»Zwei Tage nicht hier gewesen,« sprach Ida, »wahrlich, ihm muss etwas Außerordentliches begegnet sein. Ich will es nicht denken, dass die ängstlichen Träume, welche mich belagern, Andeutungen für die Zukunft enthalten – ich müsste sonst das Schlimmste fürchten.«
»Träume sind Schäume,« lächelte ihre muntere Schwester Sophie, »banne die Grabgedanken und Leichenstein-Verse aus Deiner Seele. Dein Eduard ist Künstler; die Herren Künstler sind bekanntlich leicht zu zerstreuen – und es sollte mich sehr wundern, wenn die Abhaltung, die ihn Deiner Nahe entzog, nicht in einer lustigen Partie zu suchen ist!«
»Ich vergebe Dir diesen Zweifel an Eduards Liebe,« erwiderte Ida ernst, »kennst Du sein Herz doch nicht, wie ich es kenne. Gewiss kein Scherz ist im Stande, ihn so zu fesseln, dass er das Kommen vergisst, und eben weil ich diese Überzeugung habe, ahne ich etwas Trauriges, etwas...«
Hier wurde sie von dem eintretenden Diener unterbrochen, der ihr ein kleines Billet einhändigte und wieder hinausging.
»Das ist von ihm,« scherzte Sophie, »nun wird es gleich deutlich werden, welche mitternächtlichen Schrecken ihn gefangen hielten – O, an Entschuldigungen fehlt es den Männern nie!«
Ida hatte, sich nicht Zeit lassend ein Wort zu hören oder zu sprechen, mit übertriebener Hast das Briefchen, kreuz und quer eingerissen, geöffnet, und begann nun, da sie vor der Schwester kein Geheimnis hegte, den Inhalt mit bebender ahnungsvoller Stimme zu lesen:
»Geliebte Ida,« schrieb Eduard, » ich verdiene, wenn Ihr schönes Gesicht diese Zeilen nicht ganz ohne Zürnen betrachtet. Zwei Tage, zwei ewig lange Tage blieb ich unsichtbar – aber, ehe Sie mich verurteilen, gönnen Sie mir Entschuldigung. Dass nur etwas Wichtiges mich von Ihnen entfernen konnte, wird Ihnen Ihr Herz sagen; ich hätte Sie auch vorher davon unterrichten können, aber warum Sie in dieselbe Spannung versetzen, die mich all die Zeit über gefoltert hat. Wenn sie diese Zeilen halten, ist Alles schon vorbei – ja, Ida, jetzt ist mein Schicksal schon entschieden, jetzt hat der Ausgang dessen, was ich Tag und Nacht vorbereitete, unser Los geworfen. Ist das Glück mit mir, so zweifeln Sie nicht, dass der erste Gang zu Ihnen sein wird, um Sie zu beruhigen – ich bin sehr eilig, vor der Hand nur noch so viel, damit Sie nicht in Ungewissheit schweben: mein Alles beruht auf...«
Ida hatte kaum das Folgende gesehen, so erblich sie, ihre Zunge versagte ihr den Dienst, das Blatt fiel aus ihrer Hand und sie sank bewusstlos in einen Sessel. Die erschrockene Schwester bot alle Hilfe der Liebe auf, der Ohnmächtigen beizustehen. Erst als diese die Augen aufschlug, warf Sophie einen Blick auf den herabgefallenen Brief und auch sie wurde von dem inhaltschweren Schlussworte durch und durch erschüttert.
»Lass uns hin,« rief die entschlossene Sophie, »vielleicht kann noch dem Äußersten zuvorgekommen werden.«
»Es ist zu spät, es ist zu spät, « jammerte Ida.
»Hier ziemt nicht klagen, hier ziemt handeln,« trieb Sophie, »lass uns dem Onkel den Vorfall erzählen – er schafft Hilfe.«
»O meine düstre Ahnung,« flüsterte Ida.
Sophie zog sie hinaus. Der alte gutmütige Onkel konnte kaum den eiligen verwirrten Bericht der Schwestern verstehen. Als sie ihm indessen den Brief zeigten, erschien ihm die Sache ernsthaft und er eilte mit den Mädchen nach Eduards Wohnung. Hier hieß es, er sei ausgegangen, ohne etwas zu hinterlassen, auch wisse niemand wohin. Man beratschlagte, was zu tun sei. Der alte Onkel wollte zur Polizei, die Mädchen aufs Geratewohl zur Stadt hinaus. Ehe man sich darüber vereinigen konnte, ließ sich auf dem Hausflur eine lustige Stimme hören, die von sämtlichen disputierenden Dreien für Eduards erkannt wurde. In der muntersten Laune kam er die Treppe herauf, die Wartenden stürzten ihm entgegen.
Eduard war auf das höchste überrascht über die Erscheinung seiner Ida und ihrer Verwandten. Man drängte ihn mit Fragen, man bestürmte ihn mit Glückwünschungen, man gab ihm Ratschläge – alles Rätsel für ihn. Endlich erwähnte man seines Briefes.
»Welch ein entsetzlicher Irrtum!« rief er, den Zusammenhang des Vorgefallenen ahnend, »meine flüchtige, undeutliche Handschrift muss ich jetzt mehr als jemals verwünschen. Das Doppelzeichen am Schluss des Wortes haben Sie unrecht gelesen. Und deswegen diese Bekümmernis all' meinen Lieben verursacht! – So will ich doch in Zukunft Buchstaben für Buchstaben schreiben, damit ich mir solche Vorwürfe erspare!«
Er tröstete Ida, er schmeichelte ihr. Der alte Onkel und Sophie waren schnell beruhigt und fingen an über das Missverständnis zu lachen. Ida jedoch gewann ihre ganze Heiterkeit nicht eher wieder, bis sie erfuhr, dass das Wort, richtig geschrieben und verstanden, ihren Eduard zu dem Fürsten gerufen hatte, dass dieser, in hohem Grade mit des Geliebten Talent zufrieden, ihm eine Anstellung gewährt und dass ihrer Verbindung fortan nichts mehr im Wege stehe
Duell und Duett