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Rätselgedichte, Rätselreime

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Rätselgedicht Nr. 13858

von Leopold Enk von der Burg

Kettenscharade

Die Drillinge

Unter den Reisenden, welche noch vor der Erneuerung Griechenlands die Trümmer der alten Minervenstadt aussuchten, um durch Betrachtung derselben die Bilder ihrer früheren Herrlichkeit lebendiger in sich hervorzurufen, befanden sich auch ein Britte und ein junger Deutscher, welche sich beide bei der Witwe eines griechischen Kaufmannes eingemietet hatten. Was beide schon mehrere Monate zu Athen festhielt, war inzwischen nicht die Vergangenheit allein, sondern mehr als diese die blühende Gegenwart Anastasiens, der reizenden Tochter ihrer Wirtin, die durch den doppelten Zauber sittlicher und körperlicher Grazie, und die ihren Landsmänninnen eigentümliche Feinheit des Geistes, zu den Zeiten des Perikles für eine Schülerin Aspasiens hatte gelten können.

Nicht leicht konnten zwei sich unähnlichere Bewohner unter demselben Dache zusammentreffen. Der Britte war hypochondrisch, dieser Stimmung wegen geneigt, alles von einer unerfreulichen Seite zu sehen, und, bei einem entschiedenen Hange zum Paradoxen, gewohnt seine Behauptungen hartnackig zu verteidigen: während unser deutscher Landsmann sich an eine heitere und poetische Ansicht des Lebens hielt, die er fest und sicher, wenn gleich nicht ohne einige Überspannung, aufgefasst hatte. Diese Verschiedenheit ihrer Ansichten gab dann fast bei jedem Gegenstande der Unterhaltung Veranlassung zum Streite: der inzwischen zuletzt meistens durch die natürliche Gutmütigkeit beider, oder durch das Dazwischentreten der Frauen, auf eine heitere und geistreiche Art ausgeglichen wurde.

Eines Tages gerieten beide in einen Streit über die Liebe. Der Lord behauptete, dass keine Leidenschaft eine gefährlichere und verderblichere Herrschaft über das Gemüt ausübe; keine in sich selbst die Keime so vieler Verirrungen und Verkehrtheiten enthalte, als eben diese: während sein Gegner in ihr die Quelle der reinsten and edelsten Begeisterung für alles Gute, Schöne und Große erkennen wollte. Der Kampf wurde diesmal lebhafter, als gewöhnlich geführt; der Brite erschöpfte seinen Witz in Anklagen, der Deutsche seine Beredsamkeit in der Verteidigung; und vergebens versuchte es die achtbare Frau, der es sonst so leicht gelang, beide Parteien auf einem Mittelwege zu vereinigen, den Streit auf ihre Weise zu schlichten; als Anastasia, die bisher eine stumme Zu» Hörerin abgegeben hatte, jetzt das Wort nahm.

»Wenn du es erlaubst, Mutter,« sagte sie, »so will ich diesen beiden Herren hier eine Geschichte erzählen, welche ihren Zank wenigstens auf eine kurze Zeit unterbrechen und ihnen Muße geben wird, von ihren Anstrengungen auszuruhen.«

»Vor vielen Jahren starb hier eine arme Witwe, welche Drillinge noch in der ersten Kindheit hinterließ, die sich so vollkommen ähnlich sahen, dass auch das schärfste Auge nicht die geringste Verschiedenheit an ihnen entdecken konnte. Desto verschiedener waren ihre Schicksale. Der erste Knabe geriet durch eine sonderbare Verkettung von Umständen in die Hände einer Räuberbande, unter welcher er aufwuchs, und wilder und grausamer wurde, als irgend einer seiner Pflegeväter; den zweiten nahm ein gemeiner Bildhauer mit sich nach Bara, wo er einen eben so schlechten Künstler aus ihm zog, als er selbst war; den dritten endlich führte sein Glücksstern, hier in Athiniah selbst, in das Haus eines der hochsinnigsten und edelsten Männer unsers Volkes, bei welchem jede günstige Anlage des Knaben zur vollsten und reichsten Entwickelung gedieh.«

»Im vorigen Jahre brachte der Zufall die drei Brüder auf einer und derselben Barke zusammen. In einem einsamen Winkel derselben geraten sie mit einander ins Gespräch und erkennen sich. Ein Freund unsers Hauses belauschte sie unbemerkt. Er hatte sie in ihrer frühesten Jugend gekannt, wo sie sich so ganz zum Verwechseln ähnlich gewesen waren, und konnte nicht zu sich kommen vor Erstaunen, wie sie sich seither so ganz unähnlich geworden waren. ** flammte aus dem Auge des Ersten —«

[a] Rastlos bewegt, ist die erste Silbe, Quelle der Kraft für alle lebenden Wesen; Quell der Freude, wie der Traurigkeit; des Wohlseins wie des Schmerzest Kronen gibt sie und Schätze, und ist die Mutter der Tugend, wie des Lasters. Ein unersättliches Ungeheuer ist die zweite Silbe, nur um so unersättlicher, je mehr es verschlingt, und grausamer, als jedes andere Ungeheuer in, Verbindung mit jener ersten.

»Aus den Zügen des Zweiten sprach im Gegensatz die stumpfsinnige Gemeinheit eines — «

[b] Zeichen und Werkzeug des Krieges ist die erste Silbe. Friede ist das Element per beiden andern; stumpfsinnige Gemeinheit das Element des Ganzen.

An Schönheit und Abel seiner Züge glich der Dritte einem —

[c] Ein Fluch liegt auf der ersten Silbe. Was sie immer berührt, setzt sie unter ihren Wert herab, selbst — die Zweite.

»Wie gesagt,« fuhr Anastasia fort, »unser Freund begreift bis auf den heutigen Tag nicht, und kann nicht aufhören sich darüber zu verwundern, wie eine solche Erscheinung möglich geworden.

»Wie sie möglich geworden,« fuhr der Lord lachend auf; »und kann nicht aufhören sich darüber zu verwundern? Nun, fürwahr, das ist lustig. Der eine Knabe erwuchs in den finstern Schlupfwinkeln des Verbrechens, und das Verbrechen: drückte den Zügen desselben feinen Stempel auf: der zweite in Gemeinheit, und er trug in den seinigen den Stempel der Gemeinheit; der dritte endlich erwuchs in einem Tempel der Tugend und der Menschlichkeit, und ihm drückten die Tugend und die Menschlichkeit ihr leuchtendes Siegel auf die Stirne. Jede Knospe trug edle oder giftige Früchte, je nachdem sie auf einen Stamm gepflanzt ward.«

»Und die Knospen der Liebe?« fragte Anastasia.

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a) Blutgier
b) Spießbürger
c) Halbgott

Verweise

Kettenscharaden