An Sie
Kennst Du das Wort, das in des Edlen Herzen
Stets felsenfest und unerschüttert thront,
Das uns im Kampf des Lebens und der Schmerzen,
Mit der erfüllten Pflicht Bewusstsein lohnt?
Es leuchtet uns auf nachtumhülltem Pfade,
Ist es gegraben tief in unsre Brust;
Wir wandeln sanft zum stygischen Gestade,
Sind wir uns, dass wir's nie verletzt, bewusst.
Wohl wirst Du dieses Wortes Deutung kennen,
Da warm Dein Herz für alles Edle schlägt;
Einst wagt' ich es, damit Dich zu benennen,
Doch war's ein leerer Wahn, den ich gehegt,
Ein Wahn, der, ach! mir allzu schnell entschwunden.
Ich wäre glücklich, wär' ich noch getäuscht.
Wie konntest Du so schmerzlich mich verwunden?
Zu grausam hast Du meine Brust zerfleischt.
Zerstörtest Du auch meine Lebensfreuden,
Ich klage doch Dich nicht als schuldig an;
Den Glücklichen nur wag' ich zu beneiden,
Der mit Dir wandelt jetzt des Lebens Bahn.
Wie, oder mochtest töricht Du wohl wähnen,
Nur Gold und Reichtum sei des Lebens Glück? –
Ach, lebe wohl! – Nie mögen bittre Tränen
Des Worts – geköpft – befeuchten Deinen Blick!
Treue, Reue
Stygisch = schauerlich, kalt [Duden]