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Rätselgedichte, Rätselreime

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Rätselgedicht Nr. 1531

von Johann Wolfgang von Goethe

Rätsel

Elberich. Rätsel.
Im stillen aber herrschet über diese,
und weit und breit ein wundersames Haupt,
scheinbar ein Kind und nach der Kraft ein Riese
das jeder leugnet, jeder hofft und glaubt:
Der Welt gehört's sowie dem Paradiese;
auch ist ihm alles, ist ihm nichts erlaubt.
Verein es nur, in kindlichen Gemüte,
die Weisheit mit der Klugheit und der Güte.

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(unbekannt)

Anmerkungen

Lösungsvorschlag: Das Wunder, Das Ideal

Entstehung und Erstdruck 1810 im »Maskenzug«, aber auch allein veröffentlicht.

Es gibt zahlreiche Lösungsversuche: Alter?, Erkenntnis? [Jürgen Dahl]; das romantische Ideal, Phantasie, Genius der romantischen Poesie [Volker Schupp].

Ein Interessanter Lösungsvorschlag kommt von Harald: »Die Unschuld«. Diese ist sprichwörtlich kindlich und sie ist so mächtig, dass sie das Böse besiegt (Bibel, Offenbarung des Johannes, »Die Überwindung des Tiers durch das Lamm«, wobei das Tier für das Böse und das Lamm für die Unschuld stehen). Laut Bibel sind die Menschen im Paradies auch unschuldig, erst mit dem Genuss der verbotenen Frucht verlieren sie die Unschuld und werden aus dem Paradies vertrieben.

Theodor Schauffler stellt in »Goethes Leben, Leisten und Leiden in Goethes Bildersprache« (Carl Winter's Universitätsbuchhandlung, Heidelberg, 1913) die Vermutung auf, die Lösung sei »Das Wunder« – eine Lösung, die uns sehr gut gefällt. [Dank an Michael B., der uns auf diesen Text hingewiesen hat.]

Aus "goethe jahrbuch, herausgegeben von ludwig geiger, siebenter band":

Ein Goethesches Rätsel. In einem Kreise von Goethe freunden und Goethekennern wurde nach der Lösung des Rätsels gefragt, welches bei einem Maskenzuge von 1810 dem Elberich in den Mund gelegt ist. Die zu diesem Maskenzuge gehörenden Dichtungen tragen die Überschrift »Die romantische Poesie«. Ein Vorwort sagt, dass die Absicht gewesen sei, die »verschiedenen Dichtungen, denen unsre Vorfahren und auch die Ahnherrn jenes hohen Fürstenhauses [des weimarischen] eine vorzügliche Neigung schenkten, in bedeutenden mannigfaltigen Gestalten darzustellen«, und bezeichnet das Vorgeführte als »teils allegorische, teils individuelle Gestalten der modernen Poesie«. Die Worte Elberichs blicken deutlich auf den ganzen Zug zurück und haben den Zweck, seine allgemeine Bedeutung zu charakterisieren, also ungefähr dasselbe zu sagen, was die Überschrift »Die romantische Poesie « sagen soll. Ich deute Elberichs Rätsel hiernach auf »Das romantische Ideal« und möchte die Zusammenstimmung von Lösung und Rätsel im Einzelnen in folgender Gegenüberstellung für Auge, Ohr und Sinn verdeutlichen. Die Lösung heiße hier der Kürze wegen »Das Ideal«

Im stillen aber herrschet über diese,
und weit und breit ein wundersames Haupt,
scheinbar ein Kind und nach der Kraft ein Riese
das jeder leugnet, jeder hofft und glaubt:
Der Welt gehört's sowie dem Paradiese;
auch ist ihm alles, ist ihm nichts erlaubt.
Verein es nur, in kindlichen Gemüte,
die Weisheit mit der Klugheit und der Güte.
Das Ideal herrscht über Alle diese,
Und weit und breit ein wundersames Haupt,
Kindlich gehegt, doch in der Wirkung Riese,
Verwirklicht nirgends, doch gehofft, geglaubt:
Der Welt gehört's, so wie dem Paradiese,
Nur dichtend frei, sonst ist ihm Nichts erlaubt.
Verein' es nur, in kindlichem Gemüte,
Die Weisheit mit der Klugheit und der Güte.

Rudolf Seydel

Verweise

Worträtsel, Dahl, Schupp