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Rätselgedichte, Rätselreime

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Rätselgedicht Nr. 1131

von Gustav Theodor Fechner

Rätsel

Ich bin eine Mutter nach alter Sitte,
Still waltend in der Kinder Mitte,
Zwar brummig oft, wenn heiß mein Blut,
Doch weiß man ja, ich mein' es gut.
Nicht schlank zu nennen ist mein Leibchen,
Doch halt' ich auf ein zierlich Häubchen,
Und steh' mit eingestemmtem Arm
Stets würdig da im Kinderschwarm.
In Weiß nur pfleg' ich zu erscheinen
Und so auch meistens meine Kleinen;
Hat eins Geblümle auf dem Weiß,
So denkt es schon, es hat den Preis.
So war's die Sitte bei den Alten;
Jetzt freilich will sie nicht mehr halten;
Jetzt will man haben goldnen Glanz
Und allerlei bunten Firlefanz.
Der Kleinen Frühstück zu besorgen
Ist mein Geschäft gleich früh am Morgen;
Zuvor hätt' ich ja keine Ruh',
Dabei nun geht es also zu:
Mein Morgenlied erst summ' ich leise,
So lang' es still noch rings im Kreise,
Allein bald wird es laut um mich,
Das kleine Völkchen rühret sich.
Seht, wie sie um mich steh'n und zimpern
Und mit den kleinen Löffeln klimpern:
Sie sperren alle auf den Mund;
Der Appetit ist bei allen gesund.
Doch eh' sie etwas von mir erhaschen,
Gilt's erst, zu seh'n, ob sie rein gewaschen,
Und sähe eins nicht ganz reinlich aus,
So muss es wieder zur Tür hinaus.
D'rauf fang ich an, den Kleinen zu winken,
Geb' allen nach gleichem Maß zu trinken;
Ein Korb mit Brötchen steht nebenan
Und ein Maulkorb ist keinem angetan.
Doch kaum, dass ich jedes versorgt im Haufen,
Kommt eins nach dem andern schon wieder gelaufen;
Sie tranken doch alle, sie konnten nicht mehr,
Allein solche Mägen sind gleich wieder leer.
Dazu gibt's mit den Löffeln ein Klappern,
Ein Schlürfen, Sumsen, Rascheln und Plappern,
Dass, wer dem allen ein Ohr wollte leihen,
Nicht klug möchte bleiben oder sein.
Und weil mir ja selber gewachsen ein Schnabel,
So trag ich das Meinige bei zu dem Babel;
Zuweilen wird mir's dabei zu heiß;
Dann lüft' ich wohl mein Häubchen weiß.
Die Kleinen lieben ein süßes Schlückchen;
D'rum lass' ich ihnen ein Zuckerstückchen
Zum Tranke nehmen mit in den Mund;
Er nährt ja auch und ist gesund.
So geht es her an jedem Morgen;
Nichts sag' ich von des Tages Sorgen,
Und alle Sorge, alle Müh'
Ist nicht für mich, ist nur für sie.
Doch dafür hängen an mir die Kleinen,
Ich schlafe und wache mit den Meinen;
Und wenn meine Hülle einst zerbricht,
Eine gleiche Mutter finden sie nicht.

Lösung anzeigen

Teekanne mit Tassen

Anmerkungen

zimpern = zimperlich sein

Verweise

Worträtsel, Fechner