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Rätselgedichte, Rätselreime

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Rätselgedicht Nr. 13149

von Leopold Enk von der Burg

Kettenscharade

Das Orakel

Der Einfall, die Blumen zu einem Liebesorakel zu machen, ist sehr alt, wie jedes Mädchen weiß, das jemals eine Sternblume berupfte, um zu erfahren, ob es »herzlich, schmerzlich, ein wenig, oder gar nicht« geliebt werde. Auch Nikomedes, der junge Professor ertraordinarius der Botanik an einer deutschen Hochschule, geriet auf diesen Einfall. Er hatte bisher so viel damit zu tun gehabt, seinen Kopf mit Terminologien und Pflanzennamen vollzustopfen, dass ihm durchaus keine Zeit geblieben war, den leeren Raum in seinem Herzen gewahr zu werden. Jetzt geschah dieses ganz unvermutet, und seine Jugendgespielin Minchen, die reizende Tochter der Kriegsrätin Brom, schien ihm ganz geeignet, denselben auszufüllen. Die Frage war nur, ob Minchen auch geneigt sein werde, sich auf den bisher brach gelegnen Boden seines Herzens verpflanzen zu lassen, und daselbst zu bekleiden. Um nun darüber ins Klare zu kommen, beschloss der Schüchterne, ihr zwei oder dreimal einen auserlesenen Blumenstrauß zu senden, und sich von Minchen für jeden das Gegengeschenk einer Blume aus ihrem eignen Gärtchen zu erbitten, deren Bedeutung dann für seine Wünsche und seine ferneren Schritte entscheidend sein sollte. Für einen Orakelspruch konnten sie ihm um so leichter gelten: da Minchen — dieses Umstandes hatte er sich sorgfältig versichert — von einer Blumensprache nie etwas gehört hatte.

Ohne Verzug eilte er also eines von den instruktiven Werken über Blumensprache zu kaufen, welche in den letzten Jahren zahllos wie die Gänseblümchen nach einem Frühlingsregen zum Vorschein gekommen sind, und eben so wenig zögerte er, sogleich den ersten Strauß zu binden, der über sein Schicksal entscheiden sollte. Das Geschäft war nicht leicht; denn teils passten die Blumen, welche ihm eben zu Gebote standen, nicht so wie er es wünschte zum Ausdruck seiner zärtlichen Empfindungen: teils war die angegebene Bedeutung jener oft so abgeschmackt und widersinnig gewählt, dass sein gerade nicht überfeiner Geschmack durch die Zusammenstellung, zu welcher er sich angewiesen sah, dennoch beleidigt wurde. Inzwischen beschloss er in diesem Falle die Schönheit der Wahrheit aufzuopfern, und brachte so aus Rosen, Feuernelken, Gundelreben, Futterklee, Goldlilien und Hasenpfeffer einen Strauß zusammen, der sich zur Not noch immer anbieten ließ.

Minchen begriff zwar nicht zum besten, warum ihr botanischer Jugendfreund so gar angelegentlich darauf dringe, dass sie seine Blumengeschenke mit einem Gegengeschenk von ihren Blumen erwidern sollte: sie war inzwischen zu gutmütig, als dass Sie seinem Wunsche nicht hätte willfahren sollen. Sie sandte ihm also ein wunderschönes —

a) Gerne mögen die Mädchen mit den beiden letzten Silben sich vergleichen hören, weil diese für das Sinnbild einer Eigenschaft gelten, welche sie meistens gar bald verläugnen, wenn sie die beiden erste ren geworden sind.

Minchens Kammermädchen, die Überbringerin der verhängnisvollen Blume, hatte kaum die Türe geschlossen, als der verliebte Botaniker, wie ein Besessener nach seinem Wörterbuch der Blumensprache sprang, um es zu Rate zu ziehen.

Heirat, stand bei dem Namen der empfangenen Blume.

»O du Treffliche! du Herrliche!« rief er voll Entzücken zehnmal in einem Atemzuge; »was will ich denn sonst, als dich heiraten, fern liegt mir jeder Gedanke an ein unwürdiges Verhältnis, und mit freudigem Vertrauen empfange ich den Wink meines Schicksals, der mit meinen eigenen Wünschen so vollkommen übereinstimmt. Es ist doch eine schöne Sache um ein solches Orakel!«

Eifrig band er nun einen Strauß ans Rosen und Ranunkeln, aus Levkojen und scharlachroten Salbei, als Dolmetscherin seiner Hoffnungen und seines Entzückens, fasste denselben, weil er ihn als eine Frage an das Schicksal betrachtete, und ihn durchaus strenge zum Ausdruck seiner Empfindungen und seiner Gesinnungen machen wollte, sehr zierlich mit Esparzettklee ein, der nach der Anweisung seines Buches sich eben so trefflich zum Sinnbild einer ehrenfesten Liebe, als zum Kuhfutter eignete, und sandte ihn am folgenden Morgen an Minchen ab. Das Gegengeschenk war diesmal ein —

b) Die beiden ersten Silben nennen eine Stadt, die beiden letzten eine Blume. Auch mit dieser mögen sich die Mädchen gerne vergleichen lassen. Und warum sollte man ihnen nicht den Gefallen tun, sie damit zu vergleichen? Früh drängt sich die Blüte derselben aus der Knospe; schnell welkt sie; und was davon zurückbleibt sind — Dornen.

Bald, war die Deutung, welche das Zauberbuch bei dem Namen der übersandten Blume auswies.

»Bald! Bald!« rief der überglückliche Botaniker. »Heirate sie bald! ruft das Schicksal mir zu, und, o wie gerne gehorch' ich nicht dem Rufe seiner Stimme!«

»O gewiss,« rief er auch heute aus, »gewiss, es ist eine herrliche Sache um ein solches Orakel!«

Kaum hatte er nötig, dieses noch weiter zu befragen, da es sich bereits so entschieden erklärt hatte. Aus dankbarer Pietät gegen dasselbe beschloss er inzwischen es dennoch zu tun. Nicht sehr glänzend siel dieses Weihopfer feiner Dankbarkeit in die Augen, da er nach der Weisung seines Lexikons Löwenzahn und Petersilie, mit Ringelblumen und der Blüte des spanischen Pfeffers zum Strauße vereinigte. Minchen glaubte bei Empfang desselben beinahe im Ernst, der Ubersender wolle Sie zum Besten haben. Sie behielt es sich vor, ihm bei der nächsten Gelegenheit deswegen den Text zu lesen, und sandte ihm zur Erwiderung, weil sie diese doch einmal versprochen hatte, einen —

c) Drei Silben zählt der Name der Blume. Die letzte dient den beiden ersten zum Schmucke. Frech sprechen diese allen Gesetzen der Natur und der bürgerlichen Ordnung Hohn, ohne dass irgend Jemand sie deswegen zur Rechenschaft zöge. Mit der äußersten Wut bekämpfen sie ihre Gegner, und weichen nicht, bis nicht die Spitze ihres Stahls sein Blut vergossen hat.

Deutlich genug sprach auch diesmal des vielgepriesenen Orakels Stimme: aber das Wort: Hahnrei, welches er bei dem Namen der bezeichneten Blume fand, brachte den armen Professor der Botanik fast zur Verzweiflung. Wie er sich auch zersinnen, und die beiden ersten Aussprüche mit dem zuletzt empfangenen verknüpfen mochte: sie ließen jetzt keine andere Deutung mehr zu, als die Drohung: Heiratest du sie: so macht sie dich bald zum Hahnrei!

Lösung anzeigen

a) Frauenveilchen (Viola matronalia)
b) Dijon-Röschen
c) Hahnenkamm (in England versieht man die Hähne bei Hahnenkämpfen mit eisernen Sporen)

Verweise

Kettenscharaden