Logo
Rätselgedichte, Rätselreime

≡ ▲

Rätselgedicht Nr. 10300

von Christoph Martin Wieland

Anagrammoid

Ich bin an Reimen reich, und [1]wenn ihr meinen Schwanz
zum Kopfe macht und mich des Bauchs entladet,
bin ich, was Roland war. [2]Dann nehmt mich wieder ganz,
und lasst (was manchen nichts an seinen Ehren schadet)
den Kopf nur weg, so stell ich dar,
was Rhadamenth in Plutons Hofrat war.
[3]Nun schneidet, wenn ihr wollt, das zweite meiner Glieder
heraus, und – machet mich gern zum Ossian,
Homer, Hans Sachs – so gebt den Kopf mir wieder,
den so ein Mann wohl nicht entbehren kann.
[4]Nehmt abermals mein Mittelstück und noch ein T hinweg, so trete
ich in den Rang der ält'sten deutschen Städte,
die keiner andern Glück beneidet,
seit sie der beste Fürst mit seinem Krummstab weidet.
[5]Lasst dann das T aus meiner Hälfte aus,
so wird ein schlankes Tier daraus,
das eure Wälder ziert; [6]und gebt das T ihm wieder
und flickt das sechste meiner Glieder
daran, so ist's ein Ding, das weder Mensch noch Fisch,
noch Baum, noch Vogel, Käfer, Schlange,
noch Polypus, und dennoch ein Gemisch
von allem diesem ist. – [7]Nun (um mich nicht zu lange
zu plagen) gebt euch selbst die Müh',
zerstückt und leimet mich nach eurer Phantasie,
und sucht in mir – was bei Admetens Herden
Apollo war. [8]Was jeder Sohn der Erden
in dubio zu haben steif vermeint,
[9]wie uns zumute wird, sobald nach nassen Tagen
und trüber Luft die Sonne wieder scheint
[10]und was sich, mit Respekt zu sagen,
auf jenes reimt. [11]Sodann das tausendköpf'ge Tier,
mit dessen Armen sich, der Himmel weiß wofür,
die Könige auf unserm Rücken schlagen.
[12]Zum Schluss, ein Prädikat, das aus Bescheidenheit
Augustus ehmals ausgeschlagen,
und jetzt zum Zeichen unsrer Zeit
die Knechte wie die Herrn in gleichem Sinne tragen,
denn gar nichts oder gar zuviel
ist offenbar nur - Wörterspiel.

Lösung anzeigen

Trichter

Anmerkungen

1. Ritter; 2. Richter; 3. Tichter (= Dichter); 4. Trier; 5. Reh; 6. ?; 7. Hirt; 8. Recht; 9. heiter; 10. Reiter; 11. Heer; 12. Herr.

Rhadamanthys ist eine Gestalt der griechischen Mythologie. Er war zunächst ein kretischer Herrscher und später Richter in der Unterwelt.

Pluton (Pluto) ist in der griechischen und römischen Mythologie der Gott der Totenwelt in der Erdtiefe.

Roland (* um 736; † 15. August 778 bei Roncesvalles), war Graf der bretonischen Mark (Cenomanien-um Angers) im Frankenreich Karls des Großen. Er fungierte als Befehlshaber der Nachhut des fränkischen Heeres, mit dem Karl einen Feldzug gegen die Mauren geführt hatte und die beim Rückzug im Pyrenäen-Pass bei Roncevaux nochmals angegriffen und vernichtet wurde, allerdings entgegen der Legende nicht von Mauren, sondern von – christlichen – Basken, die nach Überfall und Plünderung Pamplonas durch die Franken auf Rache sannen.

Ossian ist ein angeblich altgälisches Epos aus der keltischen Mythologie. Diese »Gesänge des Ossian« hat tatsächlich der Schotte James Macpherson (1736–1796) geschrieben. Als namensgebendes Vorbild für die Titelfigur suchte er sich Oisín aus, den Sohn des Fionn mac Cumhail. Inhalt der Gesänge sind episch dargestellte Schlachten und die Schicksale auserwählter edler Helden, die sich meist um die Rettung von Königreichen bemühen.

Homer gilt traditionell als Autor der Ilias und der Odyssee und damit als frühester Dichter des Abendlandes. Weder sein Geburtsort noch das Datum seiner Geburt oder das seines Todes sind zweifelsfrei bekannt. Es ist nicht einmal sicher, dass es Homer überhaupt gab (siehe auch Homerische Frage).

Hans Sachs (* 5. November 1494 in Nürnberg; † 19. Januar 1576 ebenda) war ein Nürnberger Schuhmacher, Spruchdichter, Meistersinger und Dramatiker.

Admete ist in der griechischen Mythologie die Tochter des Eurystheus und Priesterin der Hera. In der Bibliotheke des Apollodor begehrt sie den Gürtel der Amazonenkönigin Hippolyte, den diese für ihre Tapferkeit von Ares erhalten hatte. Daraufhin wird Herakles in Erfüllung einer seiner zwölf Arbeiten ausgesandt, um den Gürtel für sie zu erkämpfen. Bei Tzetzes begleitet sie ihn dabei.

Augustus (* 23. September 63 v. Chr. als Gaius Octavius in Rom; † 19. August 14 n. Chr. in Nola bei Neapel) war der erste römische Kaiser.

Verweise

Anagrammoide, Wieland