Rätselgedichte, Rätselreime
von Immanuel Gottlieb Moser
1.
Ein kaum gebornes Kindlein,
Es ruht an hoher Stätte,
Zu Anfang ganz verborgen
Vom glänzend braunen Bette;
Bald öffnet sich die Wiege,
Das Kindlein springt hervor,
Und streckt die feinen Ärmchen
Zur Sonne gleich empor.
Und hat es nun die Sonne
Durchwärmet und durchleuchtet,
Und hat's der liebe Himmel
Mit seinem Tau befeuchtet,
So wird es stark und kräftig,
Sein Schmuck ist ausgesucht,
Es hüllt in süßen Duft sich,
Und bringt manch edle Frucht.
2. 3.
Der Früchte bin ich eine.
Mein Ruhm ist längst begründet;
Einst hab' ich Streit geschlichtet
Und Eifersucht entzündet;
Mich legt' als Todeskappe
Der auf ein schuldlos Haupt,
Dem dieses Haupts Befreier
Das Leben dann geraubt.
Ich halt' ein Haus umschlossen,
Das Haus hält ohne Klammern,
In diesem Hause finden
Sich fünf geheime Kammern,
In ihnen liegt mein Vater
Verschlossen und geborgen,
Doch, wird er nur begraben,
So kommt sein Frühlingsmorgen.
Das Ganze.
Ich Zwillingsbruder ruhe
Auf atlas-weißem Kissen,
Von mir und meinem Zwilling
Stammt euch viel edles Wissen;
Ich decke mich zum Schlafe
Mit weicher Decke zu,
Die, mit den feinen Fransen,
Schafft mir gewissen Ruh.
Wenn ich von meinem Bruder
Nicht weich', in grader Richtung,
Und glänze gleich an Pracht ihm,
So preist mich hoch die Dichtung,
Und geb' ich Dir im Kosen
Dein Bild verklärt zurück,
Wenn du wie deinen – Spiegel
Mich liebst, so sage von Glück
Aug + Apfel = Augapfel
(von Moser selbst)
1. Das Kindlein, welches kräftig
Aus braunem Bettchen springt,
Es ist des Fruchtbaums Auge,
Das aus der Hülle dringt.
2. 3. Die Frucht hat schon Frau Eva
Bekanntlich angebissen;
Als Preis bekam sie Venus,
Tells Pfeil hat sie zerrissen.
In ihrem Fleische findet
Das Kernhaus immer Raum.
Und wenn den Kern du pflanzest,
So wird's – ein Apfelbaum.
1. 2. 3. Mit deinen Zwillingsbrüdern
In meine schau herein,
Und ein lebendiger Spiegel.
Wird dein Augapfel sein..