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Rätsel und Puzzles

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Meditationen über die Wahrscheinlichkeit

Biographische Rätsel, 06/1998

Biographen, welche die Geschichte seiner Familie bearbeiten, können damit mühelos mehrere Bände füllen: Mindestens sieben professionelle oder dilettierende Mathematiker tragen den Nachnamen des Gesuchten. Aus Tradition wählte die Familie fast immer einen von drei »Standardvornamen« für ihre Sprösslinge, was unter Chronisten bis weilen Verwirrung stiftet. Historiker schafften Ordnung im verwandtschaftlichen Durcheinander, indem sie gleich lautende Namen römisch durchnummerierten.

Der Gesuchte entstammte einer um 1570 von Antwerpen nach Basel umgezogenen Kaufmanns- und Gelehrtenfamilie. Sein Großvater war als Glaubensflüchtling in der Schweiz eingewandert. Die Integration der Immigranten scheint kein Problem gewesen zu sein: Schon der Vater des Gesuchten war nicht mehr nur als Kaufmann, sondern auch als Ratsherr und Rechenrat des Gerichts in Basel tätig.

Obschon er das mathematische Potential des Sohnes recht schnell erkannt haben soll, ließ er ihn zunächst Theologie studieren. Dem jungen Mann blieb nichts anderes übrig, als sich nebenbei und heimlich der Mathematik und Astronomie zu widmen. In dieser Zeit studierte er intensiv die Werke von Nicolas Malebranche und Rene Descartes, was man besonders seinen frühen Schriften anmerkt.

1676 bestand er 23jährig das theologische Examen und begab sich anschließend auf zwei Auslandsreisen nach Frankreich und Holland. Dabei machte er in Genf Station, wo er sich zeitweise als Hauslehrer der blinden Elisabeth von Waldkirch verdingte. Er unterrichtete das Mädchen täglich drei Stunden lang gegen Kost und Logis und entwickelte nebenbei eine neue Blindenschrift, der allerdings kein großer Erfolg beschieden war.

Etwas mehr Aufsehen erregte der mathematische Autodidakt mit seinen barocken Schriften über Sonnenuhren und Kometen. In letzteren setzte er sich zwar kritisch mit Descartes auseinander (»Cartesi«) des sonst tiefsinnigen Naturforschers Meinung von dem Ursprung des Kometen ist eben auch »seltzam genug...«), doch blieben seine eigenen Theorien bezüglich Kometen ebenfalls höchst unzureichend. Deutlich kommt jedoch in diesen Dokumenten seine Liebe zur Wissenschaft zum Ausdruck: Mit bissigem Spott zieht er über Wahrsager und Scharlatane seiner Zeit her. So versieht er eine seiner Schriften über Kometen mit einem Anhang: "Das ist: Ein Prognosticon für die alten Müttergen, für die Gerngläubigen, für die Leyen und das Vielköpffige Thier, oder auch Jovialische Leuthe, die gern was zu lachen haben wollen", verkündet er, und »prophezeit« beispielsweise: »Das caput Andromedae, welches der Comet vorbeygestrichen, wird vermutlich der Jungfrauen Europae den Kopf verwirren.«

Nach seinen Reisen kehrte er wieder zurück nach Basel und hielt zunächst private Vorlesungen über Experimentalphysik. Bald darauf erhielt er eine Professur für Mathematik an der dortigen Universität. Von nun an studierte er in Zusammenarbeit mit und angeregt von Leibniz eine Vielzahl von mathematischen Problemen. Dabei hatten es ihm besonders verschiedene Kurven angetan: Lemniskaten, die Segelkurve, die Kettenlinie, die Isochrone und vor allem die logarithmische Spirale, die er in einer seiner Schriften sogar »spira mirabilis« nannte und in seinen Grabstein einmeißeln ließ. Bei alledem benutzte er virtuos die Differential- und Integralrechnung. In einer Schrift, in der er einige Lösungen des Isochronenproblems analysierte, verwendete er erstmals den Begriff »Integral« in der heutigen Bedeutung.

Mit seinem Bruder — selbst redend ebenfalls einem Mathematiker — lag er im Laufe seines Lebens in immer härterer Konkurrenz, die sich schließlich bis zu unversöhnlichem Hass steigerte. Die beiden versuchten sich in Wettbewerben gegenseitig mit ihrem mathematischen Können zu überbieten. Eine der Aufgaben dabei war ein berühmtes Problem, bei dem Zykloiden eine wichtige Rolle spielten und das bereits Galileo Galilei Kopfzerbrechen bereitet hatte. Der Gesuchte löste es, indem er dafür erste Elemente der Variationsrechnung entwickelte.

Über seine wissenschaftliche Arbeit sind wir heute sehr gut informiert, weil er bereits ab 1677 eine Art Tagebuch führte. Er nannte es seine »meditationes« und legte darin detailliert seine Ideen dar.

Seine größte Bekanntheit errang der Mathematiker wahrscheinlich auf dem Gebiet der Wahrscheinlichkeitsrechnung, die ihn bis zu seinem Tode beschäftigte. »Irgendein Ding vermuten heißt soviel wie seine Wahrscheinlichkeit zu messen«, schrieb er in seinem Hauptwerk, das er jedoch zu Lebzeiten nicht mehr fertig stellen konnte. Mit Hilfe der »meditationes« vollendete es für ihn sein Schüler, einer seiner Neffen.

Wie hieß der Mathematiker, dessen Name unter anderem auch in einer Ungleichung und einer Zahlenfolge verewigt ist?

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