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Rätselgedichte, Rätselreime

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Rätselgedicht Nr. 6654

von Gustav Feuerlein

Homonym

[2]Ich bin ein Hornvieh – kurz es anzudeuten;
Und meine Stimm', erheb' ich männlich sie,
Ist ein Gebrüll'; Dir graut davor vom weiten,
Vernimmt Dein Ohr die dumpfe Melodie;
[1]Doch bin ich, fehlt das Leben mir, zu Zeiten
Nur die gegerbte Haut von einem Vieh,
Und meine Sprache tönt gelind und lieblich,
So ist's bei mir und meinen Schwestern üblich.

[2]Scheint auch mein stieres Auge dumm und ehrlich,
Misstraue mir, [1]denn tückisch, roh und wild
Bin ich dem Purpurträger oft gefährlich,
Nur selten dem, der sich in Lumpen hüllt;
Deucht mir zum Endzweck Arglist unentbehrlich,
So üb' ich sie; mit Eiden wird gespielt;
Der Wahrheit lieb' ich Falsches beizumischen,
Und, Schlangen gleich, verführerisch zu zischen.

[2]Von Wut entbrannt, zertret' ich meinen Gegner,
Zerschlitz' ihn, schleud're ihn auf zum Wolkenzelt;
[1]Doch nichts ist meinen Waffen ungeleg'ner,
Als lichter Tag, der ihren Rost erhellt.
Drum Heil der Nacht! sie macht mich stets verweg'ner;
Sie, die den Glauben an mich aufrecht hält,
Erlaubt mir aus papierenen Geschützen,
Gleich Jupitern, zu donnern und zu blitzen.

[2]Ich bin der Herde Schöpfer und Berater,
Und dien' ihr stets mit Liebe, Lust und Zucht;
[1]Doch sendet mich ein größ'rer Herdenvater,
Der diese segnet, jene dort verflucht,
Als welschen Fremdling auf das Welttheater:
So laß' ich keine Rolle unversucht,
Den Sanften spiel' ich, Ernsten, Trotz'gen, Holden,
Des Meisters Heil'genschein frisch zu vergolden.

Gesandt vom reichsten aller Oberhirten,
Der seine Lämmlein leitet himmelan,
Such' ich und find' und waide die Verirrten –
[2]Und bin doch oft der ärmste Untertan
Von einem dürftigen, geplagten Hirten,
Der kaum mich nährt auf mag'rem Wiesenplan;
[1]Obgleich der Fürsten Macht ich oft beschränkte,
Und Kronen stahl, ja Weltteil' einst verschenkte.

Der Erde Schätze streb' ich zu verschlingen;
[2]Doch stets ist Heu nur meiner Wünsche Ziel;
[1]Die Völker alle wünsch' ich zu bezwingen;
[2]Doch droht mir stets der harte Peitschenstiel;
[1]Wie Babels Fürst sich, als er in die Schlingen
Des Wahns und Übermuts und Teufels fiel,
Entschloss, vom Thron zum Vieh herabzusteigen,
So soll vor mir sich jeder König beugen.

Genug! von diesem Janus-Angesichte,
Das hier ein [2]Mann und dort ein [1]Weib erscheint;
Bald zeigt's die [1]Welt- bald die [2]Naturgeschichte,
[2]Hier ist's von Fleisch und Bein, [1]dort ausgebeint,
Doch glaube meinem warnenden Gedichte:
Dies Untier zähmt, wo's oder wie's erscheint,
Sprech' oder brüll' es auch sich noch so heischer,
Ein Kaiser Joseph nur, und nur ein [2]Fleischer.

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Bulle

Anmerkungen

[1] Die Bulle: 1. Siegel aus Metall, besonders im Mittelalter; 2. mittelalterliche Urkunde mit einem Siegel aus Metall; 3. in lateinischer Sprache abgefasster, feierlicher päpstlicher Erlass

[2] Der Bulle: männliches Rind.

Verweise

Homonyme, Feuerlein