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Rätsel und Puzzles

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Mathematik und gewaltige Schüsseln von Pudding

Biographische Rätsel, 05/1999

Auf einer Fotografie wirkt sie wie eine seltsame Mischung aus einem Hochschullehrer der zwanziger Jahre und einer Marktfrau. Gebuckelt und breitschultrig sitzt sie da und blickt durch ihre runde Nickelbrille ganz knapp am Betrachter vorbei. Das Haar ist zurückgestrichen, so dass die Stirn frei liegt.

Die Fotografie scheint recht gut das auffällige Äußere einer Mathematikerin wiederzugeben, die die Algebra dieses Jahrhunderts ganz entscheidend geprägt hat. "Ihre absolute, sich jedem Vergleich entziehende Einzigartigkeit ist nicht in der An ihres Auftretens nach außen hin zu erfassen, so charakteristisch dieses zweifellos war", schreibt ihr Schüler Bartel van der Waerden später. "Ihre Eigenart erschöpft sich auch keineswegs darin, dass es sich hier um eine Frau handelt, die zugleich eine hochbegabte Mathematikerin war, sondern liegt in der Natur ihres Denkens und dem Ziel ihres Wollens."

In ihren Biographien lesen wir, ihre Stimme sei "rau" gewesen, ihre Art "nie sentimental, sondern burschikos". Gerühmt wird ihre Güte und Gastfreundschaft: "Berühmt, geradezu sprichwörtlich waren gewaltige Schüsseln von Pudding, bei dessen Verzehr höchste Mathematik in einer Mansardenwohnung getrieben wurde." Ihre Vorlesungen hätten dagegen aus einer Aneinanderreihung halber Sätze bestanden, wodurch "nur eine kleine Zahl von schon gereiften Hörern ihrem Vortrag zu folgen vermochte". Doch wer dabeiblieb, der bekam Mathematik vom Feinsten geboten.

Bereits ihr Elternhaus war sehr mathematisch geprägt: Ihr Vater war Professor für Mathematik und ebenfalls Algebraiker, einer ihrer drei jüngeren Brüder wurde Professor für angewandte Mathematik. Trotzdem ließ ihr Bildungsweg zunächst nicht ahnen, dass auch sie eines Tages Mathematikerin werden sollte: Zunächst besuchte sie die höhere Töchterschule, anschließend absolvierte sie eine Staatsprüfung als Lehrerin für Französisch und Englisch. Erst danach machte sie das Abitur nach und immatrikulierte sich auf Umwegen an der Universität ihrer Heimatstadt. Unter den knapp tausend Studenten dieser Universität lernten zu jener Zeit insgesamt zwei Studentinnen - sie war eine davon. Promoviert hat sie schließlich über die "Bildung des Formensystems der ternären biquadratischen Form" - "Mist" sei diese Arbeit gewesen, sagte sie später, obwohl das Werk sogar in den Mathematischen Annalen abgedruckt wurde. Doch entsprach es noch nicht ihren Vorstellungen von guter Mathematik. Ihr kam es nicht auf das Rechnerische an; wichtig waren ihr die allgemeinen und abstrakten Eigenschaften der Ringe, Gruppen, Körper, Moduln oder Ideale, mit denen sie sich beschäftigte. "Meine Methoden sind Arbeits- und Auffassungsmethoden und daher anonym überall eingedrungen", schrieb sie. Und van der Waerden meinte zu ihrer Methodik: "Alle Beziehungen zwischen Zahlen, Funktionen und Operationen werden erst dann durchsichtig, verallgemeinerungsfähig und wirklich frucht bar, wenn sie von ihren besonderen Objekten losgelöst und auf allgemeine begriffliche Zusammenhänge zurückgeführt sind."

Wichtiger als ihre Dissertation waren der Gesuchten spätere Arbeiten wie die "Idealtheorie in Ringbereichen" oder der "Abstrakte Aufbau der Idealtheorie in algebraischen Zahl- und Funktionskörpern". Die schrieb sie in einer Zeit, in der sie als "außerordentlicher Professor" im Mekka der Mathematik wirken durfte. Dafür erhielt sie zunächst weder Sold, noch änderte sich durch den Titel "ihre juristische Stellung". Obendrein hatte sie jahrelang auf die Habilitation warten müssen. Nicht einmal der Hinweis David Hilberts, seines Wissens arbeite er "an einer Universität und nicht an einer Badeanstalt", hat die entscheidenden Herren umstimmen können, die Habilitationsordnung - einer Frau wegen! - zu ändern. Unter dessen lieferte diese Frau jedoch wichtige Beiträge zur Mathematik der Allgemeinen Relativitätstheorie.

1933 wurde ihr als ehemaligem Mitglied der SPD, Pazifistin und Jüdin die Lehrbefugnis entzogen. Sie emigrierte in die USA, wo sie nur zwei Jahre später starb.

Wer war die Mathematikerin?

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