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Rätselgedichte, Rätselreime

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Rätselgedicht Nr. 11885

von Esther Schellenberg-Biedermann

Scharade (2+1 Silben)

Das Erste.
Mein Losungswort ist: Ruhe, Friede!
Mit Sehnsucht blickt nach mir der Müde,
Dem saurer Schweiß sein Brot gewinnt;
An meiner Hand eilt er zur Hütte,
Wo lieb und Trost er in der Mitte
Der Gattin und der Kinder find't.
Wenn von der Glut der Sonnenstrahlen
Die Pilger kraftlos niederfallen,
Und ich machtet jeder Blütenstrauch,
Steig ich mit mildem leisem Wehen
Zur Erde von des Himmels Höhen
Und spende neuen Lebenshauch.
Die Reize, welche mich umfließen,
Die Zauber die an mich sich schließen,
Malt Lorrains Pinsel matt und schwach.
Gemälde, die der Seel' entgleiten,
Gesungen in des Harfners Saiten,
Sie kommen nie dem Urbild nach.
Erschein ich auch, so wandeln Schatten,
Gespenstern gleich, auf Flur und Matten;
Doch jedes Kind hat Lust daran.
Die kleinste Hütte wird zum Berge,
Zu Riesen mach ich selbst die Zwerge,
Und staunen blicken sie sich an.
Ich öffne euch Casin' und Bühne,
Ich locke euch hinaus ins Grüne,
Das Bad bereit ich euch im See.
Ihr folgt mir gern zu meinem Schmause,
Den Freund geleit ich euch zum Hause,
Und mit mir trinkt ihr Chinas The.
Ein jedes Wesen sieht mich gerne,
Der Fleiß allein nur wünscht mich ferne,
Doch ach! die Menge graut vor mir.
Mein ist der legte Hauch des Lebens,
Und all sein Kämpfen ist vergebens,
Ich führ es an des Todes Tür.
Das Zweite.
Das was ich bin, fühlt nur das Auge,
Mein Leben von dem Licht ich sauge.
Bin ich, so bin ich Geistern gleich.
Erscheinung nur ist's die mich kennet,
Empfindung nur ist's die mich nennet;
Mein Sein gehört der Sonne Reich.
Ich bin die Zierde mancher Blume,
Und in der Unschuld Heiligtume
Erkennt gerührt dein Auge mich.
Ich herrsche in dem Reich der Tugend
Und von der unbefleckten Jugend
Noch nie mein sanfter Zauber wich.
Der Kranke wünscht mich mit Begierde.
Selbst schwarzen Wangen bin ich Zierde,
Wenn mich die Weiße oft erlog.
Ich fit im heimlichen Gerichte;
Unsichtbar glüht ich im Gesichte
Oft wenn mich dunkle Nacht umzog.
Vermähle ich mich mit der Farbe,
Die du erblickest an der Garbe,
So gleich ich der Orange Frucht.
Der Grund bin ich der größten Brücke,
Die je sich zeigte deinem Blicke,
Doch die dein Fuß noch nie versucht.
Blickst Du zu viel nach mir im Glase,
So fahr ich rächend dir zur Nase,
Und mache dir dein Auge stumpf.
Wenn ich des Mädchens Locken ziere,
Trifft's dass ich meinen Ruf verliere,
Doch nie verlier ich, bin ich Trumpf.
Erblickest du mich an der Fahne,
Und droht man dir mit meinem Hahne,
So hüte dich, nimm dich in Acht;
Denn, wenn ich dunkle Nacht erbelle,
Und wenn gen Himmel wogt die Quelle,
So ist das Drohen schon vollbracht.
Das Ganze.
So prachtvoll und so schön ich glänze,
Sieht nie die Nacht mich, nie der Tag.
Dein Auge sieht an ferner Grenze
Mich dennoch, wenn ich ihn bekränze,
Des schönsten Tages Sarkophag.
Die Schwester ruf ich in das Leben,
So wie des Bruders Auge bricht.
Mein Vater stirbt mit ihm, doch heben
Sich seine Blicke noch und geben,
Indem die Mutter weint, mein Licht.
Kurz ist mein Dasein; ich verkünde
Zieh gegen Osten ich durchs Land,
Dass Morgen schön der Tag verschwinde,
Dass Morgen sich auch Freude finde,
So schön als man sie heute fand.

Lösung anzeigen

Abend + Rot = Abendrot

Anmerkungen

Claude Lorrain (* 1600 in Chamagne, Lothringen; † 23. November 1682 in Rom) war ein französischer Maler des Barock und Kupferstecher, der hauptsächlich in Rom wirkte. Er trug wesentlich zur Herausbildung der Landschaftsmalerei bei.

Quelle

Gedichte von G. Schellenberg, geborene Biedermann
Verlag von G. Reimer, Berlin
1841

Verweise

Scharaden