-letzt aber kommt einer, der ruhig znhiirt». iiberlegt und antmoetetx »den Schwanz« Aesop sllhrt ihn zu seinem Herr» und erklärt: Lltißer diese-n sei kein Philosoph gekommen. Das» Rätsel ohne die Geschichte wäre ein grimmigee Tit-lauer, in der Gleschichte est-stillt es— seinen Zweck, die Philosophen zu verspotten, die ihr eigenes Ideal der ruhigen llebeclegthejt im Leben nicht bewahre« können, ganz hilf-seh. Es ist beinahe geisteeiofx Und inirklich geistreich in sich selbst ist folgende Episodez Xanthus lauft Init Aesop Cdseniiäse ein, da hält sie der Gärtner zurück, um Xanthus zu befragen, itsarum die streuten die mit Fleis- gesät und gebaut werden, langsamer« wachsen als die, die von selbst wachsen und nicht gesät noch gebaut werden. Xanthiks weis; uicht z« antworten und sagt:
L Es geschieht aus besonderer Anordnmig Gottes.
Sobald einer anloinnit nnd die Tiire «
»Dieser Antwort mußte Aesopns sehr lachen. Da sprach Xanthissx Lachst du nnd spottests Qlesop antwortete: Jrh Dritte; aber nicht deiner, sondern dessen. der dich die Philosophie gelehrt hat. Welch eine Antwort ist das non einem Meister: Es» is! Gottes Anordnung, daß die Kräuter also roarhseir Solche Antwort hätte auch wohl ein Kiichenbtibe gegeben« Hier weis; Aesep etwas, rocis nicht nur der alte Xanthus, sondern manche Gelehrte heutige« Tags noch nicht wissen, das; eB- Küchenjungeip roeisheit ist, kausnle Erklärungen und religiöse Aus-sagen zn verwischen. Seine eigene Erklärung; ist die: Die Erde sei eine rechte Mutter der Kräuter, die von selbst heranwachsen, und eine Stiefmutter derer, die hineingesiit werden.
Der dritte skontrash den das Witjrätsel oft und gern verarbeitet, ist der von heilig und profan» Hier ist nun die Situation der Ent- stehung unmittelbar deiittiih Der L3wangs- oder auch Halt-Zwangs- zrihörer heiliger Verkündigung ist nicht immer in der entsprechender! Sti1nmiing. So Versteht er in die heilige« Worte prosanc Gedanken hinein. Das Otatselbtith um: s506 ist voll non dergleichen Srherzecr »Ein Fragx Was an Christi) das Widerwertigst und Utiglcjchst sei? Lliitruortt Das; ex· ein Löw und ein Lamm ist als die heilig Gescljrift sagt usw« — »Ein Frrigx WelrhÃ¥ Wundcrwerk Gottes sich die Menschen am streifte» geslisscn haben nach zu thun? Antwort: Witsser zu Wein machen, als Inan dann our Zeiten bei den untreuen Wirte« nnd Wein: schenken erfahrn hat, aber sie sein nunmehr all samt«
Blau hat vielleicht bereits den Eindruck, das; diese Kontrasträtsel tuigemeiii leicht in Satire überreichen. Das ist auch offenbar der Fall. Selbst nnd sogar· ers: recht bei den biblifrheii Riitseltr Sie sind häufig fEkIV LJINVMIUZ- Fleck) litiixsiger aber nmcht es allerdings den Eindruck, als riirhe fich das Vrlli in ihnen für die 8uniutang, alles Yiöglirhe suztisogcst Iitit Haut und Haar für« heilig nehme« zu solicit. Und wie der Fionlriist von: Elielehrteii und llngelehrteik so hat tntstichlieh tun-h der« ooni Heiligen und Prof-one« zu einer umfassenden-n Ziiitselsarire geführt; allerdings; nicht zu einer oriiksttiniliche1i, sondern gelehrten Sntire Die neue Llusmcrlsl und Uebersetzung Liniicirdischer Texth Hielt-he mir« Mitrie Herzfeldt verdanken —- eine außerordentliche Fund- grube für alle, toelrhe sich mit der Itetiaissanee in gerechter« Weise, d. h. weder· als Lodpreiser noch als .L)asier, beschäftigen wollen - gibt irr ihr-ein lehre» (XI1.) stcipircl in der· Form non Tkrophezeiiiiigeii nichts» ineniger und nichts nich: als eine Jiiitfelsanisulunxr TJiarie Herzfeld nrnrht daraus aufmerksam, das; alles, was nor( diesen »Prophezeiiiiigeii" Linnardos sich diktiert-n liißh HEJZ zufnnniiengejtellt ist, d. h. in der Zeit der liochsteir Blüte ScxoouawloÃ¥d Sie ver-nistet also eine Traoestie Und da es sich in diesen Prophezeiiingen darum handelt, dass Dinge,
« die riihiig riersiacidcrp alle Tags: geschehen, irn apokalyptischen Tonfacl
gesagt rucrdeay iruch andererseits dabei mancherlei Diebe auf das Mönch- tum fallen, so hat die Deutung Wahrscheinlichkeit. Zwar· kann Inan einwenden, daß gerade das, mirs gegen das Miinehtum gesagt wird, eher für— als gegen Saooimrola spricht. Aber menn es z. B. »Von den Skulptureisi heißt: ,,Weh mir! Was sehe ich! Der Heiland aufs
»« Lganardo da Mart: Der Denker, Forscher und Poet. Leipzig, Diederichå
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neue gekreuzigtk und das in einem Zusammenhange, in dem milde und tragische Vorstellungen aus lächerliche Vorgänge bezogen werden, se hat man in der Tat stark den Eindruck, daß hier eine Parole des Bildetstiirmers beleuchtet wird. Die Prophezeiung die vorausgeht, lautet: »Die es am besten gemacht, roerden am meisten geschlagen werden, und ihre Kinde: ihnen weggenommen, oder selben die Haut ab: gezogen oder weggerisseisk und sie werden zerbrochen nnd ihre Knochen zertrümmert werdet-e« Wie entsetzlichl es ist aber nach der Uelierschrift nur »von geprijgelten Nußbaum-m« die Rede.
Am genauesten wäre wohl zu sagen: eine Satire gegen Scioonarolcy die ader dessen kirchlirhe Gegner initangreift So in der fast eleganten Bekämpfung des; LIblasses: »Unendliihe Mengen werden öffentlich und friedlich Sachen von größtem Wert ohne Lizenz sum; Besitzer selbige-z verkaufen, und tnelöhe niemals ihnen gehörten, noch in ihrer Gemalt waren, nnd diesem wird die menschliche Justiz nicht Einhalt tun-« Ueberscjristx »Zum Verkaufen des Paradieses(
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Auf diese Riitselsamniltikig des Liouardo möchten wir noch etwas näher eingehen; sie erindglicht uns« einen guten Abschluß unserer Be- trachtungen: nach zwei verschiedenen Seiten hin.
Die Riitselsarninlung ist zu umfassend, — die Ausivahl der Maric Herzseld hat allein Tiber anderthalb Hundert Stiicke —- Liotiardu kommt zu oft auf diese Dinge zurtickt fast ein dutzeiidmal auf verschiedenen Blättern; dazu sind einzelne Stücke zwei, drei und nach rnehnnal formuliert —— man sieht, Linnardu hat in der Phantasie an ihnen weites: gearbeitet und geseilt Kurzuuu es zeigt sich, das; der fatirischc Zkueck sur sich allein die Sammlung nicht erklariz sondern das; tiber ihn hinaus die Rätselsuriii der Anschauung den Lionnrdo kiinstlerisch interessiert hat. Und es innre wertvoll, zu inissem ruas an ihr es ist, das ihn fretitr.
Ein glücklicher Zufall nun — mehr ist es kann! —- mill, das; mir noch eine Scunmluiig von Weissagiiiigsriitselii besitzen nnd daß sie link: demjenigen innderneu Kiixistler siainiuh der am ersten in dec1iicisc1sseud- heit seiner Interesses: und darin, wie er Kunst und Wissenschaft zu nex- einigen suchtsz dein Liunardo tierglcirhbar ist, wenn aurh an Bedeutung sowohl als Wirkung ihn weit übertresseud - Goethe. Goethe ist zu verschiedenen Zeiten ans diese Form der Ulnsrhatiiiiig zuriiekgekniruneiy imd es ist höchst unwahrschcinlich, das; er durih Lionardo dazu angeregt ist; besonders nichi beim ersten Mal skgs in den Weissngungeii des Laus, aber auch kaum sszs in den Zahmeii Xenien 11 »nur Bcikis Wcässagtiiigeti oeruiisiht", olnoohl er dmnals wenigstens Siiicke aus Liunnrdos Nachlaß kannte. Aber« auch breite Partien der Walpurgisniichtc und des 2. Teils des Faust: überhaupt haben diese Form. Und daß Goethe sich des Yätsels bcmuszt ist, zeigt sein Eiogongsivort znni Z, Teil der« Zehnten
euren:
Gönnet inmier fort nnd fort Kaki; eure Giradel
De; Propheten tiefste; Wort, Oft isfs nur Charade
Und Goethe nun hat das küiistlerisch Rcizvolle der Riitselsorin
Unübertrefflich kurz und gut in: Motiv zum Bakis sc- formuliert:
Seltsam ist Propheten Lied; Doppelt seltsam, was geschieht.
Dies, die Lust, die Dinge neu und seltsam zu sehen, oder besser, sie in ihrer ursprünglirhexi Neuheit und Seltsamkeit zu sehen, - dies ist strherlich die innerste Tendenz des Näiselä seit es reine Konslforcn wurde. Eine hochkiinsklerische Tendenz. Es mag sein, daß sie am mi- mitkelbarsteti gerade. in der Form des: Phcophetie zum Ausdruck kommt, - xoomtt dann diese Fern: in reiner Kauf! nnd fast im Spiele zu dem zuritckkeljit sum-aus sie einst, xoic wir verwaisten, entstand — m» glück- lichsinit kommt die Tendenz ans Neuschen nicht im Prophetiw sondern in: Iluschauuitgsrätfcl zum Ausdruck. Goethe trcumtc Schillnrs Rätsel »ein«- zücktc Llnschaitungeii des Gegenstandes« und das Volksralsel spricht das- selbe im Rätsel vom Storch All, is) so ans: »Es-E heto noch inin Lcoen san Ding nig seen«
Dies sei unser« Abschluß nach de: einen Seite hin. Aber kehren wir nun zur« Saxumlittig des Liouardo zuciirh um sic näher anzusehen. Sie ist nicht so hat-nagen, wie sie bei der itberkill festgehaltenen Prophe- zeilsitngssorni aussieht. Es gibt — Toenn auch selten — direkte Volks-rälsel. Z. B: »Und es wird viele Jäger no« Tieren geben, die, je mehr sie fangen, umso weniger haben, und ebenso uingekehrt trraso mehr haben Tote-den, je weniger sie fangen.« Auflösung: »Von! Fangen der Lijusef Wurde schon im alte« Gtiechcitlasid ausgegeben und lebt noch heute. Ferner: reine Worträtseh wie sie auch in der Volks-Poesie häufig gcinordeti find. Wir haben sie nicht mehr angeführt, Iocil sie der Mehrzahl nach zu billig sind, um überhaupt von ihnen zu sprechen. Sofern sie aber ernstge- nonnnen Ioerdelt können, werden sie besser irr einem andern Instit-innen- hang verhandelt, nämlich do, roo von eigentlicher Sprachlmisl die Rede ist, d. h. einer Ell-Hist, die sich non den Eigentüiulichkeitcn der Sprache, ihrem ltlankp ihrer— Struktmz ähnlich anregeu läßt und auf sie eingeht, als der Bildhauer von der; besonderen Art seines Materials ausgeljh
Das Hauptniiltel aller« Rätsel, die Personifikatioin steht naliiclich auch bei Liouardo im Vordergrund; so in den-i kingesijhrtetl Rätsel vom Nußbaum Hier hat er für seinen axgukaltjptischeii Scheinznieck eine hlibsrhe Illnooudlung gefunden· Er stellt die Dinge, die er personifizicrh belebt, zugleich als tot um» und erhält so eine llniaasse von grausigeti Vorstellungen, die sich auf das Harruloscsie auflösen, z. B» »Die Be- wegung der Toten njisjd viel Lebende mit Schrnerz und Weine« und Schreien fliehen mache-h« Auflösung: »Von-a Stock, welcher tot ist««
Ilion hat wohl schon den Eindruck, daß weitaus: die Mehrzahl dieser» Jiatscl Tkichc mehr vor( der Attschaurkkig kmsgehesy wie die guten Volksrätseh sondern non einem, niochte inan sagen, Begrisssexetnpcl Bei der— Hanptrnasse dcr Riitsel ist nun aber« direkt der eigentliche Anlor des Liititsclljastcli eine rciu begrissliche FlJtanipulatiou. Es user-den bei der Beschreibung eines jhistaiidcs oder einer ljandlung eine Reihe notwen- diger Mittolglicder aus-gelassen. Da kein falsches Glied dafür eingesetzt wird, erscheint alles logisch richtig, während es sachlich falsch ist. Z. B. »Die Ochsen mer-den zum große« Teil Ursache seit: des Nuins de: Städte, nnd gleicherioeise Pferde und Rüssel-« Qlicflösungp »Sie ziehen die Vom- barden.«
Dies ist im Grunde recht öde. Der künsllerische Gestalstinigslrieb
Läonardns geht ja nicht ganz in die Brüche Denn iu der Mehrzahl der Fülle sorgt er dafür, daß das Schl11szbi1d, das er ducch diese logi- schen Schatze hekausbekommh irgend etwas« Eigeaartiges Grciirfiges an sich hat. So gibt es ja ein höchst phantastisctjes Bild, wenn es heißt: »Und an vielen Körpers: wird man sehen, daß sie, weckt: des: Kopf sitt) non ihnen hebt, fichtbarlich roochsen, und wenn der aufgehoben-te Kopf ihnen zurttckgegeben wird, sie sofort die Grösse vermindern« Hiört man dann, daß ,oom Gewicht, das aus den Federkifscki liegtc also von! menschlichen »Kopf«, aber vom Körper« der Federkisseic die Rede ist, so wird man die Beziehungen zufamtnenklaubeti können. Aber nat: eine nicht mehr gesunde Phantasie wird an diesen Kttnsteleieii Freude haben. Und da- zwischen findet man bei demselben Lionordo oft in der gleichen Reihe und deshalb doch wohl durch denselben logischen Prozeß erzeugte Bilder, die groß sind und beider Auflösung sich nicht in eine Künftelei ver- wandeln, sondexn eine erhöhte Anschauung dessen bleiben, roas geaneiut ist. It( solchen Fällen ist also die künstlerische Axtschnmtttg stärker ge- blieben und hu: sich die logische Manipulatioit dienstbar gemacht. Wenn es heißt: »Es wird unter der Erde hervorkommen, was mit furchtbarer« Schrei die amftehendeit Nachbarn aussetzen und iuit seinem Atem die Menschen töten Ioird und Städte und Knstelle zerstören« und die Ueber- schrist sagt, das; es handle »von den Lombarden, die aus der Grube und der Form hervorkommen-«, so kamt man vielleicht über den Anfang, das: Hervorkominen aus der Form zweifeln — nach meiner Empfindung stürt ei: die Atischauung - aber die Hauptvorstellungx nachher ist hin- reißend groß und verliert durch die Auslösung nicht. Weitaus die Mehr- zahl sind jedoch Begriffsmitze Wo bleibt die Anschauung in solchen Jtätseln wie dem »von den Federn iu den Betten«, »die geflügelten Tiere werden mit ihren eigenen Federn die kllienschen ausrecht erhalten«? »Die Federn werden die Mensche« gleichwie Vögel gegen Himmel heben — nämlich durch die VII-her, so diese Federn gemachtch oder: »Viele, die var dieser Zeit vom Feuer zerstört wurden, werdet: vielen Mensche« die Freiheit raubt-M: »von den Steinen, so in Kalt verwandelt sind, und aus» denen man die Gefängnisse martert« Jst es wirklich noch die Freude am Neusehcra cur- Seltsamsehem überhaupt die Freude am Schauen, an irgend welcher« Schauen. die hier sich anssprichts Jst es nicht vielmehr umgekehrt die sophistifchc Lust an der sjtichtigkcit dessen, was» groß und hoch schien? an der Auslösung dessen, was feftes Gebilde schien?
Das» Rätsel bedeutet ja non Anfang an die Einsiihritng des Be- grifflichen and des Elemente?- des Wissens in die phantusiebeljecrsrhte Welt. In seiner Vollendung als Knnftforin - der Volkskunsi - be-
zeugt es die Aufhelliiiig und Durchlciutjricisg des» Bewußtseins. Und «
daraus folgt seine Erkrankung, indem das rein riegotiii zur Ordnung; und Bemeglichrktnchtkng Auge-bildete Organ die Filhrtxrtg iiberniriinil und in der hathmütigeit Auflösung alles festen Gcbildes schweigt.
Diesen Zustand des Bewußtseins reflektiert Limiardtas Rätsel- fanmilungy Wenigstens zum großen Teil ihres Bestandes. Nicht zum ersten Mal. Schon die biblifkhen Allegorieiy noch uiehr aber die griechi- schen Rätsel des Sophismus und der alexcuidritsischeii Zeit geht«-en hier- her. De: Mdnchshumasiisniics des Nkittelolterg cihrnk sie nach, der Oe:
lehrtenhntnanismiis ist für sie entziickt Lionmdo erzeugt sie aus» fiel)
uan neuem. Es ist sicherlich ein Zufall, daß uns gerade seine Rätsel: scnnmlung erhalten ist. Aber einer» nun den Zufällerh die etwas Nu:- mendiges und Tupisches an sich halmi Jn unserm Fallc sowohl stir die Person des Linnardiz als siir die Stellung de: Renaissance in der Gesamtentwicklittig, als fiir das» anbrechende wissenschaftliche Zeitung. Man kann vielleicht sagen - und das Buch des; Marie Herzjeld scheint es wider Willen zu bestätigen, das; Lianardn einer der erste« ist, der bereits vom Tadeshaikch der. eigentliche« Renaissaiice getroffen wird. Obtnohl der immer Tini-h steigenden Kunstentfaliurig die stärksten An- rcgtnigekr gebend, xnird er persönlich als Klinstlcr vom wissenschastlichen Geist überrascht und set-kleben. Das Buch gibt ergreife-the Beispiele von der Leidenschaft, mit der er sich auf die Erkenntnis aller niöglichexi Dinge sonst, die mit feiner· Kiinstlerschaft nichts zu tun haben und die er auch sticht künsilerisch beiaaltigt Allerdings bei ihin ist noch alles lebendig und um des Lebens» willen da. Doch ist er in der Art, mie ihn schließ-
lirh die Erkenntnis der Dinge mehr interessiert als die Gestaltung, iuie «
eine Prnphctie ans das allgemeine Sterben der Kunst, das nicht zu lange nach ihm begann Und dann Ãœber Europa hinging. Genaneegesprochen ist das Fkalossnle in seines: Pcrslnklichteit dies, nIie der alte Geist der Kunst nnd der neue der Wisscnscijasr sich in ihm begegnen, zum Teil sich steägexniz mehr aber kiuch sich störend. Nach ihm ist die Entivicklung weiter ge: gelingen, iuie sie sich in ihm anbahnte Der wissenschaftliche Geist ist Herr geworden nnd hat den seit Bestehen der Welt unerhürten Aber- glauben miter uns grnsigegagerk das; der Verstand die Quelle der Waise- heit und dazu die einzige sei. Si) sehr ist diese Vorstellung unserer· Zeit cinerzogem daß die eigentlich und allein jrljiiuferiscshe Kraft, die Phantasie, für: unser Vewitßtseiii geradezu im Gegensatz zur ,,Wai)rl)eit« steht: »Das is! nicht wahr, das ist PhantusieU
Dieses: Verstand niill gekitzelt werden, wenn gespielt werden soll, und e: ist es ja, der gefunden hat, das; die Kunst Spiel uiid die Religion Jllnsian sei. Ei: ist es, der in aller Poesie dein Sinnlirhen das, was einen Sinn hat, und höchstens das: ,,Sinnige" vorsieht, dein Bedeutenden das, xnas etwas. ,hedeutet«. Ei: hat die Dichtung zum Rätsel gemacht und das Rätsel zixr Scharssiniislibiiiixx Er hat alle imgespitztih d. also nIIe eigentliche Dichtitiig Inigehürt verhallen lassen und den, Huinor in Witz und Sntire ertränkt.
Wir haben auch gegen diese beider! Mächte nichts, aber wo sie in der Ueliercnacht sind und Rhetorik das Gegengewicht abgeben muß, da ist nicht wohnen für nichts,,ivalleiide« Phantasie. Diese nämlich nur ist die ruhige, gelassene und aus reicher stillen: Gjesnndljcit gesialtende scelische -F"i’raft. Witz und Satire sind Eiieizmittel Wo ihrer znkkielmird im Verhältnis zur eigentlichen Kraft des Abtei-s, da wird er ausgesogeir und derart-ist. Und keine Rhetackk - Pnterrckiissche Dörfer - ersetzt das.
Ach« Bann;