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Rätselgedichte, Rätselreime

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Rätselgedicht Nr. 2049

von Wilhelm Zimmermann

Rätsel

Eine Jungfrau weiß ich prangen
In der Hoffnung grünem Kleid,
Purpurn brennen ihre Wangen,
Wie der Braut zur Festeszeit.
Mit der Liebe heißestem Feuer
Liebt ein Götterjüngling sie,
Mit dem Bogen, mit der Leier
Fehlt er seines Sieges nie.
Bräutlich liegt sie da, so hellen,
heitern, liebevollen! Blicks,
Ihren schönen« Busen schwellen
Träume manches süßen Glücks.

Jeden Abend, jeden Morgen
Naht der Gott ihr auf den Zehn,
Um der Schlafenden verborgen
Perlen in den Schoß zu säh'n
Oft nach heißem Liebesbrande,
Wenn vor süßer Lust sie weint,
Schmückt mit strahlend farb'gem Bande
Dankbar sie der hohe Freund.
Und von seinen glühenden Küssen
Wird der zarte Leib ihr reich,
Und nach wen'gen Monden grüßen
Kinder ihn, der Mutter gleich.

Aber schnell, wie sie entsprossen,
Muss die Liebeslust verblüh'n,
Denn das Höchste ist genossen,
Und das Schönste ist dahin.
Nur um wen'ge Monden älter
Ist der holde Netz getrübt,
Und die Küsse werden kälter
Seltner, die der Gott ihr gibt.
Die verachtete Geliebte
Nimmt den welken Kranz vom Haupt,
Trauernd, eine tiefbetrübte,
Steht sie, alles Schmucks beraubt.

Jene grünen Hoffnungsfarben,
Und des Glückes goldnes Kleid
Schmücken nimmer sie, es starben
Mit der Liebe, Lust und Freud.
Nimmer mit des Balsams Düften
Salbt sie das gebräunte Haar,
Einsam weint sie auf den Triften
Tränenströme immerdar,
Bis sie sich ermannt und flieget
Über ihr gekränktes Herz,
Und an ihrem Stolz erlieget
Ihrer Liebe Qual und Schmerz.

Auch das höchste, tiefste Sehnen
Bricht der Stunden Allgewallt,
Ihre lang gefloss'nen Tränen
Hängen starr im Aug' und kalt.
Wo das Herz, das jugendheiße,
Sonst sich hob in Schmerz und Lust,
Deckt ein Harnisch, blendend weiße,
Ehern die erstarrte Brust.
Schimmernd, eine Göttergleiche,
In der Rüstung sllberfarb,
Ist sie lebend eine Leiche,
Da des Lebens Reiz ihr starb.

Doch der Gott, besiegt vom Triebe,
Wendet bald sein Angesicht,
Schlummern kann die echte Liebe
Aber sterben kann sie nicht.
Aus der Nacht geheimem Schlosse
Nimmt der Tag den schönen Lauf,
Aus des Hasses dürrem Schoße
Blühn der Liebe Rosen auf.
Reuig kehrt er, sehnsuchtsvoller,
Zur Verlassenen zurück,
Schöner fühlt sich, seelenvoller,
Des erneuten Bandes Glück.

Gold'ne Liebespfeile dringen
Siegend auch durch Stahl und Erz,
Und des Gottes Gluten zwingen
Bald das kalt verschloss'ne Herz.
Mit dem grünen Hoffnungskleide
Wird aufs neu sie angetan,
Und es fängt die alte Freude
Lustig schon zu blühen an.
Inniger vermählt und treuer
Küssen sie sich, Brust an Brust,
Süß ist, wie die erste Feier,
Auch die zweite Liebeslust.

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Jahreszyklus von Frühling, Sommer, herbst und Winter

Quelle

Gedichte von Wilhelm Zimmermann
Gedruckt bei Johann Gottlieb Munder
Stuttgart, 1832

Verweise

Worträtsel, Zimmermann, Forum