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Rätselgedichte, Rätselreime

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Rätselgedicht Nr. 12609

von Leopold Enk von der Burg

Kettenscharade

Der Liebe höchster Schmerz
»Gibt es unter allen Bewohnerinnen des Himmels, oder auch nur unter den Töchtern
der Erde eine Unglücklichere als mich?« sagte die Göttin der Morgenröte einst
mit Tränen zu ihrer Schwester Selene.
»Und warum hältst du gerade dich für die Unglücklichste?« fragte Selene die
Trauernde.
»Warum? Beglückt Liebe nicht die Unsterblichen, wie die Sterblichen. Alle beglückt
sie; allen reicht sie ihre frohen Kranze: nur mir hat sie ihre schärfsten Dornen
ins Herz gedrückt. Ich liebte den reizenden Orion. Wie reizend war er nicht! wie
glücklich fühlte ich mich nicht in seinem Besitze! Doch nur kurze Zeit währte
mein Glück. Die Götter beneideten mich darum, und töteten ihn mit ihren Pfeilen.«
»Hellstrahlend glänzt er am Himmel mit demantenem Schilde, noch jetzt von deinem
Gürtel umschlungen.«
»Mir aber ist er entrissen für immer. Gab es einen Ersatz für ihn: so war es
der Sohn des Dejoneus, Cephalus. Allein die Liebe einer Göttin vermochte es nicht,
die Erinnerung an eine Sterbliche ans feinem Herzen zu verdrängen, und ich musste
ihn aufgeben.«
»Fandest du nicht das vollste Glück der Liebe in den Armen Tithons, der nur
dich liebte, und nur für dich glühte.«
»Ja; aber gerade diese Liebe war es, die den herbsten Schmerz auf mich häufte,
der ein liebendes Weib treffen konnte. So vollkommen war mein Glück: dass mir
nichts zu wünschen übrig blieb, als seine ewige Dauer. Ich erflehte von Zeus für
Tithon die Unsterblichkeit, und, ach! vergaß es, ihm auch das Geschenk ewiger
Jugend zu erflehen. Allen Zufällen der Sterblichkeit unterworfen, ist er durch
das ihm gewordene Geschenk grenzenlos elend: weil es jede Pein, die er empfindet,
zu einer ewigen macht, und jede Hoffnung ihres Aufhörens vernichtet.
Will man die drei Dornen, welche die Liebe der Tochter Hyperions ins Herz drückte,
und an welchen schon tausende von weiblichen Herzen verbluteten, jeden mit einem
einzelnen Worte bezeichnen: so kann man es mit den drei folgenden:
Die zweite Silbe des ersten Wortes verheißt die Liebe immer: aber die erste
taucht, wenn jene sich mit ihr verbindet, die Rosen, welche sie euch bietet,
in Gift, und lässt euch nur ihre Stacheln empfinden
a).
Wie tief diese Stacheln auch dringen, wie heftig sie auch schmerzen mögen:
tiefer dringt der zweite Dorn, und dauernder ist der Schmerz, welchen er zurücklässt.
Drei Silben nennen ihn. Die beiden letzteren gefährden den Werth des Mannes,
wie des Weibes; aber wo sie Letzteres mit der ersten verbunden treffen: da vernichten
sie diesen Werth — in seiner eigenen Meinung b).
Unselig aber das Weib, das den dritten Dorn — fünf Zeichen nennen ihn — sich
selbst ins Herz drückte. Denn was sich jederzeit an uns rächt, rächt sich mit
tausendfacher Pein an einem Herzen, das den Geliebten beglücken wollte, und ihn
elend machte c).

Lösung anzeigen

a) Verlust

b) Verschmähung

c) Schuld

Verweise

Kettenscharaden