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Rätselgedichte, Rätselreime

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Rätselgedicht Nr. 11200

von August von Kotzebue

Dramatische Scharade (1+1 Silben)

Erste Silbe
Caroline (allein). Ich mag nicht lesen, ich mag nicht singen, ich mag
nicht arbeiten. – Es ist sehr langweilig, wenn man zu nichts auf der Welt Lust
hat. – Ich glaube fürwahr, ich bin hypochondrisch, – Pfui! das schickt sich
nicht für ein junges Mädchen. Meine Gouvernante spricht: hypochondrisch wird
man nur durch die Liebe – und die Liebe? – Gott bewahre mich vor der Liebe!
Luise (kommt). Schwesterchen, was gibst Du mir für das, was ich da
unter meinem Schnupftuch halte?
Caroline. Was ist es denn?
Luise. Rat einmal.
Caroline. Ich habe keine Lust mir den Kopf zu zerbrechen.
Luise. Ei, so rate mit dem Herzen.
Caroline. Doch wohl nicht Sar –––
Luise. Ein Brief von Eduard.
(Sie zieht ihn hervor.)
Caroline. Geschwind, gib!
Luise. Aber mein Botenlohn?
Caroline. Närrchen, wenn der Türke wieder kommt, der neulich bei Hofe
auslegte, so kauft ich Dir ein Fläschchen Rosenessenz.
Luise. Zu einem Shawl hält ich mehr Lust.
Caroline. Stille! Lass mich lesen.
Luise. Ja lies nur. Unsere Gouvernante, Madame Charivori, wird gleich
hier sein, und
wenn sie Dich mit dem Briefe in der Hand findet –
Caroline. Nun? was weiter?
Luise. So wird sie Lust bekommen ihn selbst zu lesen.
Caroline. Das wäre auch eben kein Unglück, wir schreiben uns nichts
Böses.
(Sie öffnet den Brief und will anfangen zu Lesen.)
Luise. Horch! Da kommt sie schon!
Caroline. Das ist recht fatal.
(Sie versteckt den Brief)
–––––––––
(Die vorigen. Madame Charivari. Henriette. Amalie.)
Mad. Charivari. Mademoiselle Caroline, jetzt wollen wir Schule
halten.
Caroline (gähnend). O liebe Madam Charivari! heute habe ich keine
Lust.
Mad. Charivari. So? das wäre mir eben recht! Sie sind die Älteste,
und sollen den andern, mit gutem Beispiel vorgehen. Die Glocke hat schon 10
geschlagen. Keine Lust? Seht doch! Aber in die Komödie zu geh'n, wenn die Uhr
6 schlägt, dazu haben Sie immer Lust.
Luise (beiseite) Es ist auch weit lustiger.
Mad. Charivari. Und in Gesellschaften, durch Geist, und Kenntnisse zu
glänzen, dazu haben Sie auch Lust, nicht wahr?
Caroline. O ja.
Mad. Charivari. Nun, so müssen Sie auch lernen. Allons,
Mademoiselles! setzen Sie sich. (Alle setzen sich.) Wir wollen die
Universalhistorie vornehmen.
Luise. Ich kann meine Lektion.
Henriette. Ich auch.
Amalie. Ich auch.
Mad. Charivari. Das wird sich zeigen. Wo fängt die Universalhistorie
an?
Henriette. Bei Adam und Eva.
Mad. Charivari. Ganz recht. Welches war das erste merkwürdige
Ereignis in der Universalhistorie?
Luise. Sie ließ sich von einer Schlange die Cour machen.
Mad. Charivari. Was entstand daraus?
Henriette. Sie bekam Lust, einen Apfel zu essen.
Mad. Charivari. Und dieser Apfel?
Amalie. Hat alle Evenstöchter lüstern gemacht.
Mad. Charivari. Lieber Gott! Nicht die Töchter allein, auch die
Söhne. Schon vor der Sündflut soll es grässlich auf der Welt zugegangen sein.
Die Menschen freiten und ließen sich freien.
Luise. Das macht, sie hatten Lust zu heiraten.
Mad. Charivari (zu Carolinen, die unterdessen verstohlen den Brief
entfaltet und gelesen hat). He, was lesen Sie denn da?
Caroline (verlegen). Ach! Nichts.
Mad. Charivari. Das Nichts will ich sehen.
Caroline. Es ist ein Brief.
Mad. Charivari. Ein junges Mädchen muss keine Briefe empfangen,
welche die Gouvernante nicht zuvor gelesen hat. Von wem ist der Brief?
Caroline. Von Eduard.
Mad. Charivari. Von Eduard? Ei! Was schreibt er denn?
Caroline. Er schreibt, wenn ich ihn nicht heiraten würde, so hätte er
keine Lust länger zu leben.
Mad. Charivari. So? Und Sie?
Caroline. Je nun, ich hätte wohl Lust, ihn zu heiraten.
Mad. Charivari. Davon danach. Jetzt wieder zur Universalhistorie.
Caroline. Aber ich bitte Sie, Madame Carivari, wie kann ich nach
einem solchen Briefe noch Lust zur Universalhistorie haben?
Mad. Charivari. Aha! Ich merke, Ihre eigene Spezialhistorie gefällt
Ihnen besser?
Die anderen Mädchen (beiseite). Mir auch-
Mad. Charivari. Nun, wir wollen für dieses mal die Stunde schließen.
Allein es muss noch etwas deklamiert, und auch noch etwas auf dem Fortepiano
gespielt werden. Allons, Mademoiselle Caroline. Die beiden Stanzen, die unser
Hauspoet auf meinen Geburtstag gedichtet hat.
Caroline. Erdenlust und Himmelslust?
Mad. Charivari. Ganz recht.
Caroline. Wenn Sie durchaus befehlen.
(Sie steht auf und deklamiert.)
Wenn Plutus Dir den nimmersatten Beutel
An jedem Tag füllt mit schnödem Gold;
Wenn Lorbeerkränz' umwinden Deine Scheitel,
Und jeder Rezensent sogar Dir hold,
Und wenn ein Mägdlein, schön und jung und eitel,
Dir lächelnd bietet süßen Minnensold;
So regt sich wohl etwas in Deiner Brust,
Allein es ist nur schnöde Erdenlust.
Doch, wenn Dir Weisheit ihre Schätze schenket,
Zum Jünger Dich in ihrem Tempel weiht;
Und wenn die Muse Dir Begeist'rung sendet,
Und Schillers Leier süße Töne leiht;
Und wenn ein treues Herz sich Dir verpfändet,
Ein treues Herz für Zeit und Ewigkeit.
Dann spüre, was sich regt in Deiner Brust:
Das ist allein die wahre Himmelslust.
Mad. Charivari. Es mag passieren. Nun zum Schluss, Mademoiselle
Henriette, spielen Sie noch meine Lieblingsarie von Mozart.
Henriette. Die aus Belmonte und Constanze.
Mad. Charivari. Ganz recht.
Henriette. (Spielt die Arie : Welche Freude, welche Lust, etc., doch nur
die beiden ersten Zeilen)
Mad. Charivari. Nun? Weiter?
Caroline. Wozu weiter? Wir wollen doch nur die erste Silbe
darstellen.
Mad. Charivari. Ich merke wohl, Sie haben keine Lust mehr. Nun, dann
wollen wir abtreten, um der zweiten Silbe Platz zu machen.
Zweite Silbe
Emilie (tritt auf). Nein, das ist zu arg. Die ganze Nacht ist er
nicht nach Hause gekommen. Was gilt's, hat er wieder gespielt? – Die
verdammten Karten. – Ei, was geht es mich an? Will er durchaus Geld und
Gesundheit auf die Karten setzen, so soll er wenigstens nicht länger mit dem
Herzen spielen. 
Pauline (kommt). Schwesterchen, Du scheinst verdrüßlich.
Emilie. Traurig bin ich.
Pauline. Ei, warum? Weil der Ball im Schießhause nicht lang genug
dauerte.
Emilie. Keineswegs.
Pauline. Ober weil die Ressource-Bälle so selten sind?
Emilie. Auch nicht.
Pauline. Oder well die Madame Schulz aus Gotha ihre Waren so teuer
verkauft?
Emilie. Wir haben ja noch Pedari und Münderloh.
Pauline. Ganz recht, das sind ein Paar liebenswürdige Freunde, immer
bereit zu helfen. Nun so weiß ich doch fürwahr nicht, was dir fehlt? Heute
Abend ist ein großer Tee, es kommen lauter charmante Leute zusammen; da werden
wir Scharaden aufführen, uns verkleiden und fröhlich sein.
Emilie. Kannst Du fröhlich sein, während der Vetter Franz sich ins
Unglück stürzt?
Pauline. Der Vetter Franz? Ich habe ihn wohl zu Deinen Füßen stürzen
sehen; aber das war kein Unglück.
Emilie. Er spielt.
Pauline. Alle Männer spielen: Der eine mit Hypothesen, der andere mit
Weibern, der dritte mit Karten; und wenn es denn doch gespielt sein soll, so
ist es besser mit Karten als mit uns armen Geschöpfen.
Emilie.
Aber Vetter Franz verliert sein Gels und seine Gesundheit.
Pauline. Wie lange wird's währen, so besinnt er sich eines Bessern.
Du bist ja seine Coeur Dame und wer die Coeur Dame im Herzen trägt, an den
haben die übrigen 12 Blätter keine Macht.
Emilie. Er ist die ganze Nacht nicht zu Hause gewesen.
Pauline. Was folgt daraus? Dass Du über Hals und Kopf ihn heiraten
musst, dann wird er schon zu Hause bleiben.
Emilie. Meinst du?
Pauline. Freilich. Wenn erst der
Consistorial-Rat
Günther den Segen drüber gesprochen hat, das verwandelt die Gemüter.
Emilie. Wollte Gott!
Pauline. Ich sei schön, ich muss Dir das neue Liedchen holen, das
Kutzebue auf die Melodie vom Troubadour gemacht
hat, das wird Dir die Grillen vertreten.
Emilie. Grillen sitzen nur im Kopf, aber was ich fühle, können wohl
nicht Grillen sein, denn es sitzt hier (auf das Herz deutend). Horch! Er
kommt.
Franz (ohne Emilien zu sehen). Verdammter Treffbube! – wär ich doch
lieber in die Komödie gegangen und hätte über
Unzelmann gelacht, so
hätte ich mein Geld und meine gute Laune noch.
Emilie (für sich). Da haben wir's!
Franz. Aber was kann ich dafür, dass ich ein Deutscher bin? Es wirb
jetzt so viel von der Würde der Nation gesprochen. Man soll sich zurück leben
ins Mittelalter und noch ein bisschen weiter. Die alten Deutschen haben Weiber
und Kinder aufs Spiel gesetzt. Hält' ich in der vorigen Nacht nur eine hübsche
Frau bei der Hand gehabt, ich hätte es auch getan, und folglich bin ich aus
echtem deutschen Blut.
Emilie (für sich). Saubere Grundsätze!
Franz. Nein! – nein! – ich hätte es nicht getan! Pfui, schäme Dich,
Franz! Du liebst ein so herrliches Mädchen! von Belvedere bis Tieffurth
findest Du nicht ihresgleichen. Aber du verdienst sie nicht.
Emilie (für sich). Da hat er Recht.
Franz. Das Geld, wofür ich im Frauenverein die weiße Weste kaufen
wollte, die Emilie gestickt hat, der Teufel hat's geholt.
Emilie (für sich). Wenn's weiter nichts wäre.
Franz. Mir ist wunderlich zu Mute! Mein Lebenslicht brennt so dunkel,
wie am 18ten Oktober die Feuer auf dem Ettersberge.
Emilie (für sich). Das war dunkel genug.
Franz (sie erblickend). Ha! Da sitzt sie. – Ich wage es nicht, sie
anzureden.
Pauline (kommt). Guten Morgen, Herr Vetter. Gut, dass Sie da sind.
Hier ist ein neues Liedchen, das meine Schwester singen wird.
Franz. Ach! mir ist schon am grünen Tisch ein Liedchen gesungen
worden.
Pauline. Aber die Klappermusik am grünen Tische taugt nichts. Man
sagt zwar, Gold und Silber haben einen schönen Klang; aber wenn Sie artig sein
wollen, so werden Sie doch finden, dass meiner Schwester Silberstimme
rührender klingt!
Franz. O, um mich zu rühren, brauche ich sie nur zu sehen.
Pauline (zu Emilien). Da hörst Du, wie galant. Nun, greif zu Deiner
Gitarre. Ich sage Dir die Verse vor.
Emilie. Mir ist fürwahr nicht singerlich zu Mute, doch um gewissen
Leuten die Verlegenheit des Redens zu ersparen – in Gottes Namen!
(Sie nimmt die Gitarre.)
Pauline (deklamiert).
O fände doch mein Liebchen offne Ohren!
Und wüsste sich zu schmeicheln ins Gefühl;
Zum spielen glaubt der Mensch sich nur geboren,
Und alles macht er sich zum losen Spiel.
Nur wagen, immer wagen,
Nicht achtend Warnung, Klagen,
So folgt er hastig, wenn die Karte winkt,
Bis er im Strome rettungslos versinkt.
Emille.
(singt die Strophe zur Gitarre)
Franz. Leider wahr!
Pauline (liest).
O dass der Mann nur bei den Karten bliebe!
Sich selbst nur wagend an des Abgrunds Rand!
Doch ach! er spielt auch mit der zarten Liebe,
Und knickt die Blochen oft mit rauer Hand,
Dann nagen bittre Schmerzen,
Dann bluten treue Herzen!
Drum, Mägdlein, ist «in ruhig Herz Dein Ziel,
So hüte Dich vor solchem bösen Spiel.
Emilie (singt).
Franz. Das leidet doch Ausnahmen.
Pauline (liest).
Nur Eins gewährt der Unschuld selbst Vergnügen;
Erregt, doch überspannt nicht das Gefühl,
Und weiß sogar den Kummer einzuwiegen;
O nenn' es mir! – Gesang und Saitenspiel;
Die bringen keine Reue,
Ergötzen stets aufs Neue;
Drum, Lieb' und Karten, ewig sei's verbannt!
Heil dem nur, der das Saitenspiel erfand!
Emilie (singt).
Franz (zu ihren Füßen). Ja, holde Emilie! verbannen sie die Karten
auf ewig! aber nicht die Liebe! Zu ihren Füßen schwöre ich. –
Emilie. Wenn ich trauen dürfte. –
Pauline. Liebe Schwester, darauf kommt's hier nicht an. Wir hatten
hier weiter nichts zu tun, als die zweite Silbe darzustellen, das ist
gescheh'n; nun wollen wir uns rüsten, das Ganze aufzuführen, und unterdessen
mögen die schönen Damen und Herren sich die Köpfe zerbrechen.

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(unbekannt)

Quelle

Aus August von Kotzebue's hinterlassenen Papieren. Herausgegeben von Paul Gotthelf Kummer, 1821, 371 Seiten.

Kotzebue, August von - Dramatische Charade. Bei P. G. Kummer, 1821, 371 Seiten

Die Texte der beiden Quellen weichen voneinander ab; die erste Quelle dürfte vollständiger und authentischer sein.

Verweise

Scharaden, Kotzebue