Logo
Rätselgedichte, Rätselreime

≡ ► ◄ ▲

Rätselgedicht Nr. 3881

von Carl Töpfer

Rätsel

Die treue Grethe. Rätselhaftes Nachtstück

Stephan Werner, ein armer Soldat, hatte lange Jahre hindurch einem Weibe Hoffnung gemacht, sie zu ehlichen. Er ging mit seinem Regimente zu Felde; voll froher Erwartung folgte ihm als Marketenderin das treue Weib nach: denn so lautete sein Versprechen: »Wenn ich Korporal geworden bin, wirst Du mir angetraut!« –

Nun übersah die Liebe Kugelsaat und Blutwunden, sie meinte, der Zeitpunkt, wo Stephan in den ersehnten Posten einrücken würde, sei jetzt nicht mehr fern. Mühseligkeiten und Gefahren überstand Grethe, so hieß das Soldatenliebchen, mit beispielloser Ergebung und Geduld. Wurde Stephan verwundet, so spottete ihre Anhänglichkeit jeder Todesfurcht; unter dem feindlichen Kugelregen legte sie den kühlenden Verband ihm über die Schmerzensstelle, auch trotzte sie oft der augenscheinlichsten Gefahr, bloß um dem Geliebten eine Erquickung in der heißen Arbeit des Tages zu bringen. Sie hielt sich von andern Männern fern, und gewährte ein wahrhaft rührendes Schauspiel der Tugend, welche sich Verehrung erzwingt, an welcher Stelle sie auch waltet. Grethe war als die treue Marketenderin beim Bataillon bekannt, und wehe dem Soldaten, der sich eine Beleidigung gegen sie herausnahm, es erhoben sich hundert Fäuste zu ihrem Schutze.

Der Feldzug war kurz, glücklich und schon brach das Heer heimwärts auf, da erst erschienen die Beförderungen. Stephan ward als Unteroffizier zu anderem Regimente versetzt und erhielt die silberne Medaille. Margarethens Gesicht glühte vor Freude, sie warf sich dem stattlich geputzten Manne in die Arme, küsste ihn, das Ehrenzeichen an seiner Brust und jubelte voll seliger Hoffnung. Sie stand mit Stephan in gleichem Alter, die großen Beschwerden des Marsches, die tägliche Todesangst für den Mann ihres Herzens (an ihr eignes Leben blieb ihr in seiner Nähe kein Gedanke übrig) hatten einen großen Teil ihrer körperlichen Reize verwischt und der vornehm gewordene Stephan fing an, mit sich selbst über das ihr geleistete Versprechen zu hadern und, in dem Grade als Grethe sich ihm voll eiserner Standhaftigkeit inniger ankettete, kälter gegen sie zu werden.

Sie hatte kein Arg daraus. Das Wort, aus des geliebten Mannes Munde, scheint dem Weibe der unverwerflichste Bürge, und sollte sie an dem Herzen des Mannes zweifeln, den sie durch unzählige Beweise der uneigennützigsten Hingebung erkauft zu haben glaubte? Sie wähnte, in seiner Seele habe, wie in der ihrigen, die geschmückte Korporals=Uniform nur Wert, weil sie gestattete, mit Ehren in der Dorfkirche die Einsegnung der Traue zu empfangen; allein mit der Stufe, die er höher gestiegen war, schien Liebe und Rechtlichkeitsgefühl hundertfach gesunken. Unablässig spiegelte eine falsche Stimme ihm Partien vor, welche Männer seines Standes gemacht hatten. Junge reiche Mädchen umneckten seine einmal aufgeregte Einbildungskraft, er dünkte sich zu groß, zu wichtig, zu stattlich für das unscheinbare halb verblühte Marketenderweib und bald wurde ihm ihre Nahe unleidlich. Noch schlummerte in Grethens Busen jeder Verdacht, noch wiegte der Genius Vertrauen ihr Herz in die sanfteste Ruhe ein, noch dachte sie ihren Stephan unauflöslich an sich gefesselt und schon umgarnte Ehrgeiz und Sinnlichkeit sein Gewissen, schon brüteten seine schlaflosen Nachte über ein Mittel, das lästige Weib sich vom Halse zu schaffen.

Stephan wurde auf Urlaub in seine Heimat entlassen, Grethe folgte ihm dahin, denn es war auch die Ihrige. Nun war der Augenblick gekommen, wo der Unteroffizier die Lobpreisungen seiner Jugendzeugen einarndten, nun, wähnte Grethe, sei der Augenblick gekommen, der sie zum beneideten Weib des schönen Kriegers erheben würde. Unter allen Beurlaubten war kein Korporal, unter allen war keiner, der seines Königs Bild auf der Brust tragen durfte. Jung und Alt umringte die Heimgekehrten, aber bald hafteten aller Augen auf Werner, dem glänzendsten. Die Dirnen warfen verlangende Blicke auf ihn und zogen die Stirn in unmutige Falten, als sie des Weibes gewahrten, welches sich vertraulich in seinen Arm hing, und mit stillem Entzücken das Lob mitgenoss, welches Stephan von allen Seiten zuströmte. Des Korporals Augen suchten unverzüglich die Mädchen auf, und welche frische, rotwangige Jugendgestalten entfalteten sich da vor ihm, welche reich verzierten Kleider lachten den Mann an, der noch wählen durfte, dessen Freiheit noch nicht verkauft war.

Unter den Dirnen befand sich Anna, des Schulzen Tochter. Weit hinter den übrigen hielt sie ihr hochmütiger Sinn zurück, aber die güldenen Pfennige auf dem roten Mieder, die schmalen Goldtressen auf der Mütze, und der feine Stoff ihrer Kleidung mussten dennoch in die Augen fallen, das wusste sie wohl. Auch sie bemerkte sogleich den schlanken hohen Wuchs, das bärtige, feurige Gesicht des Unteroffiziers mit Wohlgefallen, auch sie sah mit Verachtung auf die in dürftige Kleidung gehüllte Jammer-Weibsgestalt an seinem Arm. Stephan entging der missmutige Ausdruck auf den Gesichtern der Mädchen nicht, bald wurde ihm die Ursache klar, als er die Blicke voll Verachtung auf Grethen ruhen sah. Diese hing mit liebevollem Auge an ihm, und kümmerte sich um nichts, was außer dem Kreise der sie umringenden Männer vorging.

Kurz nach dieser Szene suchte Stephan die Schenke auf. Der Bruder des Schulzen saß dort einsam bei einem Kruge Bier, wahrend eine Gesellschaft von Bauern sich am großen Tische von den heimgekehrten Soldaten unerhörte Heldentaten erzahlen und dafür freigebig Krug auf Krug füllen ließ. Stephans Unmut ließ ihn die lärmenden Gesellen verschmähen, er wandte sich zu der Ecke, wo der rothaarige Willmann saß. Ungeachtet seiner nahen Verwandtschaft mit der ersten Person des Dorfes, stand dieser von seiner Stelle auf, um dem mit einem Orden gezierten Unteroffizier Platz zu machen. Stephan dankte kurz, ließ sich einen Krug Bier geben, und setzte sich auf einen Schemel, die finstern Augenbrauen in die geballte Faust verbergend.

»Ihr scheint nicht wohlgemut, Herr Korporal,« sprach der Rothaarige mit einer schneidenden aber äußerst freundlichen Stimme, »und doch habt Ihr es verdient, dass Eurer Vergnügen in großem Maße harrt!«

Stephan blickte auf, seufzte und schwieg.

»Das ist kein gut Gesicht, das, für einen Soldaten, « fuhr Willmann fort, »der Kriegsmann muss leicht abschütteln, was ihn drückt. Ihr habt doch keinen Schatz in Feindesland zurückgelassen? Wenn ich recht gesehen habe, so führtet Ihr Euer Eheweib am Arm, und so hat die Liebe jetzt kein Recht mehr an Euch –«

»Ihr irrt,« erwiderte Werner, »ich habe noch kein Weib.«

»Da ist ja noch volle Aussicht für Euch, « schmunzelte der Rothaarige, »und wahrhaftig, ein Mann, wie Ihr, kann sein Auge dreist auf die allererste Dirne im Dorfe richten; mit Euch zum Altar zu gehen, macht sich jede eine Ehre draus.«

»Damit ist's vorbei,« sprach Werner dumpf, die Zahne zusammenbeißend.

»Vorbei ist nichts,« lachte Willmann, »bis unsre Knochen da unten liegen. Vorbei? vorbei, mit Euch? alle Wetter, ein Mann, von dem Anna sagt, dass er der schönste ist, den sie je gesehen?«

»Wer ist die Anna?« fragte Werner zwar flüchtig, aber seine Aufmerksamkeit verratend, indem er seine Stellung verließ, und dem gesprächigen Willmann forschend ins Auge blickte. Da war's ihm, als grinste ein scheußlicher Kopf ihn an, dessen Atem die Pest hauchte, und der mit gierigen Zahnen nach ihm schnappte. Aber bald gewöhnte sich sein Blick an den zerrissenen Zügen und er hörte die letzten Worte der Antwort: »Ein schönes Madchen mit Haus und Hof, und einem großen Stück baren Geldes obendrein.«

»Aber wer, wer?« fragte Werner noch einmal ungeduldig.«

»Ich hab' es Euch schon gesagt, Herr Korporal,« lächelte der Rothaarige, »meines Bruders, des Schulzen, Tochter ist's. Aber hier ist ein Getose, dass man sein eigen Wort nicht hort, kommt mit mir, es will sich nicht schicken, dass wir uns beide unter die Schreihälse mischen. Der Schulze Willmann setzt Euch einen Trunk vor, wie er Euch hier nimmer geboten wird, und sein Annchen...«

»Ich kann nicht,« rief Stephan schnell und fest, »ich versprach, nach Hause zu kommen.«

»Verspracht,« lachte der andere, »Soldaten-Versprechen, das wird so genau nicht gehalten!«

»Meint Ihr?« stotterte Werner.

»Man hält dem Kriegsmann vieles zu Gute,« tröstete ihn Willmann, »er schlägt sein Leben in die Schanze für unsre Sicherheit; da mag er auch nicht so ängstlich unsern Gewohnheiten nachkriechen, es steht dem Soldaten Ängstlichkeit nimmer an, auch nicht einmal im Worthalten, er hat ander Gesetz und andre Lebensweise.«

»Ihr habt Recht,« rief lebhaft der Unteroffizier, und folgte ihm eilig zum Schulzen hin.

Nach Verlauf einer Woche kam Willmann, des Schulzen Bruder, zu Grethen, bereitete sie mit höhnischer Freundlichkeit auf Werners Entschluss, die reiche Anne zu heiraten, vor, und bot ihr Geld an, damit sie schweige, und, wie er sich ausdrückte, sich trösten könne. Starr vor Entsetzen vermochte sie dem rothaarigen Hollenboten keinen Laut zu erwidern, mit stummer, heftiger Handbewegung drückte sie die Münzen in seine dürre Hand zurück. Die tägliche Abwesenheit Werners, sein rohes, zurückstoßendes Wesen hatten allerdings in der letzten Zeit begonnen, ihr Auge zu offnen, aber immer noch glaubte sie an die Rückkehr seiner Neigung, immer noch glaubte sie an seinen Schwur. Nun erst, nachdem der entsetzliche Nachrichtbringer sich entfernt hatte, wusste die Unglückliche, sie sei verlassen. Keine Träne nässte ihr Auge, mit irrem Lächeln saß sie vier und zwanzig Stunden, ohne Nahrung zu sich zu nehmen, in ihrer Kammer da, und als endlich ihre alte Muhme, eine Taglöhner-Witwe, in einer verfallenen Hütte außerhalb des Dorfes sich ihrer erbarmte, und ihr eine Freistatt anbot, war sie nicht mehr fähig, mit ihrem zerrütteten Gemüt diese Wohltat zu erkennen; sie ließ sich führen, wohin man wollte, und war vollkommen ihres klaren Bewusstseins beraubt.

Mit abscheulicher Benutzung ihres Zustandes, einer Wirkung von Werners Treubruch, gab man ihre Geisteszerrüttung als die Ursache davon an, und bald war das ganze Dorf überzeugt, Stephan habe vollkommen Recht gehabt, sich von der tollen Grethe zu trennen. Die Hochzeit ging vor sich, und Werner, den man ganz und gar von seiner ehemaligen Geliebten geschieden hatte, so dass sie ihm nicht mehr zu Gesicht kam, war im Rausche seines Glückes unfähig, das mindeste Mitleid mit der treuen Grethe zu fassen; ja, so weit ging sein Taumel, er begann sich selbst vorzureden, dass er Spuren von Tollheit früher an ihr wahrgenommen, und wenig fehlte, dass er die hochherzigsten Taten weiblicher Liebe durch das Brandzeichen des Wahnsinns entheiligt hätte.

Grethe saß und lächelte Tag aus, Tag ein. Sie schleppte sich vor die Tür auf eine Rasenbank der Landstraße, pflückte Grashalme, welche sie zusammenband und wieder aus einander riss, noch hatte kein Mensch sie klagen gehört, oder weinen gesehn, und bald war sie unter der mutwilligen Jugend des Dorfes unter dem Namen: »die lustige Grethe« bekannt.

Der Winter verging, der Sommer kam, Werner, welcher seinen Abschied bekommen hatte, bewohnte sein reiches Gehöft, und gedachte sich nun auf dem Gipfel des Glücks, da sein Weib in Kurzem Mutter zu werden versprach. Ein rüstiger Junge lachte ihm auch bald darauf entgegen, als er einst mit der Morgendämmerung in die Kammer seines Weibes trat, und er rief, von ausgelassener Freude ergriffen: »Ich bin ein Sohn des Glücks; an meinem Leib hatten die Kugeln keinen Teil, damit ich an Weib und Kind Freuden erlebe, wie noch kein Mensch sie erlebt hat!« –

Man machte Anstalt zur Taufe, der Junge sollte nach seinem Großvater genannt werden, und Werner machte sich einige Tage vorher auf den Weg, den Herrn Amtsrat höflichst zu ersuchen, selbst Patenstelle bei diesem Glücksgebornen zu übernehmen. Er hatte sich zu diesem Zweck in die längst abgelegte Soldaten-Uniform gekleidet, die silberne Münze schimmerte auf den farbigen Aufschlägen, eine feine weiße Hemdkrause, die lange Uhrkette, blütenweiße Unterkleider zeugten von dem Wohlstand des Bittstellers. Der Herr Amtsrat nahm ihn äußerst freundlich auf, er hatte gegen den Schulzen Willmann verschiedene Rücksichten der Dankbarkeit zu beobachten, kalte Küche und Wein wurden dem Gaste vorgesetzt, dieser mehr als einmal »mein Lieber« genannt und er endlich mit der Zusicherung entlassen, dass es dem Amtsrate ein wahres Vergnügen gewähren würde, in Person der Taufhandlung beizuwohnen.

Mit inniger Selbstzufriedenheit machte sich Werner auf den Rückweg, er wusste, er konnte sein Haus erst mit Einbruch der Nacht erreichen, aber die Sehnsucht, Weib und Kind zu sehen, trieb ihn an, nach Haus zurückzukehren. Der Mond stand hell am Himmel, lustig umfunkelt von Sternkränzen, es war die heiterste Nacht, die seit langer Zeit gewesen war. Werner pfiff unterwegs ein militärisches Liedchen über das andre; in stillen Pausen ertonte ihm des Amtsrats »mein Lieber« schmeichelnd zum Ohr, die freundlichsten Bilder der häuslichen Zukunft umtanzten seinen Sinn, er war dem Dorfe nah, und wähnte doch erst ausgewandert zu sein. Über alle Häuser ragte sein Eigentum, auf einer kleinen Anhöhe gelegen, hoch empor, er lächelte seelenfroh im Anschauen desselben, und mit erhöhter Stimme sang er, in den engen Hohlweg vor dem Eingang zum Dorfe tretend: »Gräm' Dich nicht, Herzliebste mein, sahst mich wieder da!«

Da stößt sein Fuß plötzlich an einen Gegenstand, der seinen Weg hemmt: Er blickt nieder, und gewahrt eine in Lumpen gehüllte Weibsgestalt, wie es scheint zu festem Schlaf zusammengekauert. »Nun,« ruft Stephan, »wollt Ihr Euch kein bequemer Nachtlager suchen?«

Angeleuchtet von einem boshaften Vollstrahl der Mondscheibe, richtet sich die Gestalt empor, und sieht mit schmerzhafter Verzerrung dem Frager ins Gesicht. Er tritt bebend einige Schritte zurück, es ist die lustige Grethe.

»Was tust – Du – hier?« stottert der Erschreckte, seine Zähne schlottern zusammen und seine starken Glieder wanken unter ihm.

Die Augen der Jammergestalt ziehen sich krampfhaft zu dem funkelnden Himmel hinauf, ihre Hände falten sich und sie spricht lachend: »Ich weine.«

»Geh nach Haus,« stammelt Stephan, während das Grausen durch sein Mark kalt herabrinnt, »Dir kann hier ein Unglück begegnen.«

»Ich habe keine Zeit, nach Haus zu gehen,« erwidert die lustige Grethe, »ich muss weinen unterm freien Himmel hier.«

»Über mich?« – flüstert Stephan zitternd.

»Nein,« erwidert die Wahnsinnige lachend, »über ein neugebornes Kind.«

»Ein Kind?« fragt der geängstete Soldat, und wunderbar erschüttert ihn das Wort in seinem eigenen Munde.

»Wenn Du den Vater kennst,« lächelt die lustige Grethe, »er heißt Stephan Werner, so gib ihm den gut gemeinten Rat, er soll die Taufhandlung nicht vor sich gehen lassen, wie er beschlossen hat. Er legt sonst dem Racheengel das Schwert in die Hand – und es wird treffen, das wäre Grethen nicht lieb, sie hat wahrhaftig kein böses Herz – – sie weint ja nur, und tut Niemand was zu Leide!«

Dabei lachte sie, aber ihre Augen waren immerwährend wie an den Sternen angefesselt, über denen die Vorsehung eine furchtbare Wage ausgespannt hält.

»Steh auf und geh nach Hause,« bat der Soldat, während er vor dem ohnmächtigen Weibe sich zu fürchten begann, mehr, als vor der aufgepflanzten Batterie der Feinde.

»Ja, gern,« lächelte Grethe aufstehend, »nun hab' ich ausgeweint.«

Seine wiedererwachte Menschlichkeit ließ ihn das Grauen überwinden, das elende Geschöpf anzurühren, er leitete sie zur Hütte, setzte sie auf die Flurbank und floh dann mit wilder Hast die Stelle der Schauer, während in seiner Brust das Herz ihm von einer ungeheuren, mit Krallen bewachsenen Faust erdrückt zu werden schien.

Die Reden der lustigen Grethe verlöschte bei Werner schon der nächste Tag. Sein Sohn wurde getauft, er empfing den Vornamen des Großvaters und der Tag verging in Saus und Braus. Der Herr Amtsrat, der einmal über das andere versicherte, er sei in seinem Leben so lustig nicht gewesen stellte seinem kleinen Paten das Prognosticon, er werde ein steinreicher Mann werden, weil der Junge, wenn er auch noch so heftig schrie, durch das Funkeln eines Geldstückes augenblicklich zur Ruhe gebracht wurde.

Während in Werners Haus die ausgelassenste Fröhlichkeit herrschte, und der Tag der Taufe von hundert Zungen als ein Tag des Glücks gepriesen wurde, jammerte die tolle Grethe in ihrer Hütte unausgesetzt. Sie lief auf und nieder und rang die Hände; ihr lächelndes Gesicht bildete mit ihren Gebärden und den halbverständlichen Lauten einen widerwärtigen Kontrast: so toll trieb sie es bis Mitternacht. Mit Anbruch des Morgens war sie aber ganz ruhig. Sie nahm ihr Plätzchen an der Landstraße wieder ein, pflückte die Halme neben sich ab, knüpfte sie zusammen und riss sie auseinander, kurz, betrug sich so still, so lächelnd zufrieden, wie zuvor. Nur schien sie seit dem Tauftage einen Abscheu gegen Geld gefasst zu haben, denn sie floh sogleich, wenn Vorüberfahrende, in der Meinung, sie sei eine Bettlerin, ihr eine Münze zuwarfen. Nichts war Jahre hindurch im Stande, ihre Teilnahme zu erregen, und wer sie in ihrem Tun und Treiben beobachtete, war geneigt, die wahnsinnige Person für glücklicher zu halten, als einen Menschen, der sich seines elenden Zustandes bewusst ist.

Erst als der Knabe Werner heranwuchs und mit den andern Jungen des Dorfes spielte, schien er, sobald er sich der lustigen Grethe näherte und von den andern gerufen wurde, ihre Aufmerksamkeit zu wecken. Sie rief dann mit seltsamer Heftigkeit: »Hör' nicht darauf, wenn Sie Dich rufen – Gespenster sind's aus der Hölle – Rache-Gespenster, denen Stephan Gewalt gegeben über Dich und ihn – hör' nicht darauf! Wehe, wehe, dass Du getauft bist, wie Du getauft bist!« Dann lachte sie gellend auf, bis der Junge erschreckt davon lief, worauf sie sogleich zu ihrer Ruhe zurückkehrte.

Werners Weib starb, auch der alte Schulze folgte ihr bald nach. Nun wandte der Wittwer seine ganze Liebe gegen den Knaben, und zu wenig gebildet, um einzusehen, dass man Kindern die größte Liebe erzeigt, wenn man sie mit Strenge frühezeitig an Entbehren gewöhnt, erzog er sich an dem Sohn den eigensinnigsten, ungehorsamsten Buben des Dorfes. Der rothaarige Willmann tat mit Eifer das Seine, alle boshaften Streiche des Knaben zu entschuldigen, ihm Gelegenheit zu neuen Torheiten zu verschaffen und dadurch das Gemüt des jungen Werner noch mehr zu verschlimmern. So lang der Vater in seinem Vermögen Mittel fand, die Wünsche des unersättlichen Sohnes zu befriedigen, oder den Schaden, den die Bosheit des Knaben angerichtet, zu vergüten, ging es erträglich; allein die Glücksumstände des Hauses schienen seit der Geburt dieses Kindes bergabwärts gehen zu wollen.

Der neuerwählte Schulze hatte vom Schulzenhaus, nebst Garten und Feld Besitz genommen, Werner besaß nur noch das auf der Höhe liegende Gehöft welches erb- und eigentümlich dem alten Willmann gehörte und demnach seinem Enkel zufallen musste. In Werners Seele wohnte immer noch der Hang zur ungebundnen Lebensweise des Soldaten und der ganze Betrieb des Fruchtgeschäftes befand sich längst in den Händen des rothaarigen Willmann, der sich in dem Maße dabei bereicherte, als Werners Wohlstand abnahm.  In dem Zeitraum von zehn Jahren war bereits Haus und Hof verschuldet und Werners Judas-Freund der Hauptgläubiger, welches er indessen geschickt zu verheimlichen wusste.

Der Sohn war sechzehn Jahr alt. Er mied sorgfältig bei der lustigen Grethe vorbei zu gehen: denn sie unterließ niemals ihm mit kreischender Stimme Unheil zu verkünden, und ihn zu mahnen, auf keinen Ruf zu achten, wobei sie ein wiederholtes Wehe über seine Taufe rief. Weil einige junge Bauern, aus Aberglauben den Reden der lustigen Grethe vertrauend, Werners Sohn damit neckten, beschloss dieser, der lustigen Grethe für die Verdrießlichkeiten, welche sie ihm bereitet hatte, einen Schabernack zu spielen. Er hatte Schießpulver vorrätig, welches er zum Erschrecken der Jungen zu gebrauchen pflegte. Nun grub er dicht neben der Stelle, wo Grethe saß, ein Loch, füllte es mit Pulver, und wollte durch ein Stückchen Schwamm zu seiner großen Ergötzlichkeit die Explosion bewirken. Aber eh' er noch zum Ziele kam, erhob sich die Wahnsinnige mit geballten Fäusten und so entsetzlich verzogenem Gesicht, dass er voll Scheu die Flucht ergriff. Sie lief ihm mit Flüchen bis in die Mitte des Dorfes nach und atemlos stürzte der Junge in seines Vaters Zimmer. Werner war entrüstet über die Ursache, er befahl ihm augenblicklich alles Pulver auszuliefern, und drohte sogar, was er nie getan, mit körperlicher Züchtigung, wenn er etwas Ähnliches je wieder unternähme. Der Sohn beteuerte, er habe kein Pulver mehr, und fand Gelegenheit, seinen Vorrat unter den trocknen Früchten der Scheuer zu verbergen. Sei es, dass er mit Licht unvorsichtig dabei umging, sei es, dass sonst ein unglückbringender Zufall sich gegen Werner verschwor, in der Morgenstunde des tiefen Schlafes erfüllte das Haus ein entsetzlicher Qualm; ehe Vater, Sohn und Gesinde zu Bewusstsein gelangten, wirbelte eine ungeheure Feuersäule aus dem Hinterhaus auf, ein feindseliger Sturm trug die Flamme zum Wohngebäude, und in Zeit von zwei Stunden war Werners Gehöft ein Haufen glimmender und rauchender Ruinen.

Mit starrem Auge stand der unglückliche Vater vor dem Grabe seines Glückes, während der schwer versengte Sohn laut heulte. Eine gellende Stimme rief aber noch lauter von einem Steinhaufen herab: »Er hat Dein Haus verbrannt – er wird Dein Gehirn verbrennen – Du hast alles eingebüßt – es ist wenig gegen das, was nachfolgt. Wehe, wehe, dass Dein Sohn so getauft ward!« Es war die lustige Grethe, die dem grässlichen Schauspiel zugesehn.

Der rothaarige Willmann gönnte dem verarmten Werner ein Unterkommen, weil dieser Schlaukopf vor den Mitbewohnern des Dorfes stets den menschenfreundlichen, wohltätigen Mann erheuchelte. Die abnehmende Freundlichkeit und das herrische Benehmen des Freundes sagten jedoch dem Unteroffizier, dass er seinem Verwandten eine Last sei, welche bei der ersten Gelegenheit von den Schultern geworfen werden würde. Werner hatte indes niemand außer diesem Beschützer und war gezwungen, zu ertragen, was nicht zu ändern war. Sein herannahendes Alter, ein Schwäche, die sich beider Augen bemächtigte, wahrscheinliche Folge einer rüden Lebensweise, der Anblick der tollen Grethe, in deren nähere Nähe seine jetzige Wohnung ihn hinbannte, machten sein Dasein zu einer Kette von Leiden und Gram.

Grethe begann seit einiger Zeit sich stiller zu gebärden, ihr Gang war nicht ganz mehr das Fortschleppen oder zwecklose Übereilen einer Geistesverwirrten, auch schien sich das krampfhafte Lächeln nach und nach von ihrem Gesichte zu entfernen.

Der junge Werner, aller Mittel beraubt, seiner ausschweifenden Lebensweise nachzuhängen, trieb sich Tag und Nacht in der Nähe des Dorfes herum, sah mit heimlichem Grimm die geputzten Bauernbursche zum Tanze in die Schenke gehen, und beschloss bei sich, auf welchem Weg es sei, sich Geld zu verschaffen, um es jenen gleich tun zu können. Arbeiten konnte und wollte er nicht. Zum Wohlleben erzogen, im Überfluss aufgesäugt, dünkte er sich, wie Viele seines Gleichen, berechtigt, das ganze Leben hindurch Gemächlichkeit vom Schicksal zu begehren. Willmanns Wohnung war ihm durch die Klagen des halberblindeten Vaters ein Jammertal, dem er zu entfliehen trachtete. Er verschmähte die Kartoffeln zu essen, welche Willmann aus Barmherzigkeit ihm versetzte; sein Stolz zog es vor, von unbekannten Hirten oder Handwerksgesellen ein Stück Brod zu erbetteln, sich notdürftig damit zu sättigen, um nur auf längere Zeit von dem Hause entfernt bleiben zu können.

Es geschah, dass er aus Ekel gegen den Raum, der seinen unglücklichen Vater beherbergte, Nächte über unter freiem Himmel zubrachte, und Werner, welcher den Mut nicht gehabt hatte, das Kind zu lenken, wollte nun mit soldatischer Festigkeit den achtzehnjährigen Buben zu einer andern Lebensweise anhalten. Lachender Hohn war die Erwiderung des Sohnes und als der Vater einst mit seinem Arme den Wegeilenden aufhalten wollte, warf ihn der kräftige Bursche auf eine Bank zurück, stellte sich dem Weinenden gegenüber und rief: » Was wollt Ihr von mir erzwingen, seid Ihr doch ein Bettler, der mir kein Stück Brod geben kann; müsst Ihr doch verhungern, wenn Willmann Euch die Tür weiset.«

Vergebens entsetzte sich der aus seinem Schlummer gerüttelte Vater über diese empörende Rede, vergebens tappte er mit seinen Händen nach einem Gewehr; seine Augen leiteten ihn nicht mehr, er wurde in seiner Anstrengung dem Bösewicht zum Gespött. Dieser lachte und ging hinaus. Die Hölle im Herzen schritt er durch den Hohlweg. Es war Mondabend. An derselben Stelle, wo die tolle Grethe mit seinem Vater im prophetischen Traume geredet, versperrte sie jetzt dem Sohn den Pfad.

»Holla,« schrie dieser, als er die auf der Erde Liegende berührte, »schert Euch zur Seite, dass man nicht Hals und Beine bricht über Euch. Ich kenne Euch wohl, Ihr tolle Here, Ihr wollt mir Unglück an den Hals wünschen, wäret Ihr nicht Eurer Sinne beraubt, so sollten Euch meine Fäuste auf Euer Wehe-Gekrächz eine Antwort sagen!«

Grethe richtete sich empor, ihre Züge waren weder lächelnd noch weinend, sondern feierlich ernst. Ihr Auge war offen, zeigte jedoch nur den untern Teil des Apfels, weil es fest nach oben hinauf gezogen war.

»Bete und kehre um,« sprach das Weib, nicht in kreischendem Tone des Wahnsinns, sondern mit der Bestimmtheit einer geistigen Kraft.

Der junge Werner lachte und bedeutete ihr, dass sie aus dem Wege rücken sollte, weil er wegen des Grabens nebenbei nicht fortkonnte, es sei einmal seine Absicht, die Straße weiter zu gehen.

»Bete, bete und kehre zurück!« sprach ernst und unbeweglich kniend das Weib.

»Alle Donner sollen Euch auf den Kopf fahren,« schrie der zornaufbrausende Werner, »wenn Jhr nicht Platz macht.«

»Um Deines Vaters Willen, zum dritten male,« rief mit erhobenem Arm das Weib, »sühne die Vergeltung, bete, kehre um, und höre auf keinen Ruf. Der Böse nimmt doppelsinnige Worte und schwingt sie als Geißel, er hat Macht über Dich und über Deinen Vater, bis der sich mir vereint – drum wende Dich von diesem Pfad, und bete, bete!«

»Genug der Fratzen,« schrie der rohe Bursche, »Du tolles Weibsbild sollst mich nicht äffen und aufhalten.«

So rufend ergriff er die Kniende bei der erhobenen Hand, warf sie neben sich in den Graben, dass sie mit ihrem Kopfe gegen einen Steinhaufen fiel, und schritt vorwärts. Er war ein Stück in den nahe gelegenen Wald getreten, und hatte einen kleinen Fußpfad eingeschlagen. Eben beriet er sich, wohin er sich wenden wollte, denn nimmer zum Vater zurückzukehren war er fest entschlossen. Da war's ihm, als hörte er plötzlich sehr leise und flüsternd seinen Namen nennen. Er horchte; nach kurzer Weile ertönte er noch einmal. Wie von einer düstern Gewalt getrieben, musste er fragen: »Rief mich Einer?«

Da traten drei Kerle aus dem Gebüsch, von denen der wildeste etwas Eisernes in die Tasche des leinenen Kittels steckte.

»Hast Du Geld,« brummte dieser, »so gib's heraus, wenn Du nicht mit zerschlagenen Knochen da liegen willst.«

»Wenn ich Geld hätte,« erwiderte Werner ohne Furcht, »so ging ich bei Nachtzeit nicht auf Euren Wegen.«

»Ein kapitaler Kerl, « meinte einer der Beutelschneider, »der ist zu brauchen.«

Ohne lange Überredung ward er der Diebe Genosse und verlor Wald, Hohlweg und – seinen bessern Engel aus dem Gesicht.

Grethe hatte eine starke Konfusion am Kopfe; aber seltsam war es, dass sie mit vollem Bewusstsein erwachte, dass sie von dieser Minute an keine Spur des Wahnsinns mehr zeigte.

Lange schon hatte Werner seinen Sohn als tot betrauert. Plötzlich empfing er die schreckenvolle Kunde, er sei in der Hauptstadt mit mehreren seiner Genossen als Räuber und Mörder hingerichtet worden. Vor seinem Sterben hatte er mehrere male beteuert: »Ein Wort [1] und  meine Taufe haben mich in dies Elend gebracht, man rief mich nicht, und der Böse ließ mich glauben, ich wurde gerufen – wehe, wehe, dass ich der Wahnsinnigen nicht folgte!« –

Werner verschlief in einer langen Ohnmacht das Grausen und die Verzweiflung, welche der schandenvolle Tod seines Sohnes über ihn ausschüttete. Als der blinde alte Mann zu sich selbst kam, stand grinsend der rothaarige Willmann vor ihm: »Fortan müsst Ihr Euch aus dem Hause packen,« rief dieser, »ich gebe keinem Vater einen Unterstand, dessen Sohn auf dem Rabenstein blutete.«

»Barmherzigkeit,« jammerte der Hilflose, »ich soll auf der Straße verkommen.«

»Die Blinden haben ihren eigenen Gott,« sprach trocken der Unmensch, »Ihr werdet Euch schon durchfühlen.«

»Ihr stößt mich nackt und bloß vor die Türe?« weinte Werner.

»Wir haben den Glauben,« rief Willmann, »wer den Verwandten eines Hingerichteten beherbergt, der wendet den Fluch auf sein Haus. Macht, dass Ihr fortkommt. Lasst Eure Füße Euch aus dem Dorfe tragen, es nimmt Euch hier doch kein Mensch auf.«

»Ohne Führer – ohne Führer« wimmerte der Blinde.

»Das macht, wie Ihr wollt,« entgegnete der fühllose Bösewicht, »von unsern Buben und Madchen legt Keines die Hand an Euch.«

Der blinde Werner, auf den das Strafgericht des Himmels mit seiner entsetzlichsten Strenge herniederbrach, wurde schonungslos zum Hause hinausgestoßen von demselben Mann, der seinen Wohlstand ihm dankte und der bei der bösen, treubrüchigen Handlung gegen Grethe, Werners führender Teufel gewesen war. Es war eine Nacht voll Sturm und Regen. In allen Hütten flimmerte das heimatliche Flämmchen, der Heimatlose sah es nicht; aber er hörte die Stimmen der Bewohner, wahrend er bebend an dem Nachbarhause sich entlang fühlte. Er klopfte an die Tür, der Bauer lauschte zum oberen Teil derselben heraus.

»Um Gottes Willen,« bat der Blinde, »erbarmt Euch mein!«

»Fort,« schrie der Bauer, »Vater des Mörders, ich habe mit Dir nichts zu schaffen.«

Wehklagend tappte er zum zweiten Hause. Dieselbe Bitte, dieselbe Antwort.

»Herr im Himmel,« stammelte der Elende, »ist denn auf diesem Erdenrund nicht eine Seele, die des blinden Werner sich annimmt? – O leite mich nur Einer zum Gießbach bei der Mühle, dass ich dort mein Leiden ende, oder geb mir einer ein Messer in die Hand, ein einziger Stoß befreiet mich von dieser Qual!«

»Reicht mir die Hand, Werner,« sprach plötzlich eine Stimme sanft und zitternd neben ihm, »ich will Euch führen – jedoch bannet aus Eurer Seele solche lästernde Gedanken an Selbstmord und Verzweiflung!«

»Wie ist der Name des Engels,« weinte der Blinde, »den Gott der Herr in meine Nacht herniederschickt?«

»Grethe ist's,« erwiderte die Stimme, »die von des Allmächtigen Gnade ihre Sinne wieder empfing, damit Euch in Not und Trübsal ein treues Wesen übrig bliebe und Ihr nicht ganz verlassen seid.«

»Du – Du – ?« stotterte der Erstaunte, »Du, welche ich verlassen, Du hangst jetzt noch an mir?«

»Das Weib, welches sich einem Manne mit ganzer Seele hingibt,« erwiderte Grethe, »gehört ihm bis an 's Grab. Ich will für Dich Almosen sammeln, meine Augen sollen für Dich sehen, und mein Arm soll Dich stützen. Leiden des Geliebten verdoppeln die Liebe des Weibes, reich mir die Hand und vertraue Dich mir an.«

Werner schluchzte und konnte nicht reden. Er gab ihr die Hand, sie ward seine Führerin. Die Geschichte des Weibes ward bald in der Umgegend bekannt. Jeder, der das Paar sah, wurde von dieser Treue innig gerührt, und gab gern den Hilflosen ein Almosen. Werner konnte nie erfahren, wie der Tauftag seines Sohnes mit dem grässlichen Ende desselben in Verbindung stand, denn seine treue Führerin hatte nicht die mindeste Spur von ihren phantastischen Prophezeiungen mehr in ihrem einfachen Gemüte, und sie lebte nur für die Erhaltung des Mannes, dem sie in blühender Jugend ihr Herz geschenkt. Der Bund war über den Sternen gewebt, keine Menschenhand konnte ihn zerreißen, Leiden und Schmerz mussten ihn noch in späten Tagen für diese Welt besiegeln, damit die Seelen der Vereinigten, versöhnt und geläutert, zu dem freundevollen Dasein einer bessern Welt hinüberwallen konnten

Lösung anzeigen

Dietrich

Anmerkungen

Auszug aus dem gerichtlichen Geständnis des Räubers Werner.

Ich ging an jenem Abende von der väterlichen Wohnung aus in böser Gemütsstimmung, aber dennoch keineswegs mit der festen Absicht, mich einer Straßenräuberbande auszuschließen. Dass ich getauft ward, wie ich getauft ward, hat mich in den Abgrund gestoßen, in welchem ich mich jetzt befinde. Die Prophezeiungen jener wahnwitzigen Weibsperson unsers Dorfes, die ich stets verlacht hatte und verspottet, sollten an mir in Erfüllung gehen und ich gedenke ihrer mit Schauder. Mein Leben kommt mir jetzt wie durch Hände schwarzer Geister verknüpft vor, und ich bebe, dass ich glauben muss, mein Vater habe die Fäden den Unsichtbaren in die Hände gegeben. Man nannte mich, nach meinem Großvater, in der Taufe: »Dietrich« Hätte ich irgend einen andern Namen getragen, so würde mein von Hass und Zorn geflügelter Schritt nicht gehemmt worden sein durch jenes Wort, welches zu wiederholten Malen aus dem Gebüsche mein Ohr traf. Die Räuber stritten über einen Dietrich, dessen sie sich zum Einbruch in jener Nacht bedienen wollten, und ich nahm das Wort für das Rufen meines Namens. Drum darf ich mit Recht sagen: Ein Wort und dass ich getauft bin wie ich getauft bin, hat mich ins Elend gestürzt!

Verweise

Worträtsel, Töpfer