Der ersten Silbe freudiges Getön
Lässt bei der letzten gern sich hören;
Wenn kreisend sich die Gläser drehn,
Den Genius der Zeiten zu beschwören,
Die im Erinnrungsbilde, jung und schön,
Ein deutsches Herz mit Lust umwehn.
So mancher muss von Amtes wegen
In dieser Silbe des Berufes pflegen:
Der Alpenhirt, der aus der ersten Hand
Den Stoß empfängt des Wolkensturmes;
Der Wärter, der vom Sitz des Turmes
Hernieder späht nach Dampf und Brand;
Der Taubenkläpper und so weiter.
Auch stieg, wofern sich nicht die fromme Jacobsleiter
Ganz ins Unendliche verlor;
Sie sprossenweis zu dieser Silb' empor.
Ein
Ungeheuer ist die zweite!
Heißhungrig zieht sie durch den Schöpfungsplan;
Was Odem hat, wird ihre Beute,
Selbst an Kadavern nagt ihr spitzer Zahn.
Sie hat in schrecklichem Vermessen
Die eigne Mutter aufgefressen,
Und auch die Kinder fällt sie gierig an.
Zwei
Gläser seh ich vor mir stehen,
Gefüget durch ein zartes Band,
Und wie die Stunden nah'n und gehen,
Füllt eins ums andre sich mit Sand.
Ich schaue, wie dies zarte Band
Zukünft'ges an Vergangnes knüpfet;
Das eine gibt, das andre spart,
Und karg gemessner Teil durchschlüpfet
Den engen Raum der Gegenwart. –
Die Nacht
ist da, die Gläser tanzen;
Es nimmt die fröhlich heitre Schar
Ganz nahen Anteil an dem Ganzen,
Entfernteren am ersten Silbenpaar.
Doch die allein die ersten sich ersehnt,
Seh'n auch durch sie allein den schönsten Wunsch gekrönt.
Der ersten Silbe Jubelwort
Befriedigt nicht ihr Ohr, sie finden fort und fort.
Ganz unausstehlich lang das Ganze;
Und flüchten bald vom hellen Kerzenglanze
Sich lichtscheu nach dem dunklern Ort.
Ihr würdet
bald das Ganze kennen,
Dürft' ich das Kind beim rechten Namen nennen.
Ob's euch behagt, ob's euch verdrießt;
Das Wort muss ich mit Worten noch verschanzen!
Drum sag' ich ganz naiv: die letzte wird zum Ganzen,
Wenn sie sich an die ersten schließt,
Hoch + Zeit + [s] + Nacht = Hochzeitsnacht
Prätzel gibt als Lösung die »Hochzeitnacht« (ohne Genitiv-s) an, was zumindest aus heutiger Sicht nicht korrekt ist und vielleicht auch damals schon nicht korrekt war.
Karl Gottlieb Prätzel: Vermischte Gedichte
Nestler, Hamburg, 1810
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