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Rätselgedichte, Rätselreime

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Rätselgedicht Nr. 3860

von Carl Töpfer

Rätsel

Das Haus des Friedens

Überall auf unsrer Erden
Herrscht die Unlust und der Streit:
Freunde sehn wir Gegner werden,
Liebe wird Gehässigkeit;

Aber in des Haders Mitte
Liegt ein Haus, ein Friedenshaus,
Wo die alte, fromme Sitte
Schließt für immer Zwietracht aus.

Ja in diesen heil'gen Hallen
Kennt man Hass und Rache nicht,
Keinen Wunsch, als zu gefallen,
Außer Liebe keine Pflicht.

Offen stehn des Hauses Pforten,
Wie am Tag, so in der Nacht,
Goldbeladen - doch wird dorten
Diebstahlsfrevel nicht vollbracht.

Hunderte von Pilgern wandern
In die goldnen Pforten ein,
Jeder gönnt den Platz dem Andern,
Niemand will der erste sein.

Unbedeutend oder mächtig,
Dürftig oder güterreich,
Schlecht gekleidet oder prächtig,
Gilt in diesem Hause gleich.

Eine ungeschmückte Zelle,
Wo sich's leicht und fröhlich träumt,
Farbenlos und selten helle,
Wird dem Pilger eingeräumt.

Keiner trägt der Ehrsucht Funken
Diesen stillen Wänden zu,
Nur mit Liebe will man prunken,
Brüderlich nennt man sich Du!

Mag der Feind das Land verheeren;
Die verlassne Witwe weint,
Jedes Haus will man zerstören,
In mein Häuschen dringt kein Feind.

Und geschäh's – dann ließ der Wilde
Waffen an der Schwelle Rand,
Bittend, käm' er, kindlich milde,
Einen Palmzweig in der Hand.

Fügte sich dem Brauch im Hause
Gern und gleich, und trotzte nicht,
Und bezöge seine Klause
Mit des Friedens Angesicht.

Solchen Zauber übt des Ortes
Unbegreifliche Gewalt,
Dass nicht eines harten Wortes
Misston in dem Innern schallt.

Jahre in dem Weltgetriebe
Werden alt und wieder jung,
In dem Hause wohnt nur Liebe,
Freundschaft und Erinnerung.

Und der Straus, der dort gebunden,
Und die Blüte, dort gepflegt,
Und die Kränze, dort gewunden,
Wohl kein Herbst von dannen trägt.

Denket nicht an Grab und Leichen;
Zieht's Euch nach dem Hause hin,
Lebend könnt ihr es erreichen,
Mancher unter Euch – ist drin.

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Verweise

Worträtsel, Töpfer, Forum