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Rätselgedichte, Rätselreime

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Rätselgedicht Nr. 6502

von Karl Julius Fridrich

Rätsel

Zu jener schönen goldnen Zeit,
Wo noch kein Gold das Herz verführte,
Saturn die junge Welt regierte,
Noch fremd der Triebe wildem Streit;
Wo die bejahrte fromme Treue,
Mit Gastlichkeit und Götterscheue,
Vertraut an sichern Herde saß
Und gern bei Märchen sich vergaß;
Kurz, wo die Menschheit mehr dem Lamme,
Das unter Blumen weidet, glich,
Als einem, das vom Stahle sich
Verblutet für die Opferflamme:
Da wurd' ich selten noch genannt,
Und war, mehr Hüter geist'ger Schätze,
Als Diener zwingender Gesetze,
Nur wenig Sterblichen bekannt;
Auch diesen meist vom Priesterflamme.
Ernst reichte mich der Hierophant,
Nebst Hieroglyph' und Hierogramme,
Vom Lichtumstrahlten Thronaltar
Dem Sohn der Weisheitsweihe dar.

Doch als vor Raube, Kriegsgetümmel,
Schuldlos vergossnem Menschenblut,
Vor jedes Lasters Übermut
Asträa weinend floh gen Himmel:
Da nahm, mit seiner Kunst, Vulkan
Mitleidig sich des Elends an,
Und macht' im Volke mich gemeiner;
Und o! zur Nunzeit kann wohl Keiner,
Als Irus oder Diogen,
Sich meiner Dienst' entmüßigt seh'n.

Vernehmt mich denn mit allem Fleiße,
Damit ihr aussprecht, wie ich heiße!

Von Plutus werd' ich streng bewacht;
Denn mein Verlust ist höchst gefährlich.
Nach schleicht Merkur mit Tag und Nacht,
(Man weiß, der Gott ist nicht ganz ehrlich!)
Zu bringen mich in seine Macht.
Furcht, Eifersucht und Argwohn zittern,
Befind' ich mich in fremder Hand.
Durch mich zeigt Midas, Frau'n und Rittern
Zum Staunen, treffenden Verstand,
Wo selbst die Perikles nicht wittern;
Denn oft, wo Narren weise sind,
Tappt Sokrates in Finsternissen;
Und leicht belehr' ich durch ein Kind,
Wo Oedipus verzagt, zu wissen.

Man bietet häufig mich zu Kauf.
Gern pflegt die Stützen ihrer Thronen
Der Fürsten Gunst durch mich zu lohnen.
Der Held im stolzen Siegeslaub,
Empfängt mich gnädig aller Orten.
Mir öffnen sich des Himmels Pforten,
Und selbst die Hölle donnert auf!

Auch führ' ich euch ins Reich der Geister.
Was Ober꞊ und was Unterwelt,
Was eure Brust geheim enthält,
Des bin ich unumschränkter Meister.

Zum Tempel der Natur und Kunst,
Ins Heiligtum der Frauengunst,
Ins Zauberland der Harmonien,
Wird Einlass dir durch mich verliehen,
Wenn du nicht Zeit und Mühe sparst.

Trag' albern mich nicht stets im Munde!
Denn was beim Wein in froher Stunde,
Du selber Freunden offenbarst,
Das schlägt oft spät der Reue Wunde.

Doch halt, schon greifen mich die Blinden!
Ihr mögt mich durch mich selber finden

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Schlüssel

Anmerkungen

Astraea (Astraia) ist eine Gestalt der griechischen und römischen Mythologie, die in Zusammenhang steht mit dem Mythos von den Weltaltern, der erstmals in Hesiods Gedicht Werke und Tage erscheint. Dort beschreibt der Dichter das letzte, das eiserne Geschlecht, das keine Achtung für Gerechtigkeit und Gesetz mehr kennt, keinen Respekt vor den Eltern oder der Heiligkeit des Gastes, wodurch deren Verkörperung schließlich die Erde verlässt.

Plutos (gr. »Reichtum«, »Fülle«; lat. Plutus) ist in der griechischen Mythologie zunächst die Personifizierung des Reichtums, später der Gott der aus der Erde kommenden Reichtümer, also auch der Getreidevorräte, der Erdschätze und der keimenden Pflanzen.

Diogenes von Apollonia (* ca. 499 v. Chr. in Apollonia Pontike; † ca. 428 v. Chr.) war ein antiker griechischer Philosoph und Arzt. Er wird als Anhänger der ionischen Naturphilosophie zu den Vorsokratikern gezählt.

Irus ist in der Odyssee von Homer ein Bettler auf Ithaka, von umfassender Bildung, doch ebenso feige.

Als Hierophant (gr. »Enthüller der heiligen Geheimnisse«) wurde der Hohepriester im Tempel der Demeter in Eleusis bezeichnet.

Quelle

Friedensblätter, eine Zeitschrift für Leben, Literatur und Kunst (1815), S. 67f.

Verweise

Worträtsel