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Rätselgedichte, Rätselreime

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Rätselgedicht Nr. 2087

von Wilhelm Usener

Rätsel

Selbstbiographie eines Märtyrers.

Wer Mitleid kennt, versage eine Träne
Dem Dulder nicht, der hier mit stillem Kummer
Sein namenloses Leiden treu erzahlt.
Warum doch konntet ihr, gutherz'ge Schönen,
Mich, dessen Anblick euer Herz entzückt,
So unbarmherzig und ohn' Ende quälen? -
In meiner Kindheit Tagen, als geschmückt
Im Hoffnungskleide ich ins Leben trat,
Da lächelt freudig euer Blick mir zu;
Doch kaum verwelkte meiner Jugend Blüte,
Als grausam ich, dem Mutterland entrissen,
Des Kopfs beraubt, ins Wasser ward geschmissen,
Und dann der Glut des Feuers preis gegeben.
Doch sollt hiermit mein Leiden noch nicht enden,
Geschlagen und zerbrochen ward ich nun,
Mit spitzen Eisen jämmerlich zerrissen.
Das rührte euer Herz mich zu verbinden;
Doch ach, nach kurzer Zeit riss't ihr die Wunde
Aufs neue auf und zerrt mich tagelang,
Wenn auch mit zarten Händen, unter Küssen,
Um, wie Verbrecher, mich aufs Rad zu flechten.
Von da ward' ich geknebelt und gesotten,
Und musst zuletzt am leid'gen Galgen bammeln.
Sieh' da erbarmt sich mein ein guter Mann,
Der pflegte mich in seiner warmen Stube,
Gab reichlich Mehl und Fett zu meiner Speise,
Und fügt mich wieder wunderbar zusammen.
Doch ihr missgönntet mir dies Glück gar bald
Aufs neue kam ich nun in eure Hände,
Aufs neue auch zu meiner Qual bereit.
Nun ward ich gar zerschnitten und zerstochen,
Beschmutzt, zerrissen jämmerlich zertreten,
Und endlich gar als wertlos weggeworfen.
Da sah ein armer Mann mich hilflos liegen,
Der nahm mich auf und hob mich auf sein Tier;
Doch er war arm und musste mich verkaufen.
Nun ward ich gar vom Holländer gequält,
Mit scharfem Schwert zerfetzt in Stücke,
Ins Wasser stürzt mich die Verzweifelung,
Doch zog man mich heraus, - um mich zu hängen.
Dies rührte endlich eure weiche Seele,
Ihr nahmt mich freundlich auf in eure Nahe,
Um Zeuge eures eignen Grams zu werden.
Geheime Liebe ward mir offenbart,
Die stillen Seufzer wurden mir vertraut,
Ja Tränen flossen heiß auf mich herab.
Und wenn ihr mich zuweilen noch misshandelt,
Im eig'nen Schmerze grausam mich zerreißt,
Ich trag es still, und will es gern vergeben,
Nennt ihr mich jetzt nach meinem ersten Leben.

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Flachs

Verweise

Worträtsel, Usener, Schupp