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Rätselgedichte, Rätselreime

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Rätselgedicht Nr. 1143

von Gustav Theodor Fechner

Rätsel

Halb wie Hufschlag klingt's und halb wie Tritte von Männern,
jetzt wie Leiergetön, wieder wie Flügelgerausch.
Naht eine festliche Schar? Es ist ein einziges Ross nur,
das sich selber zum Gang schlägt mit den Flügeln Musik.
Jetzo geht es im Schritt, im Trab, dann wieder im Fluge,
immer nach eigener Lust, nimmer nach eigenem Ziel;
denn es lenket das Ross ein hochgewaltiger Reiter,
ohne zu zügeln den Gang, sicherem Ziele doch zu.
Wer den Blick nicht erhebt, der schaut vom Ritt nur die Füße,
viere wechselnd im Takt, zween im sicheren Sitz;
höret tönen den Huf und stehet und lauschet und staunet,
ahnend, ein Mächtiges sei's, was ihm betäubet das Ohr.
Aber wes Auge begegnet dem Auge des reitenden Geistes,
den erfasst er sogleich, führet im Ritt ihn dahin.
Rastlos gehet der Lauf durch Schlachtengedräng', über Meere,
furchtlos schwimmet das Ross, purpurn erglänzet die Flut;
jetzt hinan zum Olymp erhebt es die rauschenden Flügel
von dem ambrosischen Mahl fahren die Himmlischen auf.
Donnernd erhebt sich Zeus und winkt mit den mächtigen Brauen,
dass die Erde erschrickt, dass der Olympos erbebt.
Aber entgegen donnert das Ross und schlägt mit den Flügeln,
mächtig wächst ihm der Mut, wenn ihm ein Mächtiges naht.
Nieder zum Acheron dann sich stürzt's mit gewaltigem Sprunge,
da erbrauset die Flut, Strahlen durchschießen die Nacht,
aber der Reiter ergreift die Himmlischen alle und Schatten,
reißt sie mit sich dahin auf dem geflügelten Ritt.
So Jahrhunderte lang vertrieb sich der Reiter die Weile,
keinem Gefährten gesellt, mit dem gewaltigen Spiel;
denn nur Spielzeug sind die Götter und Menschen ihm alle,
spielend wirft er sie hin, wie er sie spielend ergriff,
aber ein einziger Gott bezwingt ihn selber im Spiele;
Eros, der mächtige, ist's, welcher ihn trifft mit dem Pfeil.
Ruhig wandelt er nun, das Ross geleitend am Zügel,
strafend den raschen Schritt, neben der lieblichsten Frau.
Sorglich ein jedes misst den Schritt nach dein Schritte des andern,
Anmut sahst du und Kraft nimmer so traulich gesellt.
Niemals geht sie allein, nicht wär' es geziemend dem Weibe,
aber an seiner Hand gerne betritt sie die Flur.
Zarter ist sie gebaut und auch nach anderm Verhältnis,
mit dem holdesten Reiz gürtet ein Band ihr den Leib.
Fünf der Füße nur misst, was sechs bei ihm hat gemessen,
wie so anmutvoll schaut sie zum Höheren auf!
Da vergisst er der Schlachten, des Styx und auch des Olympos,
trauliches Wechselgespräch kürzet die Länge des Wegs;
eins ans andre geschmiegt durchwandeln sie grünende Auen,
hin an dem rieselnden Bach, wo die Schalmeie erklingt,
hüben ein Schäfer klagt, weil drüben die Schäferin gehet,
und der Efeu grünt an dem verfallenen Schloss.
Aber Verständiges auch und Heiteres mag sie erfreuen,
Grazien kommen und Scherz, bieten voll Blumen den Korb,
und sie fassen ihn an und reichen ihn rings in die Runde;
jeder lange sich zu, wer sich an Blühendem freut.
Nach dem Röslein wohl, dem niedlichsten, wolltest zu langen
ei, da stach dich ein Dorn, beide belachen sie's nun.
Also gehn sie zusammen in Kosen und Scherzen und Plaudern,
aber das letzte Wort hatte die Liebliche stets.
Selber gesteht sie's ja, sie gingen jetzt eben vorüber,
heiter besprechend sich über den eigenen Bund.

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Hexameter und Pentameter

Anmerkungen

Acheron ist in der griechischen Mythologie (und in Dantes Göttlicher Kommödie) einer der fünf Flüsse der Unterwelt. [Wikipedia]

Hexameter [Wikipedia] und Pentameter [Wikipedia] sind klassische Versmaße der epischen Dichtung; beispielsweise sind Ilias und Odyssee von Homer in Hexametern verfasst.

Verweise

Worträtsel, Fechner, Schupp